Wissen
Interview

Alzheimer-Prävention: So hältst du dein Gehirn jung

FILE - A doctor points to PET scan results that are part of a study on Alzheimer's disease at Georgetown University Hospital, on Tuesday, May 19, 2015, in Washington. (AP Photo/Evan Vucci, File)
Bei der Alzheimer-Krankheit kommt es zu Ablagerungen von zwei Proteinen im Gehirn: Amyloid-beta und Tau. Sie führen zum Absterben von Nervenzellen.Bild: keystone
Interview

Alzheimer-Forscherin erklärt, wie man das Gehirn jung hält

Die Alzheimer-Forscherin Hannah Scheiblich hat einen Mechanismus entdeckt, mit dem das Immunsystem die Nervenzellen vor dem Tod bewahrt. Sie stellt damit bisherige Annahmen zu den giftigen Eiweissablagerungen im Hirn infrage.
01.02.2025, 22:02
Stephanie Schnydrig / ch media
Mehr «Wissen»

Hannah Scheiblich beugt sich über das Mikroskop, ihre Finger drehen an den Einstellrädern, bis das Bild gestochen scharf ist. Sie hält kurz inne, ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. «Die sind einfach wunderschön», sagt sie. Es ist eine kindliche Neugier und Begeisterung, welche die 38-jährige Forscherin immer noch verspürt, wenn sie die winzigen, milchig-weissen Kügelchen erblickt. Zoomt sie näher heran, offenbart sich ein Geflecht von ineinander verschlungenen Ästen und sternenförmigen Gebilden.

Was sich in der Petrischale befindet, sind Mini-Gehirne, sogenannte Organoide, die aus menschlichen Stammzellen gezüchtet werden und einen einzigartigen Blick in das komplizierteste Organ erlauben, das die Natur je hervorgebracht hat.

Die Medizin hat bei Krankheiten wie Krebs, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen riesige Fortschritte erzielt. Beim Gehirn scheint sie an ihre Grenzen zu stossen. Warum?
Hannah Scheiblich:
Das Gehirn ist so komplex, dass wir seine Mechanismen noch kaum verstehen. Tatsächlich ist es schlechter erforscht als weite Teile des Ozeans. Das liegt vor allem daran, dass wir aus ethischen Gründen keine Experimente an menschlichen Gehirnen durchführen können. Die meiste Forschung basiert daher auf Tiermodellen, vor allem an Mäusen und Ratten. Aber die Erkenntnisse daraus lassen sich nicht uneingeschränkt auf den Menschen übertragen.​

Was tragen die Hirn-Organoide bei?
Diese künstlichen Hirne, die ein noch relativ junges Forschungsmodell darstellen, bieten uns die Möglichkeit, menschliche Prozesse besser nachzubilden und zu untersuchen. Dadurch erlangen wir grossartige Einblicke in komplexe Prozesse und können unser Verständnis über neurologische Erkrankungen erheblich verbessern. Und das ist dringend nötig, denn die Zahl der Demenzerkrankungen wird in Zukunft dramatisch steigen.​

Warum?
Weil wir immer älter werden. Altern ist der grösste Risikofaktor für die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz. Hinzu kommt, dass unser Lebensstil das Risiko weiter erhöht: Wir bewegen uns zu wenig, ernähren uns ungesund und setzen uns zu viel Stress aus. All das schädigt das Gehirn – oft unbemerkt, bis es längst zu spät ist.​

Die Schädigung ist bereits vor den ersten Symptomen da?
Ja, das ist ein ganz schlimmer Gedanke, nicht? Dass der Zerfall vielleicht schon längst eingesetzt hat und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis das grosse Vergessen einsetzt. Wir wissen das aus langjährigen Untersuchungen an Patienten, die an der familiären Alzheimer-Krankheit leiden.​

Diese Patienten tragen eine genetische Mutation, die mit hoher Sicherheit zu einem Ausbruch der Krankheit führt. In den Hirn-Scans sehen wir, dass die ersten Eiweisse im Gehirn schon zwanzig Jahre vor den ersten Symptomen akkumulieren. Fünf Jahre vor Auftreten der Symptome haben sich so viele toxische Proteine abgelagert, dass die neuronale Schädigung schon maximal ist, der neuronale Verlust riesig.

