«Hier auf dem Schiff ist es sehr langweilig [...]. Die Kabinen sind sehr klein und die Betten hart, das Essen ist sehr ärmlich und schlecht; seit wir von San Francisco weg sind, also seit dem 28. Januar, haben wir kein frisches Fleisch noch frisches Wasser eingenommen.» Schlechtes Essen, stehendes Wasser und eine unbequeme Pritsche: Der Brief, versendet im Februar 1898 aus El Salvador, lässt nicht erahnen, dass er vom 26-jährigen, wohlhabenden Schweizer Heinrich Schiffmann stammt. Noch überraschender ist, dass die spartanischen Bedingungen dieser langen Reise auf einem Ozeandampfer weder durch Arbeit noch durch eine andere Notwendigkeit erzwungen waren.
Der gebürtige Burgdorfer reiste zum Vergnügen, was ihn viel Geld kostete. Wie Tausende seiner Zeitgenossen war der junge Schweizer auf der Suche nach dem Sehnsuchtsziel des Tourismus am Ende des 19. Jahrhunderts: eine Reise um die Welt. Diese startete einige Monate zuvor im Oktober 1897. Von Marseille aus durchquerte Schiffmann den berühmten Suezkanal, legte in Ceylon an, besuchte mehrere Häfen in Südostasien (Singapur, Saigon, Hongkong, Shanghai) und Japan und reiste dann über Hawaii nach San Francisco. Einige Wochen später kehrte er über Mittelamerika an seinen Ausgangspunkt zurück, nachdem er mit dem Zug die Landenge von Panama überquert hatte. Der Kanal war zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchbrochen.
Das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts war der Wendepunkt, an dem eine Reise um den Globus nicht mehr nur ein gefährliches Unterfangen war. Die Erde war vermessen, kartographiert und durchzogen von einem immer dichteren Netz aus Eisenbahnlinien, Dampfschiffen und Telegrafen. Die Welt wurde zum Spielplatz einer neuen Kategorie von Reisenden. Deren Vorbild war Phileas Fogg, der Held von Jules Vernes berühmtem Buch «Reise um die Welt in 80 Tagen» aus dem Jahr 1872. Der Roman widerspiegelt den technologischen Fortschritt jener Zeit durch den Siegeszug der Dampfkraft und die, für den Westen günstige, geopolitische Situation, geprägt von Imperialismus und Kolonialisierung.
Eine Weltreise zu unternehmen, entwickelte sich zu einer regelrechten Manie des Fin de siècle. Dank Romanen, Fotografien, Plakate, Ausstellungsinstallationen und Brettspiele wurde die Weltreise zu einem allgegenwärtigen Motiv in der Populärkultur. Die Erfüllung des kollektiven Reisetraums blieb aber den Wohlhabenden vorbehalten.
Es überrascht nicht, dass sich unter den Weltreisenden auch einige Schweizerinnen und Schweizer befanden. Auch Schiffmann war ein typischer Vertreter dieser Gattung: Er lebte von seinem geerbten Vermögen und verfügte damit über das Kapital und die Zeit, die für solche Reisen notwendig waren. Als seine Eltern und sein Grossvater starben, erbte er im Alter von nur 20 Jahren fast 560’000 Franken von der erfolgreichen Käseexportfirma seiner Familie «Fehr & Grieb». Umgerechnet in heutige Verhältnisse wäre er ein Multimillionär.
Finanziell abgesichert, widmete er sich voll und ganz seinen Reisen. Deren hektische Abfolge lässt einen schwindelig werden: Neben zwei Weltumrundungen in den Jahren 1897–1898 und 1901–1902 unternahm er verschiedene mehrmonatige Reisen im Mittelmeerraum, im Osmanischen Reich, in der Karibik und in Südamerika, bis er 1903 zum letzten Mal den Indischen Ozean bereiste. Er blieb unverheiratet und starb 1904 im Alter von nur 34 Jahren an den Folgen einer langjährigen Krankheit.
Im Gegensatz zu vielen anderen hinterliess Schiffmann weder ein Notizbuch noch einen Reisebericht. Die wenigen erhaltenen Briefe des Weltenbummlers geben aber Aufschluss über die finanziellen Mittel, die er für seine Reisen benötigte. Schiffmann wandte sich meist an seinen Stiefvater Ferdinand Roth, der Mitglied der Geschäftsleitung des Familienunternehmens war, und bat ihn regelmässig um grössere Geldbeträge aus seinem Erbe. Dies wird deutlich in einem Brief vom September 1901, kurze Zeit vor der Abreise zu seiner zweiten Weltreise: «Mit meiner Gesundheit geht es besser, aber leider verschreibt mir Dr. Campart und Dr. Kraft eine 5 Monate lange Seereise. [...]. Die Reise wird mich auch sehr viel kosten, besonders da ich mich diesmal pflegen muss. Ich werde wohl 15'000 Fr. rechnen. Bis wann könnte ich die Summe haben, ich muss meinen Creditbrief einige Zeit zum Voraus bestellen.»
