Mit der Mikropipette stupst er das Spermium an, es beginnt zu schwänzeln vor Freude, dann erschlafft es abermals. Er saugt es auf und durchstösst die zähe Zellmembran der Eizelle. Zack!
Aber was Steven Schneider da in der Petrischale produziert, wird nie ein Mensch werden. Er hat bloss ein bisschen an ungereiften Eizellen geübt – im Labor des Kinderwunschzentrums. Dort spricht er mit Michael Häberle, dem Fortpflanzungsspezialisten, der sagt, dass die Männer in zwei Millionen Jahren ausgestorben seien. Die Spermien des heutigen Mannes seien jetzt schon doppelt so untauglich wie die ihrer Grossväter. Steven Schneider findet das bedauernswert, Michael Häberle weniger. Stammzellen würden in Zukunft fähig sein, selber Spermien zu züchten. Bei Ratten funktioniere das schon. Wer braucht da noch Männer?
Diese Frage beantwortet der Schweizer Kolumnist Steven Schneider in seinem neuen Buch mit einem sehr rührenden Ja. Er spricht mit ihnen über die eigene Entbehrlichkeit, über das Scheitern, über Heldentaten und Bewunderung, aber vor allem über die Liebe. Mit Peter Lude zum Beispiel, einem Psychotherapeuten, der mit zwanzig Jahren kopfvoran in die Tetraplegie gesprungen ist und, anstatt in eine Depression zu rutschen, einfach weitermachte.
Er war neugierig, welche Lösungen das Leben ihm ermöglichen würde. Und er fand zu einer neuen inneren Lebendigkeit. «Einer Wachheit, die einer Art innerer Fitness ohne äussere Bewegung entspricht.» Seine Frau heiratete er drei Jahre nach seinem Unfall. Sie nahm die ganze Situation stets als absolut selbstverständlich – und habe ihn so auf eine elegante Weise enthindert.
«Betrachtet Ihre Frau Sie als Helden?», fragt der Autor am Ende den Psychotherapeuten. Und er:
(rof)
Wer den Film «Crazy Rich Asians» gesehen hat, weiss, dass Dekadenz kein Privileg des Westens ist. Die Superreichen im Fernen Osten können Prunksucht und was der Soziologe Thorstein Veblen einst «auffällige Verschwendung» (conspicuous waste) nannte genauso gut wie wir. Vielleicht sogar noch ein bisschen besser. Das zeigen die beiden «Wall Street Journal»-Reporter Tom Wright und Bradley Hope in ihrem Buch «Billion Dollar Whale» auf.
Es ist die wahre Geschichte von Jho Low, einem chinesisch-stämmigen Malaien. Er hat eine der grössten Gaunereien aller Zeiten inszeniert und dabei gegen sieben Milliarden Dollar abgezockt. Low stammt aus einer relativ reichen Familie. Er hat die renommierte Wharton Business School absolviert, und er hatte einen Plan: einen Staatsfonds nach arabischem Vorbild zu gründen und damit Milliarden von Dollar einzukassieren. Entstanden ist so der Staatsfonds 1MDB, der vordergründig der Entwicklung Malaysias dienen sollte, aber in Wirklichkeit ein gigantischer Betrug war.
Arabische Kronprinzen – davon gibt es einige, und nicht alle sind vertrauenswürdig – haben bei diesem Betrug Pate gestanden. Der damalige Premierminister Malaysias, Najib Razak, und seine geltungssüchtige Ehefrau waren willfährige Helfer und wurden mit üppigen Geschenken bei der Stange gehalten. Schweizer Banken wie die Banca della Svizzera Italiana spielten mit, wenn auch nicht in der Hauptrolle. Diese geht an die amerikanische Investmentbank Goldman Sachs. Sie liess sich ihre Dienste mit hunderten von Millionen Dollar entschädigen.
Wright/Hope bestätigen einmal mehr die These, wonach nichts spannender ist als die Wirklichkeit. Sie erzählen die Geschichte von 1MDB verständlich und spannend. Auch Laien können nachvollziehen, mit welchen Tricks unglaubliche Summen ergaunert werden konnten. «Billion Dollar Whale» ist jedoch vor allem eine Moralgeschichte. Lows Prunksucht war krankhaft. Ohne mit der Wimper zu zucken liess er eine Million Dollar für Champagner in einer Nobeldisco in Saint Tropez liegen, um seine Kumpels zu beeindrucken – an einem Abend, wohlgemerkt. Guten Freundinnen wie Paris Hilton schenkte Low für einen lustigen Abend im Casino gerne mal Coupons im Wert von 200’000 Dollar. Die Frau des malaiischen Premiers pflegte eine Hermès-Boutique zu betreten, auf zwei, drei Gegenstände zu zeigen, die sie nicht wollte. Den gesamten Rest liess sie im Privatjet abtransportieren.