Solche Eiweissablagerungen kommen aber auch bei Menschen vor, deren Hirn kerngesund ist.
Das ist richtig. Auch in gesunden Patienten kann man Eiweissablagerungen als Nebeneffekt der natürlichen Alterung finden. Bei ihnen funktionieren allerdings das Verteidigungssystem und die Müllabfuhr des Hirns einwandfrei. Spezielle Immunzellen, die sogenannten Mikroglia-Zellen, schützen das Gehirn vor Eindringlingen, helfen nach Schädigungen, beispielsweise nach einem Schädel-Hirn-Trauma, wieder beim Aufbau und sie können die toxischen Eiweisse einkesseln, isolieren und abbauen, bevor sie die Nervenzellen abtöten. Wenn dieses komplexe Zusammenspiel nicht mehr richtig funktioniert, kommt der kognitive Zerfall.​

Die neuen Antikörpertherapien gegen Alzheimer wie Lecanemab haben viel Hoffnung ausgelöst. Wie wirken die Medikamente?
Die Antikörper markieren die toxische Form des Proteins Amyloid-beta, damit es für die Mikroglia besser sichtbar wird. So können die Mikroglia das Protein abbauen, bevor es Nervenzellen schädigt. Das ist wirklich ein Durchbruch in der Alzheimer-Forschung. Er kommt aber mit einigen Einschränkungen.

Welche sind das?
In klinischen Studien konnte Lecanemab den Krankheitsverlauf bremsen, aber nicht vollständig aufhalten. Zudem können Patienten mit bestimmten Risikogenen von unerwünschten Nebenwirkungen wie Hirnblutungen betroffen sein. Auch die Langzeitwirkung der Therapie bleibt aufgrund der bislang kurzen Verfügbarkeit unklar. Darüber hinaus zielen die Antikörper ausschliesslich auf Amyloid-beta ab, während das zweite zentrale Protein bei Alzheimer, das Tau, unbeeinflusst bleibt.​

Warum ist Tau so schwer angreifbar?
Tau befindet sich im Inneren der Nervenzellen, nicht wie Amyloid-beta ausserhalb. Normalerweise stabilisiert Tau das Zellskelett. Bei Alzheimer verändert sich jedoch seine chemische Struktur, sodass es seine Funktion nicht mehr erfüllen kann. Das Zellskelett bricht zusammen. Die sterbenden Zellen setzen dann giftiges Tau frei, das die Mikroglia entsorgen.​

Zu diesem Zeitpunkt ist es meist zu spät.
So lautet die Lehrbuchmeinung. Jedoch konnten wir kürzlich zeigen, dass Mikroglia sich über winzige Tunnel mit kranken Nervenzellen verbinden können. Durch diese Tunnel können Mikroglia krankhaftes Tau aus den Nervenzellen entfernen, bevor es Schaden anrichtet. Das könnte einen Paradigmenwechsel in unserem Verständnis über giftige Eiweissablagerungen im Gehirn darstellen. Wir beginnen allerdings gerade erst, diesen Prozess zu verstehen.​

Welche Rolle könnte er bei der Entstehung von Alzheimer spielen?
Im Alter werden die Mikroglia träger und weniger sensibel für Veränderungen in ihrer Umgebung. Genetische Mutationen können das Problem zusätzlich verstärken. Unsere Hoffnung ist, die natürliche Funktion der Mikroglia so zu unterstützen, dass sie länger vital und effizient bleiben – durch Medikamente oder gezielte Lebensstilinterventionen.​

Hannah Scheiblich.
Hannah Scheiblich.Bild: zvg
Hannah Scheiblich, Zellbiologin und Neurowissenschafterin, leitet am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln die Forschungsgruppe Neuroimmunologie des Alterns. Eigentlich träumte sie immer davon, Meeresbiologin zu werden. Doch schon in einer der ersten Biologievorlesungen an der Uni merkte sie, dass es das Gehirn ist, wofür sie wirklich brennt. Mit dem Meer verbunden fühlt sie sich heute noch beim Surfen.

Wenn das Altern die Mikroglia schwächt: Sind unsere Nervenzellen quasi mit einem Ablaufdatum versehen?
Das scheint nicht der Fall zu sein. Studien weisen vermehrt darauf hin, dass Nervenzellen sich an ihre Umgebung anpassen können.​

Sprechen Sie von dem Experiment, bei dem Nervenzellen von Mäusen in Ratten verpflanzt wurden?
Genau. Der Hintergrund dieses Versuchs war, dass Mäuse rund ein bis zwei Jahre leben, Ratten doppelt so lange. Wenn Nervenzellen einen einprogrammierten Todeszeitpunkt hätten, wären die Mäusezellen nach ein bis zwei Jahren abgestorben. Aber so war es nicht: Sie überlebten im Rattenhirn bis zu vier Jahre! Zellen passen sich demnach offenbar an ihre Umgebung an.​

