Spitzen soll es haben. Cremefarben. Das Datum hatte sie gewählt. Die Gästeliste geschrieben und über Wochen an Kartenentwürfen gebastelt. Ganz aufgeregt war sie beim Erzählen. Gespannt und freudig hörte die Freundin zu. Bis der Satz fiel: «Jetzt muss er mich nur noch fragen.»
Da plant eine junge, attraktive Frau fast schon minutiös ihre Hochzeit, obwohl sie gar nie einen Antrag bekommen hat? Obwohl ihr (hoffentlich) Zukünftiger gar nichts von seinem Glück (Schicksal) weiss? Aber die Frage, die sich am meisten aufdrängt, ist doch: Warum fragt sie nicht einfach ihn?
Im nicht existierenden aber trotzdem geltenden Heiratskodex steht: Der Antrag ist Männersache. Frauen, die fragen, sind rar. Und die, die sich trauen, werden in Onlineforen mit patriarchal-chauvinistischen Sätzen wie «Ich finde es unpassend und grotesk, was du vorhast» befeuert.
Sara, die nach acht Jahren Beziehung ihrem Freund einen Heiratsantrag machte, findet diese Frauen «alle total unemanzipiert.» Seit über 30 Jahren kämpfen Frauen für Gleichberechtigung und gegen Geschlechterstereotypen. An der Arbeitsfront, an der Cashfront, bei der Kinderbetreuung. Doch scheint es um die Hochzeit zu gehen, dann fällt die Frau zurück in die Fünfzigerjahre. Will eine «Old School»-Hochzeit. Will Prinzessin sein.
Können wir als Gesellschaft vollkommene Gleichberechtigung nur erreichen, wenn Frauen auch in der letzten Bastion, der voller Klischee triefenden Heirat, die Zügel in die Hand nehmen? Oder haben solche Traditionsrituale gar nichts mit Emanzipation zu tun?
Fleur Weibel ist Soziologin an der Universität Basel und untersucht, wie Geschlechterverhältnisse an Hochzeiten verhandelt werden. Dazu beobachtet sie aktuelle Hochzeitspraktiken in der Schweiz, war bei mehreren Trauungen dabei und befragte 24 Brautleute nach der Bedeutung dieses Rituals.
Zunächst, sagt die Soziologin, müssen wir uns fragen, wie viele Frauen wollen tatsächlich eine komplette Gleichberechtigung. Die Bräute ihrer Studie zumindest würden nicht alle ein total emanzipiertes Modell anstreben. Die meisten Paare entscheiden heutzutage gemeinsam, dass sie heiraten wollen. «Zum Beispiel, wenn sie eine Familie gründen möchten», erklärt Weibel. In den meisten Fällen macht der Mann dann aber zusätzlich noch einen romantischen Antrag.
Dem stimmt auch Gabriela Rub zu. Seit acht Jahren organisiert sie Hochzeitszeremonien und betreut eine Website zum Thema Hochzeitsantrag. «Es fragt immer der Mann», sagt Rub. Das werde vonseiten der Frau erwartet.
Rub und Weibel sprechen beide von einer starken Erwartungshaltung der Frau. Sie haben beide schon erlebt, wie Frauen bis zum Tag vor der Hochzeit noch hofften, dass er romantisch fragt. Vergebens. Die Enttäuschung, so sagt eine Braut im Interview mit Forscherin Weibel, sei heute noch gross.
Einige Studien-Paare von Weibel waren sich auch einig: Dieses ganze Theater passt nicht zu uns. Ein Heiratsantrag, das ist nicht unser Stil. Dafür würde man ständig vom Umfeld konfrontiert. Man hätte ja dann keine Geschichte zu erzählen à la «Wir waren im Urlaub, am Strand, die Sonne ging unter, plötzlich…».
Gleichzeitig gibt es die Selbstinszenierer mit Eventisierungstendenzen: Sie «chartern» Sportereignisse, Konzerte oder performen Strassenflashmobs für einen Antrag und verbreiten dieses intime Erlebnis stolz und selbstgefällig auf Social-Media-Kanälen.