Am Traurigsten ist jedoch die Art und Weise, wie Hollywoods linksliberale Schickeria mitspielte, allen voran Leonardo DiCaprio. Low finanzierte unter anderem den Film «The Wolf of Wall Street», in dem DiCaprio die Hauptrolle spielt. Der Star revanchierte sich, indem er immer wieder bei Lows Partys als prominentes Feigenblatt auftrat. Es ist zum Kotzen. Nachdem der Betrug aufgeflogen war, verschwand Low und wird heute irgendwo in China oder Thailand vermutet. DiCaprio gab reumütig einige Geschenke in Millionenhöhe wieder zurück. Der Premierminister Malaysias wurde abgewählt und muss sich in einem Jahrhundertprozess verantworten. Goldman Sachs muss sich mit einer Schadenersatzklage in Milliardenhöhe herumplagen. Immerhin.
(pl)
Das ist mein «Die Vermessung der Welt». Tanja Maljartschuk erzählt die Geschichte des ukrainischen Freiheitskämpfers Wjatscheslaw Lypynskj, eine historische, völlig vergessene Figur. Kein Held, sondern eher ein hypochondrisches Würstchen, dessen leidenschaftlicher Furor zum Vergnügen des Lesers etwas ungemein Groteskes und Unterhaltsames hat.
Die Autorin befasst sich mit Lücken und Traumata der ukrainischen Geschichte und sie tut dies anhand akribischer historischer Recherche, die sie so packend und lebendig wiedergibt, dass man sich bei ihrer Nachdichtung an Daniel Kehlmann erinnert fühlt. Nur dass Maljartschuk weit über Kehlmanns Playmobil-Prosa hinausgeht: da ist auch Poesie, beissender Witz und Selbstironie. Und Menschlichkeit. Die schwindelerregende Komposition, bei der historische Ereignisse mit der Lebenspanik der Ich-Erzählerin parallelisiert werden, lässt Geschichte nicht als ehernes Gotteswerk erscheinen, sondern als Summe von Banalitäten und Kleinigkeiten: der tagtäglichen Idiotie.
(luli)
Dieses wunderbare Büchlein ist in den Zeichnerfingern des Niederländers Max Velthuijs entstanden. Das Fröschlein mit den rot-weiss gestreiften Hosen fühlt sich eines Tages sehr komisch. Es setzt sich auf einen Stein am Fluss, es weiss nicht, ob es glücklich ist oder traurig.
Der Hasen-Arzt hört sein kleines und wild schlagendes Froschherzchen ab, und sagt seinem Patienten: «Du bist verliebt!» Und wie er das ist. In die schöne, weisse Ente. Aber der Frosch ist schüchtern, er malt eine Zeichnung für die Ente – mit viel Grün, seiner Lieblingsfarbe, und legt sie in der Nacht auf ihre Türschwelle. Er pflückt ihr einen Blumenstrauss, aber auch der landet nur vor ihrer Haustür. Der Frosch rennt ganz schnell weg, damit die Ente ihn nicht sieht.
Doch bald nimmt er seinen ganzen Mut zusammen, wird gar waghalsig und versucht den Weltrekord im Hochsprung zu brechen, um die Ente zünftig zu beeindrucken.
(rof)
«Du, hab mir jetzt auch mal so einen Tokarczuk gekauft», tönt es seit ein paar Wochen durch die Gassen, und Lesegrüppchen schlagen ächzend die erste Seite der Jakobsbücher auf. Dabei könnten sie es leichter haben. Und besser. Die beste polnische Autorin heisst nämlich Dorota Maslowska. Fünf Bücher hat sie bislang geschrieben, die vom Genre her dem Segment «poetisches Kotzen» zuzurechnen sind.
Handlungsort ist die polnische Gegenwart, wo der Sozialismus den Leuten noch in den Knochen liegt, der Neoliberalismus die Gesellschaft spaltet und die Religion heuchlerisch versöhnen will. Protagonist ist die Sprache: eine betörende Mischung aus Jargons, die Maslowska mit parodistischer Boshaftigkeit zu einem lyrischen Rap vermischt.
