Zum Glück gibt es Emmanuel Macron. Er kommt gerade recht, um Marine Le Pen zu verhindern. Denn die «grossen Parteien» mit grosser Tradition sind dazu nicht mehr fähig.
Andernorts ist das nicht anders. In Österreich war zum Glück ein Grüner da. Italien hat seine «Forza-Bewegungen» fast schon hinter sich, aber würde sich Matteo Renzi einen «Christdemokraten» nennen, könnte er gleich einpacken. Cameron und sein Tory-Party krochen UKIP auf den Leim. Gegenüber den populistischen «Bewegungen», die sich überall gebildet haben, hatten die traditionellen Volksparteien nicht mehr viel aufzubieten.
Deswegen die Demokratie für gefährdet halten oder den Medien die Schuld zu geben, weil sie auf die, welche sich gut zu inszenieren wissen, hereingefallen wären, ist zu einfach. Die Demokratie deswegen zu kritisieren, verbietet sich schon deswegen, weil wir nichts anderes haben oder wollen können. Und ohne Medien würde auch die Demokratie nicht funktionieren.
Deshalb muss man erklären, warum die Traditionsparteien leiden.
Parteien sind für eine partizipative Demokratie unverzichtbar. Das liegt am System. Oft wird «Demokratie» mit der Floskel übersetzt: «Das Volk herrscht.»
Das ist nicht nur eine falsche Übersetzung, sondern auch eine falsche Auffassung. In der Demokratie «regiert» nicht das Volk, sondern die Regierung. «Kratos» auf Griechisch heisst «Macht». Demokratie ist also eine Staats- oder Regierungsform, wo der Demos, das Volk, zwar die Macht hat, aber eben gerade nicht herrscht oder regiert. Im Gegensatz zur Oligarchie oder der Monarchie wo klar ist, wer herrscht.
Dass die Herrschaftsfrage in der Demokratie etwas diffus ist, ist gewollt.
Wie übt das Volk jetzt seine Macht aus? Es wählt die Regierung und kontrolliert sie – und wählt sie ab, wenn es nötig ist.
Bei dieser Machtausübung sind die Parteien den Bürgern eine wertvolle Hilfe. Dies – neben vielem andern – vor allem in zweifacher Hinsicht: Sie sorgen für Nachwuchs bei der Besetzung der Ämter, sind also «Vor-Wahl-Auswahlmaschinen»; und sie sorgen für eine gewisse ideologische Identität, ihre Wähler «wissen» einigermassen, wofür sie stehen. Als Wähler fühlt man sich «zu Hause» bei einer bestimmten Partei. Dass diese Identitäten keineswegs fest sind, sondern sich dauernd im Wechsel befinden, macht das nicht falsch.
Es zeigt aber, dass die Volksparteien hier versagt haben. An ihren ideologischen Kern wird nicht mehr geglaubt. Dass sie politisches Personal produzieren, macht sie in den Augen der Wähler jetzt sogar verdächtig: zu Machtklüngeln, wo man «nur für sich» schaut.
Parteien entstehen nicht auf der grünen Wiese. Sie bilden sich entlang gesellschaftlicher Konfliktlinien. Das Links-rechts-Schema, heisst es, komme von der französischen Nationalversammlung. «Links» sassen republikanische, eher zu Ideen der Revolution neigende Abgeordnete, «rechts» diejenigen, deren Sympathien eher bei der Monarchie und der Ständeordnung lagen.
Das Schema «liberal – konservativ» bekam dann in einigen Ländern zusätzlich eine «religiöse» Färbung (säkular – katholisch), ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert bedeutete «links» sozialistisch oder sozialdemokratisch, deutete also auch eine quasi-philosophische Dimension an. «Links» war dann ein Vertrauen auf moralische Werte oder Geschichtsmächte (oder beides), die «Gerechtigkeit» oder Ähnliches bewerkstelligen sollten, «rechts» stand für «Freiheit» im Sinne von Gewährenlassen – oder wirtschaftspolitisch gesprochen für «Markt».
Politische Parteien orientieren sich so, dass sie Antworten liefern, auf Probleme, welche die Bürger beschäftigen. Seit dem letzten Viertel des letzten Jahrhunderts standen die Demokratien immer stärker «unter Stress».
Die Symptome waren: steigende Verschuldung der Staaten und der Privaten, Angst vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg und der zunehmende Migrationsdruck. Weil sie Wirkungen haben sind diese Dinge zwar nur Symptome einer vermuteten grösseren Entwicklung, aber trotzdem «real». Was gaben die traditionellen Parteien den Bürgern für Antworten auf diese Stresssymptome?
Einfacher fällt die Antwort bei den Linken. Gegen die wirtschaftlichen Probleme empfahlen sie mehr Staatsintervention (das bedeutet in der Regel mehr Steuern und wird abgelehnt) und gegen die Migration hatten sie nichts anzubieten, das wäre «Verrat» gegenüber ihren Solidaritätsidealen (alle Menschen sind Brüder und Verfolgten soll man helfen).
Die Rechten fühlten sich vorerst bestätigt: Der «Keynesianismus» funktionierte nicht, weil Verschuldung und Arbeitslosigkeit weiter stiegen. Also war «Liberalisierung» richtig. Und das tat man, auch weil die «Globalisierung» das zu fordern schien. Die Unternehmen mussten «optimieren», sie senkten die Kosten und/oder gingen gleich. Und die Banken suchten sich Geschäftsfelder, die mehr Ertrag versprachen als die langweiligen Unternehmenskredite. Auf die Herausforderung der Migration hatten sie allerdings auch nicht viel mehr zu bieten als Rhetorik. Zu wenig, um die Bewegungen zu bremsen, die von der Angst profitierten und sie nach Bedarf verstärkten.
Die Ausnahme bei den Linken war Deutschland mit der viel umjubelten «Schröder-Agenda». Jetzt klopfen sie sich dort auf die Schultern: So konkurrenzfähig waren wir noch nie. Dass dem Rest der Welt (inklusive EU) der deutsche Exportüberschuss nicht besonders gefällt, ist manchen egal. Was wird Macron jetzt machen? Sich Deutschland annähern – und ein französischer Schröder werden? – oder auf Konfrontation gehen – für die EU?