Unsere Ernährung ist für rund ein Drittel aller CO2-Emissionen verantwortlich. Deshalb setzt das Zürcher Start-Up «Eaternity» genau an diesem Punkt an: Es hat für 500 Lebensmittel eine Klimabilanz berechnet und diese auf einem Poster aufgelistet. watson hat alle Lebensmittel in einer durchsuchbaren Tabelle präsentiert.
Um die Lebensmittel fair miteinander vergleichen zu können, haben die ehemaligen ETH-Studierenden von «Eaternity» CO2-Äquivalente für eine vergleichbare Menge des Produktes angegeben, die einen Drittel des normalen Tagesbedarfs deckt. So wird für jedes Lebensmittel entschieden, welchen Anteil es an dem üblichen Tagesbedarf von Proteinen (50 g), Fetten (66 g), Energie (2000 kcal), Wasser (2500 g) und Trockengewicht (600 g) erfüllt und eine einheitliche Grösse für den Tagesbedarf berechnet.
Der watson-Artikel zum Poster hat viele Fragen aufgeworfen. In diesem Interview nimmt Manuel Klarmann, Gründer und Geschäftsführer von «Eaternity», Stellung dazu.
Das Lebensmittel-Ranking sorgte für viele Diskussionen in der Kommentarspalte. Eine oft gestellte Frage: Warum schneidet Essig so schlecht ab?
Manuel Klarmann: Hier spielt vor allem das Verhältnis CO2-Emissionen zu Tagesbedarf eine Rolle. Essig ist eine Säure, die grundsätzlich wenig zu unserer Ernährung beiträgt. Ein besseres Beispiel, um sich dies vorzustellen, ist Kaugummi: daran ist kaum etwas für den menschlichen Körper Verwertbares – doch es entstehen bei der Produktion gewisse Emissionen. Entsprechend fällt unsere CO2-Bilanz höher aus. Aus Klimagründen auf Essig zu verzichten, macht bei diesen geringen Mengen allerdings wohl auch wenig Sinn.
Ähnliche Argumente gelten in diesem Fall wohl auch für Gewürze?
Genau. Gewürze tragen sehr wenig zu unserem Energiebedarf bei und verursachen trotzdem einige Emissionen bei der Verpackung, beim Transport und im Verkauf. Sie sind mehr der Vollständigkeit halber auf unserem Plakat, fallen aber kaum ins Gewicht.
Wie sieht es beim Alkohol aus? Spirituosen und Wein schneiden überdurchschnittlich schlecht ab.
Da sieht es etwas anders aus. Alkoholische Getränke liefern Kalorien, sie haben also im Vergleich zu Gewürzen einen gewissen Nährwert. Dieser steht allerdings in einem schlechten Verhältnis zum Aufwand, den man hat, um Alkohol herzustellen. Entsprechend schlecht schneiden alkoholische Getränke ab.
Aber Alkohol ist sowieso ein Spezialfall, man trinkt ihn ja selten, um den Durst oder Hunger zu stillen. Es ist mehr ein Luxusgut. Man kann es mit der Anschaffung eines Sportwagens vergleichen: Es gäbe klimafreundlichere Alternativen, die denselben Zweck erfüllen. Der Konsum von Alkohol trägt also nichts zur CO2-Reduktion bei.
Einige User haben sich daran gestört, dass Bärlauch zur klimaschädlicheren Hälfte der Lebensmittel gehört. Viele Bärlauchliebhaber pflücken ihn direkt im Wald, was ist daran klimaschädlich?
Gar nichts – das ist natürlich eine sehr klimafreundliche Variante. In unserem Rechenbeispiel haben wir mit Bärlauch gerechnet, der in den Verkauf kommt. Dazu müssen die Pflücker Transportwege zurücklegen und die Ware muss verpackt werden. Der Nährwert von Bärlauch ist aber fast gleich null, er weist weder Proteine, noch Fette oder Energie auf. Entsprechend schneidet er im Ranking schlechter ab.
Ähnlich ist es übrigens bei Waldpilzen. Andere Pilze wie zum Beispiel Austernpilze kommen sogar aus dem Gewächshaus, das selbst Emissionen produziert. Auch hier gilt: (Viel) Aufwand für wenig Nährwertertrag.
Eingelegtes Gemüse schneidet deutlich schlechter ab als frisches. Was ist hier der Grund?
Wir haben hier mit eingelegten Peperoni gerechnet – zugegeben ein Gemüse, das auch frisch schon eine relativ schlechte Klimabilanz hat. Mit klimafreundlicheren Alternativen wie Kürbis würde die Rechnung besser aussehen.
Doch es stimmt schon, dass beispielsweise beim Fermentierungsprozess von Sauerkraut und durch die Verpackung gewisse Emissionen hinzukommen. Wer das Gemüse aus dem eigenen Garten einmacht, muss sich jedoch keine Gedanken machen: Durch's Kochen fallen zwar einige Emissionen an, dafür fällt beispielsweise der Transport weg.
Wenn wir gleich beim Gartengemüse sind: Wie kann es sein, dass Avocados eine bessere Klimabilanz haben als Tomaten?
Das hängt wieder mit den Nährwerten zusammen: Eine Avocado liefert viele Fette, die ein menschlicher Körper braucht. Eine Tomate liefert verhältnismässig sehr wenig Nährstoffe, der Tagesbedarf ist also deutlich höher. Im Verhältnis liegen dann beide wieder ähnlich auf. Entscheidend ist die konsumierte Menge.
Und wie kommt der CO2-Ausstoss bei Wildfleisch zustande? Da wird ja nicht aktiv produziert.
Wir haben in unserem Beispiel mit Zuchtwild gerechnet. Aber Fleisch oder Fisch direkt aus der Wildnis ist tatsächlich ein Zwiespalt. Einerseits könnte man sagen: Die einzigen Emissionen entstehen da beim Schiessen oder Fischen; Transportieren und Verpacken. Im Vergleich zu den gelieferten Nährwerten würde Wildfleisch oder -fisch sehr gut dastehen.
Doch andererseits sind diese Ressourcen limitiert. Aus dem Zürichsee wird beispielsweise pro Jahr 240 Tonnen Fisch gefangen, das ergibt ungefähr einen Fisch pro Person im Jahr im Kanton Zürich. Wild muss man eher als klimafreundlichen Geheimtipp für Ausnahmesituationen ansehen. Es löst unsere Klimaprobleme nicht.
Da das in der Praxis niemand macht, ist die ganze Angelegenheit auch nach diesem Interview immer noch sinnlos. Eine Avocado ist schlechter fürs Klima als Tomaten, und das Gegenteil zu titeln ohne erklärende Relativierung halte ich für verwirrend und gefährlich.
Damit ist Alkohol (zumindest in der reichen westlichen Welt) realistischerweise eben gerade kein Spezialfall.
Wer kann schon von sich behaupten, die möglichst effiziente Kalorienaufnahme stehe für ihn beim Essen im Mittelpunkt?
Wer isst ausgerechnet deshalb Speck, weil er damit sehr schnell sehr VIELE Kalorien aufnehmen kann?