Bei vollem Bewusstsein im eigenen Körper gefangen zu sein, alles wahrzunehmen, aber nicht mehr sprechen zu können – es ist eine Horrorvorstellung. Durchlebt hat sie nach einem schweren Schlaganfall ein erst 36-jähriger Mann, der nur noch unverständliche Stöhn- und Grunzlaute von sich geben konnte. Dann wurde ihm ein Chip ins Gehirn implantiert und es gelang ihm, zumindest auf eine sehr rudimentäre Weise wieder zu kommunizieren – allein mit der Macht seiner Gedanken.
Von diesem Fall berichtete ein US-Forschungsteam kürzlich in der Fachzeitschrift «Nature». Es ist nur eine unter vielen Studien zu sogenannten Hirn-Computer-Schnittstellen, oder kurz BCIs (Englisch für «Brain Computer Interface»). Weltweit arbeiten Forschende an dieser Technologie, die mit Mini-Elektroden die Signale von Hirnwellen erfasst, diese an einen Computer weiterleitet und die Gedanken entschlüsseln soll. Die Hoffnung ist, schwerstgelähmten Patienten ein Leben in Würde und Selbstbestimmtheit zu ermöglichen.
Neben Universitäten treiben auch Techkonzerne die Entwicklung von Gehirnimplantaten voran, so auch Elon Musk, der reichste Mensch der Welt. Letzte Woche verkündete er, dass die Hirnimplantate seines Unternehmens Neuralink in sechs Monaten für Tests am Menschen bereit sein sollen.
Zwar konzentriert sich die Firma vordergründig ebenfalls auf medizinische Anwendungen. Aber geht es nach Musk, laufen wir bald alle mit Hirnchips herum, um Mensch und Maschine zu verschmelzen. Wie es auf der Firmenwebsite heisst, ist die langfristige Vision, BCIs zu entwickeln, «die so sicher und leistungsfähig sind, dass die breite Bevölkerung sie haben möchte».
Expertinnen und Experten mahnen derweil, die Technologie nicht leichtsinnig in unseren Alltag einfliessen zu lassen. So sagte etwa Nita Farahany, Neuroethikerin an der Duke University, gegenüber dem «Wall Street Journal» nach Musks Ankündigung: «Das Schreiben an das Gehirn birgt die grosse Gefahr, unsere Entscheidungen und Vorlieben zu manipulieren und ausser Kraft zu setzen.»
Alles, was wir denken, fühlen und erleben, wird durch die über 86 Milliarden Nervenzellen unseres Gehirns gesteuert. Dafür müssen die Neuronen miteinander kommunizieren, und das tun sie mit Hilfe von elektrischen Impulsen. Das entdeckte im 18. Jahrhundert bereits der italienische Naturforscher Luigi Galvani in Experimenten mit Fröschen: Ein elektrischer Funke, der an einen Nerv geleitet wird, aktiviert einen schlaffen Muskel. Diese schwachen elektrischen Signale messen auch die im Hirn implantierten Elektroden.
Der Elektroingenieur und Neurowissenschaftler Ricardo Chavarriaga von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) beschäftigt sich in seiner Forschung damit, wie Innovationen verantwortungsvoll vorangetrieben werden können. Er sagt:
Wie die Geschichte nämlich zeige, verwandelte unsere Spezies fast jede Entdeckung oder Erfindung, vom Atom bis zum Virus, letztlich in eine Waffe. Deshalb sei es richtig, dass unter anderem die Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) und das Europäische Parlament bereits Leitlinien für den Umgang mit der neuen Technologie in Wirtschaft und Forschung ausgearbeitet hätten.
Denn auch Neurotechnologie lässt sich missbrauchen: Vor ein paar Jahren löste der Neurobiologe Rafael Yuste von der Columbia-Universität Halluzinationen bei Mäusen aus, indem er ihre Nervenzellen stimulierte. Wieso, fragte er sich sorgenerfüllt, sollte eine solche Gehirnwäsche nicht auch beim Menschen funktionieren? Yuste ist überzeugt, dass Hirnimplantate einen sensiblen Angriffspunkt darstellen, um dereinst unsere Gedanken zu knacken und zu manipulieren.
Oder wie es der deutsche Neurophysiologe Pascal Fries lapidar formuliert: «Wenn ich jetzt im Freifeld funke wie ein Handy, dann habe ich natürlich auch die Möglichkeit, dass sich einer einhacken kann.» Die Möglichkeit eines «Brain Hacking» wurde experimentell denn auch bereits belegt: Beispielsweise «klauten» Forschende in einem Experiment einen vierstelligen PIN-Code aus dem Gehirn von Probanden, die ein frei käufliches Headset trugen, das die Hirnaktivität aufzeichnete.
