1291 – kaum jemand in der Schweiz denkt bei dieser Jahreszahl nicht an den Rütlischwur und den damit verbundenen Gründungsmythos der Eidgenossenschaft. Weltgeschichtlich bedeutsam ist dieses Datum aber eher aus einem anderen Grund: 1291 fiel Akkon, die letzte Bastion der Kreuzritter im Nahen Osten – und damit endete dort die Epoche der Kreuzzüge endgültig.
Rund zweihundert Jahre lang hatten mehrere durch die Kreuzfahrer gegründete Staaten in der Levante existiert, seit die christlichen Invasoren im Ersten Kreuzzug (1096–1099) Teile von Palästina und Syrien erobert hatten. Zeitweise beherrschten die vier Kreuzfahrerstaaten – das Königreich Jerusalem, das Fürstentum Antiochia, die Grafschaft Edessa und die Grafschaft Tripolis – den gesamten Küstenstreifen zwischen Kleinasien und Ägypten.
Konflikte zwischen den muslimischen Staaten in der Region hatten die anfängliche Expansion der Kreuzfahrerstaaten ermöglicht; bald jedoch verstärkte sich der muslimische Widerstand und die Kreuzfahrer mussten mehrfache Niederlagen und Gebietsverluste hinnehmen. So ging etwa Jerusalem nach der verheerenden Niederlage bei Hattin 1187 verloren, gelangte später aber zeitweise wieder unter die Herrschaft der Kreuzritter. Der Dritte Kreuzzug konnte zwar den vollständigen Zusammenbruch der Kreuzfahrerstaaten verhindern, doch von nun an waren die Kreuzritter endgültig in der Defensive.
Eine für die Kreuzfahrer strategisch äusserst wichtige Rolle spielte die Hafenstadt Akkon, die im Norden des heutigen Staates Israel liegt. Damals war Akkon der einzige Hafen in der Levante, in dem es bei jedem Wetter möglich war, Waren zu löschen. Akkon wurde erst 1104 von den Kreuzrittern erobert, fiel nach Hattin den Muslimen unter Sultan Saladin in die Hände und wurde nach einer zweijährigen Belagerung 1191 im Dritten Kreuzzug zurückerobert. Nach dem endgültigen Verlust Jerusalems 1244 war Akkon einer der letzten bedeutenden Stützpunkte der Kreuzritter und Hauptstadt des zusammengeschmolzenen Königreichs Jerusalem.
Kurz nach dem Fall Jerusalems etablierte sich in Ägypten eine neue Macht, deren militärische Schlagkraft den Resten der Kreuzfahrerstaaten zum Verhängnis werden sollte: Die Mamluken stürzten 1249 den letzten Sultan Ägyptens aus der kurdischen Dynastie der Ayyubiden und begründeten ihr eigenes Sultanat. Diese Elitetruppe bestand aus Kindern nicht-muslimischer Herkunft, die versklavt und islamisch aufgezogen wurden. Sie bildeten eine zu Beginn loyale militärische Führungsschicht, die jedoch schliesslich auch die politische Macht ergriff. Den Mamluken gelang es 1260, die bisher als unbesiegbar gehaltenen Mongolen zu stoppen, die zwei Jahre zuvor Bagdad erobert hatten. Dieser Sieg verschaffte ihnen hohes Prestige.
Sultan Baibars, der Sieger über die Mongolen, forcierte die Zentralisierung des Mamlukenreiches und die Umstrukturierung des Heers. Seine Truppen eroberten nach und nach die verbliebenen Stützpunkte der Kreuzritter, darunter 1268 Antiochia, dessen Bevölkerung getötet oder versklavt wurde, und 1271 die berühmte Burg Krak des Chevaliers, eine der mächtigsten Festungen in der Region.