Während Frauen mit einer gewaltigen Erwartungshaltung auf den Antrag hoffen, stehen Männer unter enormem Druck. Entweder möchten sie gar nicht, aber die Freundin will doch so unbedingt. Sie zögern es hinaus oder wissen einfach nicht, wie sie es anstellen sollen.
Seit Anträge und Hochzeiten immer öfters online mitverfolgt werden, ist die Messlatte hoch: Einstudierte Songs, Feuerwerke wie zu 1.-August-Zeiten, Live-Antrag im Fussballstadion – immer mit dem funkelnden Diamantring von Tiffanys in der Hosentasche. Kein Wunder, zittern die Männer.
Weibel erzählt von einer Frau, die so enttäuscht war vom Heiratsantrag, dass sie ihren Zukünftigen aufforderte, noch einen besseren zu machen. Der kam auch. Heute wird natürlich nur die zweite Geschichte erzählt.
Aber alles auf die Frau zu schieben, greift zu kurz. «Es ist auch für viele Männer wichtig, dass sie die Initiative ergreifen. So können sie sich als romantisch profilieren und werden zugleich ihrer Rolle als aktiver Mann gerecht», erklärt Weibel. Youtube-Videos, in denen er den Antrag macht und sie heult, würden umgekehrt auch nicht gut funktionieren. Wer im Netz nach dem Begriff Heiratsantrag sucht, findet ausschliesslich kniende Männer.
Unemanzipiert? Dieser Frage widmete das deutsche Journal «Gender. Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft» eine ganze Ausgabe. Andrea Brühlmann schreibt in einem Aufsatz: «Immer weniger Menschen orientieren sich in ihrer empirisch-konkreten alltäglichen Lebensführung an hegemonialen Leitbildern der Hausfrauenehe. Daher irritiert es, dass gerade bei Hochzeiten die Unterschiede zwischen den Geschlechtern bekräftigt werden.»
Die paradoxe Situation: auf der einen Seite die Aufhebung der strikten Rollenverteilung und auf der anderen Seite die Re-Traditionalisierung der Geschlechterrollen bei Hochzeiten. Auch Gabriela Rub macht klar: «Traditionen und Rituale sind uns trotz den Veränderungen immer noch sehr wichtig.» Die Forscher sprechen davon, dass moderne Paare ein hierarchisches Geschlechterverhältnis auf einer symbolischen Ebene inszenieren.
Dieser Meinung ist auch die Schweizer Forscherin Weibel, sie umschreibt es als «Begehren nach Differenz». Weil sich die Rollen des Mannes und der Frau im Alltag immer mehr angleichen, wollen sie wenigstens für einen Tag ausbrechen. «Weil sich die Paare als gleichberechtigt verstehen, ist eine Hochzeit nach alten Werten okay», sagt Weibel.
Die Stereotypisierung von Mann und Frau sei ein Stück weit ein Spiel. Frauen wollen einen Tag lang Prinzessin sein. Heute umso mehr, weil sie es sonst nicht mehr sein können. So bestehen sie auf ein weisses Kleid, der Vater bringt sie zum Altar und auf den Heiratsantrag aus dem Mund des Mannes. «Diese Art der Hochzeitsinszenierung finden die Paare überhaupt nicht rückständig», sagt Weibel. Auch emanzipierte Frauen können traditionelle Hochzeitsromantik einfordern.
Übrigens, die Frau mit Spitzentraum kam auch noch zu ihrem Antrag. So wie vergangene Woche ein Radio-Hörer. Ein Sender rief Frauen dazu auf, ihre Männer zu bitten. Prompt meldete sich eine junge Dame. Ein Live-Antrag. Stottern. Tränen. Freude. So einfach zeigt also eine moderne Frau, wie Frau Mann fragt. Wie egal es ist, wer wen fragt. Wäre da nicht ganz am Ende die schwachsinnige Aussage des Mannes, die unsere Gesellschaft im Nu wieder ins Mittelalter katapultiert hat: «Aber Schatz, das isch doch mini Ufgab.»