Vor sieben Monaten hat das James-Webb-Weltraumteleskop seinen Einsatzort rund 1,4 Millionen Kilometer von der Erde entfernt erreicht. Die ersten Bilder, die der Hubble-Nachfolger geschossen hat, wurden im Juli veröffentlicht. Nun hat das Teleskop den am weitesten entfernten Stern fotografiert, der bisher bekannt ist: WHL0137-LS, etwas eingängiger auch «Earendel» genannt.
Earendel hat eine geschätzte Masse von rund 50 bis 100 Sonnen. Allerdings wäre die Vergangenheitsform hier angebracht, denn der Stern existiert mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit längst nicht mehr. Dass wir ihn jetzt noch sehen können, liegt daran, dass sein Licht 12,9 Milliarden Jahre lang unterwegs war. Durch die Expansion des Universums wäre er heute jedoch 28 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt. Earendel entstand sehr früh, lediglich 900 Millionen Jahre nach dem Urknall, und Sterne dieser Masse existieren nur wenige Millionen Jahre, bevor sie in einer Supernova explodieren.
Das Alter des Sterns konnten die Astronomen anhand der sogenannten Rotverschiebung bestimmen. Sein Licht wurde während seiner langen Reise durch das All quasi gedehnt, da der Weltraum expandiert; es ist daher aufgrund der grösseren Wellenlänge stärker in den Rotbereich verschoben. Es ist nicht etwa die relative Bewegung des Sterns zu uns Beobachtern, die dafür verantwortlich ist, sondern die Ausdehnung des Raums. Sehr weit entfernte Galaxien und Sterne, die sich mit grösserer Geschwindigkeit von uns zu entfernen scheinen als nähere, sind aus diesem Grund rötlich gefärbt.
Je stärker das Licht einer Galaxie oder eines Sterns in den roten Bereich verschoben ist, desto weiter entfernt sind sie – und desto weiter zurück in der Vergangenheit liegt der Zeitpunkt, zu dem ihr Licht ausgestrahlt wurde. Das Licht von Earendel weist eine Rotverschiebung von 6,2 auf – das ist Rekord. Die meisten Sterne, die bisher mithilfe von Graviationslinsen gefunden wurden, haben lediglich eine Rotverschiebung von 1 bis 1,5.
Earendel wurde bereits im März dieses Jahres vom Hubble-Teleskop entdeckt. Das neue Bild des Webb-Teleskops entstand aus insgesamt rund drei Stunden Aufnahmen, die am 30. Juli von der Nahinfrarotkamera (NIRCam) gemacht wurden. Die NIRCam ist der primäre Bildgeber des Teleskops, der Licht im Wellenlängenbereich von 0,6 Mikrometern (sichtbares Rot) bis 5 Mikrometern (mittleres Infrarot) erfassen kann.
Dass das Licht eines derart weit entfernten Sterns überhaupt vom Teleskop empfangen werden konnte, liegt an einem massiven Galaxienhaufen namens WHL0137-08 (auch «Sunrise Arc» oder «Sonnenaufgangsbogen» genannt), der sich zwischen Earendel und der Erde befindet.
Dieser Gigant bewirkt durch seine Masse eine Verzerrung und Vergrösserung der hinter ihm liegenden Lichtquellen – das von Earendel ausgehende Licht wird dadurch um einen Faktor von mehreren tausend verstärkt. Dieser Effekt ist unter der Bezeichnung «Gravitationslinse» bekannt: Die Masse des Galaxienhaufens krümmt die Raumzeit, sodass das Licht zur Masse hin abgelenkt wird.
Der Astronom Brian Welch von der Johns Hopkins University entdeckte Earendel, als er ein Modell des Linseneffekts des Galaxienhaufens erstellte. Ihm fiel auf, dass das Objekt zu klein und zu stark vergrössert war, als dass es etwas Grösseres als ein Stern sein konnte. Welch nimmt an, dass Earendel ein Stern in einem Einzel- oder einem Doppelsystem gewesen sein könnte. (dhr)