Sultan Qalawun, der Baibars Sohn entmachtet hatte, setzte die Politik der Vertreibung der Kreuzritter fort und intensivierte sie, nicht zuletzt, um potenzielle Verbündete der mongolischen Il-Chane in Persien und Mesopotamien auszuschalten. Er eroberte weitere Kreuzfahrer-Festungen und 1289 die Hafenstadt Tripolis. Akkon gelang es mit Mühe, einen Waffenstillstand auszuhandeln. Diese Waffenruhe wurde jedoch hinfällig, als im August 1290 betrunkene lombardische und toskanische Kreuzfahrer – die meisten von ihnen bäuerlicher Herkunft – ein Massaker an muslimischen Händlern in Akkon verübten. Sie waren nach dem Fall von Tripolis einem Aufruf des Papstes zu einem neuen Kreuzzug gefolgt, und wie so manche Neuankömmlinge vor ihnen brachten sie kein Verständnis für die Lage in der Levante auf. Insbesondere konnten sie nicht verstehen, warum diese ungläubigen Muslime, gegen die sie doch kämpfen sollten, in die Stadt kommen durften.
Das Massaker war eine Provokation für den Sultan; er verlangte eine hohe Entschädigung und die Auslieferung der beteiligten Kreuzfahrer. Akkon lehnte ab, und so sammelte Qalawun sein Heer für einen Feldzug gegen die letzte Bastion der Kreuzfahrer. Doch bevor sich die Streitmacht in Bewegung setzen konnte, starb der Sultan plötzlich. Die Erleichterung in Akkon über den Tod des feindlichen Machthabers währte nicht lange. Schon Anfang April 1291 führte Qalawuns Sohn Al-Ashraf Chalil das mamlukische Heer vor die Mauern der Kreuzritterstadt.
Das Heer des Sultans war riesig, es umfasste nicht nur Soldaten aus Ägypten, sondern auch aus Syrien und sogar Mesopotamien; die Schätzungen gehen bis zu 160'000 Fusssoldaten und 60'000 Reiter. Ihnen standen höchstens 15'000 Kreuzritter gegenüber, zu denen Anfang Mai König Heinrich II. von Jerusalem und Zypern mit vielleicht 2000 weiteren Kämpfern stiess. Die Verteidiger gehörten zu den vier Ritterorden – den Templern, den Johannitern, dem Lazarusorden und den Deutschrittern. Dazu stiessen kleinere Kontingente von europäischen Soldaten unterschiedlicher Herkunft.
Den Kreuzrittern kam zugute, dass die Stadt durch zwei mächtige Mauern, vor denen sich zwei Gräben hinzogen, hervorragend gegen einen Angriff von der Landseite her geschützt war. Über den Hafen konnten die Verteidiger zudem mit Nachschub versorgt und mit Truppen verstärkt werden, denn der Sultan verfügte nicht über genügend Schiffe, um die Seehoheit der Europäer zu brechen. Doch die Angreifer waren nicht nur zahlenmässig erdrückend überlegen, sondern waren auch mit zahlreichen Belagerungsgeräten ausgestattet, darunter enormen Schleudern, die schwere Steine gegen die Mauern werfen konnten. Das mamlukische Heer verfügte überdies über Mineure, die Tunnel unter feindliche Mauern treiben konnten, um diese zum Einsturz zu bringen.
Genau dies geschah nun. Seit dem 6. April füllten die Angreifer die Gräben auf und unterminierten Mauern und Türme, derweil ein Hagel von Pfeilen auf die Verteidiger niederging. Ab dem 8. Mai stürzten die Türme des äusseren Mauerrings einer nach dem anderen ein, und am 15. Mai gelang es den Mamluken in einem Grossangriff zum inneren Mauerring vorzustossen, den die Verteidiger aber zunächst halten konnten.