Wie lange könnten menschliche Nervenzellen leben?
Das wissen wir nicht. Aber es gibt ein ausgefallenes Gedankenspiel, das in unserem Forschungsbereich kursiert.​

Erzählen Sie.
Man könnte menschliche Nervenzellen in das Gehirn eines Grönlandhais verpflanzen. Diese Tiere werden bis zu 500 Jahre alt. Wenn unsere Zellen so lange überleben würden, wüssten wir, dass sie theoretisch nahezu unbegrenzt haltbar sind.​

Warum wurde das noch nicht untersucht?
Solch ein Experiment ist ethisch heikel. Sowohl der Mensch als auch der Grönlandhai sind keine Labortiere. Ausserdem würde das Experiment Generationen von Forschenden beschäftigen, schliesslich würde eine Wissenschafterin allein das Experiment ja nicht überleben. Es ist also kaum umsetzbar.​

Was können wir tun, um die Lebenszeit unserer Nervenzellen zu verlängern?
Deren Umgebung, also das Gehirn, jung zu halten, ist entscheidend – und wir haben mehr Einfluss darauf, als viele glauben. Nur etwa ein Prozent aller Alzheimerfälle ist genetisch bedingt, den Rest haben wir selbst in der Hand. Bewegung, gesunde Ernährung, kein Rauchen, wenig bis gar kein Alkohol – das sind die Klassiker, die wirklich helfen. Bewegung in der Natur, etwa Waldbaden, ist besonders gut: Man bewegt sich und stimuliert gleichzeitig die Sinne.​

Was halten Sie von Nahrungsergänzungsmitteln wie Omega-3-Fettsäuren, die positiv für die Gehirngesundheit sein sollen?
In Fällen von Mangelerscheinungen kann die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln durchaus sinnvoll sein, insbesondere wenn aufgrund von Unverträglichkeiten oder Krankheiten bestimmte Nährstoffe nicht ausreichend über die Nahrung aufgenommen werden können. In solchen Situationen sollte der Mangel jedoch diagnostiziert und die Supplementierung in Absprache mit einem Arzt erfolgen. Wer gesund ist und sich ausgewogen ernährt, kann auch solche Präparate aber verzichten. Viele dieser Mittel sind überdosiert und bringen oft wenig.​

Werden wir Alzheimer eines Tages nicht nur durch Prävention verhindern, sondern auch heilen können?
Das hoffe ich, doch mit Sicherheit lässt sich das derzeit nicht sagen. Obschon die Ansätze der neuen Medikamente vielversprechend sind, wirken sie nur, wenn sie in einem frühen Krankheitsstadium verabreicht werden. Zentral ist deshalb, zuverlässige Marker zu etablieren, mit denen sich Alzheimer routinemässig diagnostizieren lassen wird.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Billigst-Spielzeug von Temu und Shein im Labor untersucht
1 / 11
Billigst-Spielzeug von Temu und Shein im Labor untersucht
Ein Stoff-Spielzeug (mit weicher Füllung) aus China, bestellt über die Temu-App. Dieses Produkt sehen die Fachleute als besonders problematisch ...
quelle: schweizer spielwaren verband (svs)
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Das älteste «Schmetterlingskind» der Schweiz
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
12 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Mirabella
01.02.2025 23:34registriert November 2020
Kurzantwort aus dem Text:
"Nur etwa ein Prozent aller Alzheimerfälle ist genetisch bedingt, den Rest haben wir selbst in der Hand. Bewegung, gesunde Ernährung, kein Rauchen, wenig bis gar kein Alkohol – das sind die Klassiker, die wirklich helfen. Bewegung in der Natur, etwa Waldbaden, ist besonders gut: Man bewegt sich und stimuliert gleichzeitig die Sinne.​"
785
Melden
Zum Kommentar
12
    Studie zeigt: Rechtspopulismus und Fake News gehen Hand in Hand
    Radikale Rechtspopulisten verbreiten auf X, ehemals Twitter, viel mehr Falschinformationen als Abgeordnete anderer Parteien. Dies zeigt eine neue Studie der Universität Amsterdam.

    Für die besagte Studie haben der Sozialwissenschaftler Petter Törnberg und die Politikwissenschaftlerin Juliana Chueri der Universität Amsterdam zwischen 2017 und 2022 insgesamt 32 Millionen Tweets von 8198 parlamentarischen Abgeordneten aus 26 westlichen Demokratien ausgewertet. Dabei wurden die auf den Tweets verlinkten URLs nach deren «factuality» (zu Deutsch: Faktizität, auf Fakten basierend) bewertet. Ziel war es, herauszufinden, ob gewisse politische Parteien oder Strömungen häufiger Fake News verbreiten als andere.

    Zur Story