Die Sätze sind wie giftige Pilze von betörend narkotischer Wirkung – Peter Handke könnte tagelang durch den Wald stürmen und nicht einen davon finden. Natürlich ist so etwas kaum zu übersetzen. Obwohl Olaf Kühn auch bei «Andere Leute» Meisterarbeit geleistet hat. Man soll das Buch trotzdem kaufen und es bewundern und sich ärgern und schämen, dass man kein Polnisch kann
(luli)
Viele Bücher rühmen sich ja auf ihrem Rücken, sie würden das ganze Leben beinhalten. Die meisten lügen. Nicht so Albinatis Wurf. Schliesslich hat der Italiener auch sagenhafte 1296 Seiten mit seinen eigenen Erfahrungen und Gedanken vollgeschrieben. Sein Ich-Erzähler wächst wie er selbst in den Siebzigern auf und geht auf eine katholische Privat-Schule in einem der besseren römischen Viertel. Seine ganze Jugend liegt in den Händen von Rock tragenden Männern. Die Auswirkungen sind dementsprechend fatal.
Und Albinati analysiert sie alle schonungslos, das Gehabe und die Machtkämpfe unter den Jugendlichen, die sie für nötig halten, um zu Männern zu werden. Diese Show, die sie immer nur fürs eigene Geschlecht aufführen und die deshalb immer leicht angeschwult wirkt, weil das Publikum, das ihre Männlichkeit tatsächlich beurteilen könnte, fehlt: die Mädchen.
Aus diesem verrohten Umfeld stammen nun auch die drei Jugendlichen, die eines Tages eine 17- und eine 19-Jährige entführen und sie in einem Ferienhaus in Circeo so lange foltern und vergewaltigen, bis die eine stirbt.
Wie ein blutiger Faden zieht sich die grausame Tat durch den Roman und wird doch niemals voyeuristisch ausgeschlachtet. Der Autor will diese düsterste Ausformung männlicher Gewalt aufrichtig verstehen, bis ihn dann doch wieder der Wunsch zu übermannen scheint, es möglichst weit von sich zu schreiben, es tief unter anderen, lustigen Dingen zu vergraben. Vielleicht will er aber auch einfach immer und immer weiter erzählen. Denn das ist es, was er macht. Ganz grosse, ausufernde Literatur.
«Manchmal könnte man meinen, der Katholizismus sei Vorläufer und Epigone des Surrealismus. Er nimmt eine x-beliebige Sache und behauptet, sie sei das genaue Gegenteil dessen, was sie ganz offensichtlich ist. Man geht zu einer Beerdigung und ist traurig, weil man jemanden verloren hat – zumindest darüber sollte es keine Zweifel geben –, wünscht sich, in Ruhe weinen zu können, und dann steht immer, wirklich immer, als wäre es ein Fluch, ein Priester auf der Kanzel, der einem stets aufs Neue versichert, der Freund oder liebe Angehörige, um den man trauert, sei nicht tot. Nein, er ist nicht tot. Enzo ist nicht tot. Silvana ist nicht tot. Cesare ist nicht tot. Rocco lebt noch. Wie das, er ist also nicht gestorben?! Und was machen wir dann hier? Nein, er ist nicht tot, er lebt, und ihr müsst nicht traurig sein, sondern mit ihm ... für ihn ... frohlocken ...
Klar, jetzt er im Paradies, also ist er feiner raus als vorher, das leuchtet selbst mir ein, ich bin ja nicht völlig blöd: Trotzdem fühle ich mich von dieser Philosophie verarscht. Sie macht mich so wahnsinnig wütend [...] Der Trick ist mir zu raffiniert und gleichzeitig zu platt. Man muss die Tatsachen nur ins Gegenteil verkehren, und zack!, hat man die Lösung. Wenn man arm ist, ist man in Wirklichkeit reich; Krankheiten sind ein Geschenk Gottes; wenn jemand stirbt, ist das ein Segen, weil er jetzt bei den Engeln ist, die Ersten werden die Letzten sein, wer flucht, lobt Gott, ohne es zu wissen, wenn man sich von Gott entfernt, heisst das, dass man ihn sucht, und wenn Gott nicht da ist, heisst das, dass er ganz bestimmt da ist ...
Kann es sein, dass es in diesem Leben nicht eine einzige Sache gibt, die von vornherein klar ist und die man nicht erst verkehren muss?»
