Puristen verachten das Fest am Ende des letzten Monats im Jahr. «Alles bloss Kommerz, wir feiern unsere eigene Versklavung am Kapitalismus, so 'n Scheiss, dieser Heiligabend!», motzen sie vor sich hin und lehnen den Becher voller Glühwein, der ihr Ticket zur pathetischen Ausgelassenheit sein könnte, kommentarlos ab.
Dem Vorwurf, dass Weihnachten, so wie wir es heute feiern, nur wenig bis gar nichts mehr mit der Huldigung von Jesu Geburt zu tun habe, würden wahrscheinlich sogar Hardcore-Christen zustimmen.
Nur ist dies nicht der Punkt. Die Geburt des christlichen Messias war nie wirklich der Grund, weshalb wir uns an Heiligabend oder am 25. Dezember Geschenke machen, dekadent essen, Kerzen anzünden und Stechpalmen schmücken.
Das Weihnachtsfest ist ein Kult, der schon seit Jahrtausenden anlässlich der Wintersonnenwende auf der nördlichen Hemisphäre zelebriert wird. Von den Ägyptern über die Babylonier bis zu den Römern, den Germanen und Kelten – sie alle feierten die länger werdenden Tage mit kuriosen Bräuchen. Nur die ersten Christen weigerten sich, dem heidnischen Fest zu frönen.
Die römischen Saturnalien fanden traditionell am 17. Dezember statt. Sie waren ein ausgelassener Anlass, der von einem zunächst auf zwei und später sogar bis auf zehn Tage ausgedehnt wurde.
Männer verkleideten sich als Frauen, Sklaven als Hausherren, es wurde gefressen bis zum umfallen, nackt gesungen und gevögelt, so viel man nur konnte.
Fenster und Plätze waren mit Pflanzen geschmückt. Mehrheitlich mit Lorbeersträuchern, deren rote Beeren an die heute überall verbreiteten Christbaumkugeln erinnern.
Auch Richter, Polizisten und Politiker wagten es nicht, während der höchsten Festtage im Jahr zu arbeiten. Sie nahmen am kollektiven «Unsittlich-Sein» teil, sodass über ganz Rom tagelange Anarchie hereinbrach.
Sklaven, Kindern und Schülern war es erlaubt, ihre Vormünder zu beleidigen, sie in kalte Brunnen zu schmeissen oder sie öffentlich nachzuäffen.
Gerechtfertigt wurde das antike Tohuwabohu durch den Gott Saturn, Herr über Zeit und Saat. Für die Römer symbolisierte er das goldene Zeitalter, einen Zustand vor der Zivilisation, in dem perfekte Menschen ohne Macht und Habgier in Eintracht mit Natur und Moral lebten.
Das Schwelgen im sorgenfreien Naturzustand hatte jedoch seinen Preis: Menschenopfer.
Die Festlichkeiten der Saturnalien begannen traditionell mit der Opferung eines Menschen im Saturntempel auf dem Forum Romanum. Ein besonders schönes Saturn-Fest soll es gegeben haben, wenn das Opfer ein Kind war.
Im Jahre 274 n. Chr. brachte der römische Kaiser Aurelian den unbesiegten Sonnengott Mithras von seinen Schlachten in Kleinasien nach Hause ins Römische Reich.
Er weihte ihm das pompöse Finale der Saturnalien. Der 25. Dezember, der im julianischen Kalender die Wintersonnenwende datiert, wurde fortan zum Geburtstag der wachsenden Sonne.
Alle fanden's toll oder es war ihnen egal. Denn das Saufgelage und die Orgien wurden unverändert, wenn nicht sogar derber (dem neuen Gott muss schliesslich gebührend Dank demonstriert werden) abgehalten.
Die Wintersonnenwende war für etliche Kulturen Anlass zum Feiern:
Nur die ersten Christen hatten keinen Bock auf Saufen im Dezember.
Auf freiem Feld. Mitten im Winter. Während der palästinensischen Regenzeit. – «Mhm, genau», dachten sich die damaligen Christen mit rollenden Augen und lehnten das Kultfest um die Wintersonnenwende ab.
Ihre Sonne war Jesus Christus und über dessen Geburtstermin war gerade mal so viel bekannt, dass der 25. Dezember dafür definitiv nicht in Frage kommt.
Während sich also ganz Rom die Kante gab, blieben die Christen ihrem Heiland treu – und warteten sehnlichst auf das Osterfest im Frühjahr.
«Halt, halt, halt!», mag die Stimme im Kopf des Abendländers nun protestieren, «Christen mochten Weihnachten nicht, also die Saturnalien, beziehungsweise die Sonnenwendfeiern – das heisst, Pfarrer Müller hat gelogen und in die Kirche ging ich die ganzen Jahre vergebens?»
Wer den Geschichtsunterricht nicht verpennt hat, weiss: Kaiser Konstantin ist der Grund, wieso das Dorfbild einer jeden zentraleuropäischen Gemeinde ein Kirchturm ziert, wir getauft werden, den Religionsunterricht über uns ergehen lassen und wieso wir Weihnachten feiern.
Angeblich war dem römischen Imperator während einer Schlacht Gott begegnet, weswegen er sein Reich vollständig «verchristlichen» liess und alle anderen Religionen verbot.
Zunächst versuchte er auch die feriae saturnalia zu streichen, womit er wohl ein ähnliches Ergebnis erzielte, wie wenn man einem Teenager den Ausgang zu verbieten versucht.
Doch eigentlich kam das Fest um den 25. Dezember den christlichen Missionaren sehr gelegen. Im ganzen Reich von Konstantinopel bis Schottland hatten die verschiedenen Ethnien zu diesem Zeitpunkt ihre eigenen Feste.
Allen zu verklickern, dass mit der wachsenden Sonne, die sie seit Jahrtausenden feiern, eigentlich Jesus Christus gemeint ist, war politisch gesehen eine geniale Strategie zur Missionierung.
354 n. Chr. legte Papst Liberius schliesslich den 25.12. als offizielles Geburtstagsfest des Erlösers fest. Diesen Tag zu feiern, war von nun an obligatorisch.
Die verschiedenen Bräuche um die geweihte Nacht schmolzen zum Fest zusammen, wie wir es heute kennen.
Die Römer zogen sich Kleider an und frassen weiter, die Lichter der Germanen brennen noch heute in Form von bunten Kerzen in der Adventszeit und als Menschenopfer halten heute Gritti-Bänze den Kopf hin.
Die religiösen Hintergründe verschwanden zwischen Mittelalter und Neuzeit immer mehr und machten Platz für überdrüssige Festtagsmenüs (gell, Baroni), kitschige Blockbuster und übertriebene Weihnachtsgeschenke.
Dem X-Mas-Fest kommerziellen Charakter vorzuwerfen, ist etwa genauso lächerlich, wie deinem Grosi zu unterstellen, sie trage altmodische Klamotten.
Heiligabend und Weihnachten drehten sich also schon immer darum, sich selbst und seinen Nächsten etwas Besonderes zu gönnen. Früher war das eine Massenorgie – und heute ist es halt Glühwein.
(inb)