Auch wenn das Szenario der umfassenden Gedankenmanipulation nach wie vor weit weg scheint, kann die Entblössung dessen, was wir fühlen und denken, zu Menschenrechtsverletzungen führen, wie Fachleute fürchten. Der Ethiker Marcello Ienca von der ETH Lausanne (EPFL) mahnte bereits vor fünf Jahren, dass die Neurotechnologie das Potenzial habe, die Freiheit des Geistes «in nie dagewesener Weise zu bedrohen». Er arbeitete aus, dass die bestehenden Menschenrechte möglicherweise um sogenannte Neurorechte erweitert oder präzisiert werden müssen, unter anderem mit dem Recht auf kognitive Freiheit, dem Recht auf geistige Privatsphäre und dem Recht auf geistige Unversehrtheit.
Solche Überlegungen sind nun auch in den Vereinten Nationen angekommen: Erst kürzlich nahm die UNO-Generalversammlung eine Resolution an, um in einer Studie mögliche Lücken in den Menschenrechten aufzudecken. Angetrieben wurde die Resolution von der Stiftung NeuroRights, deren Vorsitzender Rafael Yuste ist. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Menschenrechte aufgrund neuer technologischen Entwicklungen angepasst würden: 1997 wurden als Folge der Entschlüsselung des menschlichen Erbguts neue Rechte zum Schutz der persönlichen genetischen Daten beschlossen.
Die Forderung nach neuen Menschenrechten sei aus moralischer Sicht zwar verständlich, sagt Jan Christoph Bublitz von der Universität Hamburg, der an der Schnittstelle von Philosophie, Recht und Kognitionswissenschaft forscht. Aber er stört sich an der Art und Weise, wie die Debatte darum in manchen Kreisen geführt werde: mit viel Brimborium, grosser Symbolik und dem Drängen nach sofortigem Handeln. «Es ist wichtig, zwischen Science-Fiction und Realität zu unterscheiden. Aber das wird nicht immer gemacht, weil Science-Fiction die besseren Schlagzeilen gibt», sagt Bublitz.
In der Tat biete die Neurotechnologie besorgniserregende Möglichkeiten. Aber es brauche eine fundierte wissenschaftliche Evaluierung: «Haben wir ein Jahr oder zehn Jahre Zeit, bis die Neurotechnologie unseren Alltag beeinflussen wird? Das ist eine unglaublich wichtige Frage, weil sie die Debatte lenkt», so Bublitz. Seine Einschätzung: «Wir haben kein akutes Problem.» Die Menschenrechte gewährten einen umfassenden Schutz der Person und bedürften derzeit keiner Ergänzung.
Denn für ihn ist klar:
Wie andere Rechtsgelehrte warnt er vor einer «Inflation der Rechte und ihrer daraus resultierenden Entwertung». Wenn jedes Anliegen durch ein neues Menschenrecht geadelt werde, verlören diese ihre Wirkmächtigkeit.
Schon in der Zeit des Kalten Krieges alarmierte die Neurotechnologie die Öffentlichkeit. Damals wurde über Ansätze zur Umprogrammierung des Gehirns und zur Überwindung des freien Willens sinniert. Der Schrecken der Gehirnwäsche verschwand jedoch bald, als klar wurde, dass die Idee ein Hirngespinst war.
Wozu die Neurotechnologie fähig ist, lässt sich auch dieses Mal kaum abschätzen. Das mündet oftmals in einem Dilemma, das nach dem britischen Soziologen und Pionier der Technikfolgenabschätzung David Collingridge benannt ist. Das «Collingridge-Dilemma» besagt demnach, dass in der Anfangsphase einer neuen Technologie nicht genug über ihre potenziell schädlichen Folgen bekannt ist. Bis die Folgen deutlich werden, ist die Technologie bereits so fest in der Gesellschaft verankert, dass sie sich nicht mehr verändern, regulieren oder kontrollieren lässt.
Ein Beispiel hierfür sind die sozialen Medien. Gegründet Anfang der 2000er-Jahre war gänzlich unbekannt, wie sie unser Leben verändern würden. Nun, zwanzig Jahre später, kennen wir die negativen Folgen, die von der Verbreitung von Fake News über die politische Polarisierung bis hin zur Entstehung von Filterblasen reichen. «Werden wir all die Auswirkungen der Neurotechnologie früh genug erfassen können, um gegebenenfalls einzugreifen?», fragt der Neurowissenschaftler Ricardo Chavarriaga. Seine Antwort: «Ich weiss es nicht. Aber viele von uns bemühen sich, Wege zu finden, um den potenziellen Risiken zu begegnen.»
Es fehlt immer weniger bei Musk für den perfekten 007 Bösewicht😳
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