Drei Tage später war es so weit: Im Morgengrauen griffen die Mamluken auf breiter Front an, und nach heftigen Kämpfen gelang es ihnen, den inneren Mauerring just bei jenem Turm zu erstürmen, der passenderweise «Turm der Verdammnis» (oder «Verfluchter Turm») genannt wurde. Jetzt strömten die muslimischen Heerscharen in die Stadt, und das Kampfgeschehen verlagerte sich in die Strassen und Häuser Akkons. Blutige Szenen spielten sich dort ab, und die Soldaten schonten weder die Kreuzritter noch die vielleicht 40'000 Bewohner der Stadt – auf Gnade konnten in diesen Zeiten nur Städte hoffen, die sich ergeben hatten.
Nur wenige Kreuzritter wussten zu entkommen, darunter König Heinrich und einige Notablen der Stadt, die sich noch rechtzeitig zum Hafen durchschlugen und mit einem der wenigen Schiffe dem Verhängnis entkamen. Derweil plünderten die Mamluken die Stadt, mordeten und vergewaltigten und nahmen die Überlebenden gefangen, auf die eine Zukunft in der Sklaverei wartete.
In diesem blutigen Chaos leisteten nur noch einige Ritter in der Johanniterkommende und im Deutschordenshaus Widerstand, zudem hatten sich einige überlebende Kreuzritter in der «Eisenburg» der Templer gesammelt. Die Verteidiger der Widerstandsnester gaben auf, als der Sultan ihnen freies Geleit zusicherte. Die Templerburg als letzte Zuflucht wurde unterminiert und brach am 28. Mai über den Rittern zusammen. Nur wenige Überlebende entkamen durch einen Tunnel zum Hafen und per Schiff nach Sidon – darunter der spätere Templergrossmeister Thibaud Gaudin, der den Ordensschatz der Templer mitnahm.
Obwohl Sultan Chalil den Kreuzrittern, die sich ergeben hatten, freien Abzug versprochen hatte, liess er ihnen allesamt den Kopf abschlagen – bis auf ein paar wohlhabenden Rittern unter ihnen, für die reichliches Lösegeld zu erwarten war. Dies war die Rache für das Massaker, das die «Franken» – so nannten die Bewohner der Levante die Europäer unterschiedslos – im Jahr zuvor an den muslimischen Händlern verübt hatten. Und die Muslime hatten auch nicht vergessen, dass König Richard Löwenherz schon 100 Jahre früher nach der Rückeroberung der Stadt während des Dritten Kreuzzugs etwa 3000 gefangene Soldaten Saladins wegen Unstimmigkeiten über die Erfüllung der Kapitulationsbedingungen hatte vor den Mauern Akkons exekutieren lassen.
Der Sieg der Mamluken verdankte sich zu einem grossen Teil ihrer gewaltigen Überzahl, aber auch der Reorganisation ihres Heereswesens in den vorangegangenen Jahrzehnten. Mehr noch fiel aber die Uneinigkeit unter den Kreuzfahrern ins Gewicht: Zahllose Streitigkeiten zwischen den italienischen Handelsstädten, den Ritterorden und weiteren Akteuren hatten die Staatsgründungen der Europäer unterminiert und geschwächt. Als die Mamluken Akkon eroberten, war dies nur der letzte Akt in einer langen Geschichte des Zerfalls der Kreuzfahrerstaaten.
Der Fall von Akkon besiegelte den endgültigen Untergang der Kreuzfahrerstaaten in der Levante. Die wenigen verbleibenden Stützpunkte der Europäer wurden nahezu ohne Widerstand an die Mamluken übergeben; die Kreuzritter zogen aus dem Heiligen Land ab; die Johanniter nach Rhodos, die Deutschritter ins Baltikum, wo sie fortan die heidnischen Litauer bekämpften. Damit endete die Ära der Kreuzzüge, die von der Christenheit als Rückeroberung der von den Muslimen lange zuvor eroberten heiligen Stätten initiiert worden waren – und der muslimischen Welt in der Levante bis heute als brutale Eroberung in Erinnerung blieb.