Eine weitere Konstante in der Korrespondenz des Globetrotters ist das medizinische Argument für seine Reisen. Schiffmanns Krankheit – er litt an Tuberkulose – ist gut dokumentiert, doch die heilende Wirkung langer, anstrengender Schiffsreisen durch tropische Meere ist eher fragwürdig. War es vor allem eine Ausrede für die ständigen und kostspieligen Abenteuer des jungen Rentiers?
Anstatt eines Notizbuchs zog es Heinrich Schiffmann vor, seine Fotoausrüstung mit sich zu führen. Als engagierter Amateur begnügte er sich nicht mit einer handlichen, leicht zu bedienenden Kamera wie den ersten weit verbreiteten Kodak-Filmkameras, sondern nahm eine sperrige und teure Ausrüstung an Bord, darunter lichtempfindliche Glasplatten. Die Fotografien seiner beiden Weltreisen sind von grosser Spontaneität: Strassenszenen in Hongkong, Saigon oder Shanghai, Porträts chinesischer Bauernfamilien, ein Markt in Mexiko, Häuser und Plantagen in Ceylon.
Die Welt, die vor den Augen des jungen Schweizers vorbeizog, zeigt sich in ihrer ganzen Vielfalt und ihrem Reichtum. Auf anderen Bildern entdeckt man britische Kasernen in Hongkong, Manöver der deutschen Marine in China, vor allem aber Kriegsschiffe der amerikanischen, russischen und französischen Flotten in asiatischen Häfen und im Pazifik. Eine der Voraussetzungen für die Weltreise wird dabei deutlich: Das weitreichende Einflussgebiet der westlichen Imperien.
An Bord des Dampfers, der ihn von Japan in die Vereinigten Staaten brachte, porträtierte Schiffmann chinesische Boys, wenig beachtete, aber unverzichtbare Besatzungsmitglieder, die alle möglichen Aufgaben im Dienst der Passagiere erledigten. Eines der Fotos zeigt sie im Kreis auf dem Deck sitzend, wo sie wahrscheinlich eine Pause von ihrer Arbeit nutzen, um sich mit Spielen zu vergnügen. Die meisten der über tausend Aufnahmen von Schiffmann sind in Form von Dias erhalten geblieben. Sie wurden wahrscheinlich bei Zusammenkünften im Freundeskreis gezeigt, um von seinen Weltreisen zu berichten.
Seine beiden Weltreisen boten Heinrich Schiffmann auch die Gelegenheit, zahlreiche Gegenstände zu erwerben. Viele Reisende versuchten, als authentisch wahrgenommene Gegenstände mitzubringen, kauften diese jedoch manchmal in Souvenirläden, die speziell auf Touristinnen und Touristen ausgerichtet waren. Dies war insbesondere in Japan der Fall, einem beliebten Zwischenstopp für Weltenbummler.
Auf seiner zweiten Weltreise wählte Heinrich Schiffmann für seine Einkäufe in Yokohama einen sogenannten Curio-Shop mit dem Namen «Arthur & Bond», der alles andere als ein kleiner, von Einheimischen betriebener Laden war. Die Rechnung des von Engländern geführten Geschäfts umfasste auch den Versand und die Versicherung der Gegenstände bis in die Schweiz. So musste der Reisende sich unterwegs nicht mit dem hölzernen Paravent mit Intarsien, bestickten Vorhängen, Elfenbeinfiguren, Bronze- oder Silbervasen bemühen.
Nach seiner Rückkehr in die Heimat stellte Schiffmann seine erworbenen Objekte in seiner Villa in Lausanne aus. Auch andere Schweizerinnen und Schweizer erwarben auf ihren Reisen Objekten für ihre persönliche Sammlung oder vermachten sie den neu gegründeten ethnografischen Museen. Heinrich Schiffmann vermachte dem Völkerkundemuseum in Burgdorf fast 500 Objekte. Diese werden heute zusammen mit über zweitausend Fotografien im Museum Schloss Burgdorf aufbewahrt.
Die Reise des jungen Schweizer Globetrotters war Teil einer breiteren Dynamik gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die Entwicklung und Verbesserung der Verkehrswege ermöglichte es den Menschen aus dem Westen, ungehindert um die Welt zu reisen, insbesondere entlang der Netzwerke der Imperien. Ob real oder virtuell, die Idee der Weltreise verbreitete sich wie ein Virus, von dem auch Heinrich Schiffmann befallen wurde – obwohl er aus gesundheitlichen Gründen auf Reisen war.