(rof)
Dieses Buch ist leider vergriffen. Niemand kann es lesen. Ausser ich. Das ist wirklich schade, denn es beinhaltet die drei schönsten Novellen, die jemals geschrieben worden sind: «Die Fräulein von Wilko», «Das Birkenwäldchen», «Mutter Joanna von den Engeln». Allein bei der Aufzählung der Titel muss ich Bäche weinen.
In allen drei Erzählungen macht der Tod die Musik, schlägt dabei jedoch ganz unterschiedliche Töne an: Von der melancholischen Heiterkeit einer Reise in die Vergangenheit und deren Möglichkeiten, die einem nun für immer verschlossen bleiben («Die Fräulein von Wilko»), über die meditative Finsternis, wenn ein Tuberkulosekranker ins Forsthaus seines Bruders zurückkehrt, um dort auf den Tod zu warten («Das Birkenwäldchen»), bis zur schrillen Hysterie in der Geschichte eines Priesters, der in ein abgelegenes Kloster geschickt wird, um eine Gruppe Nonnen, die vom Teufel besessen sein sollen, zu exorzieren («Mutter Joanna von den Engeln»).
Jaroslaw Iwaszkiewicz, im eigenen Leben zerrissen zwischen seiner bürgerlichen Rolle und seiner Bisexualität, schrieb sicherlich keine Feel-Good-Literatur. Die Welt seiner Helden ist beinahe immer von einer elegischen Trauer der Resignation überschattet. Und doch bergen seine Texte auch eine irgendwie ganz tröstliche Nachricht: Am Ende ist man immer selber schuld.
(luli)
Fred Vargas ist Archäologin. Und sie ist die Schöpferin der Krimi-Reihe um Jean-Baptiste Adamsberg, dem Kommissar der Brigade Criminelle des 13. Pariser Arrondissements. Diesen Mann gilt es zu rühmen, weil er so reizvoll anders funktioniert als der gängige Polizist. Er säuft nicht, er ist nicht von Selbsthass zerfressen und er weint auch keiner Exfrau hinterher wie alle seine skandinavischen Kollegen. Er stammt aus den hohen Pyrenäen; da wird nicht geweint.
Vor allem aber denkt Adamsberg nicht logisch. Eigentlich denkt er überhaupt nicht, er spürt vielmehr und setzt sich aus ganz und gar schummrigen Erinnerungsfetzen und Krümeln von angestaubtem Halbwissen sein eigenes Bild zusammen. Alles spielt sich in den Windungen seines Unterbewusstseins ab. Er ist reinste Intuition. Und natürlich enorm erfolgreich damit, wenn auch enorm langsam.
In seinem 10. Fall spielt das aber keine Rolle, weil erst sowieso überhaupt niemand seines Teams glaubt, dass es überhaupt einen Fall gibt: Drei alte Männer sterben eben einfach an einem Biss der Einsiedlerspinne. Doch Adamsberg deckt bald die ganze grauenvolle Geschichte dahinter auf. Er ist der Einzige, der im Nebel sehen kann – auch wenn es ihm dieses Mal überhaupt nicht gefällt, was er darin erkennt.
(rof)
Wenn ein Pedant sich vornimmt, ein umwerfend komisches Buch zu schreiben, kann das Ergebnis umwerfend komisch sein, in den meisten Fällen ist es wahrscheinlich aber umwerfend langweilig. Wie bei Ian McEwan. Der Mann ist ja nun nicht gerade als Humorist bekannt, der berühmte englische Humor ist scheinbar spurlos an ihm vorbeigegangen. Warum auch nicht? Es müssen ja wirklich nicht alle lustig sein, und dass McEwan andere Qualitäten hat, hat er ja schon zu Genüge bewiesen.
Dieses Buch aber ist einfach furchtbar. Das Hauptproblem ist seine Umständlichkeit. Die Satire auf die englische Wirklichkeit basiert auf dem Gedanken, dass in England der Geldfluss umgedreht werden soll. Das allein stellt für den Leser und leider auch für den Autor eine logische Herausforderung dar: Seitenlang wird erklärt, was das genau bedeuten soll. Aufhören, will man dem Mann zurufen. Wir haben es immer noch nicht begriffen und wir wollen es auch nicht begreifen. McEwans Grundidee ist aber die Verdrehung von Kafkas Parabel «Die Verwandlung»: Ein Käfer wacht eines Morgens als Mensch auf. Das ist genauso lustig wie ein Text zum Thema: «Was macht eigentlich Godot?»
Damit kann man eine Abendgesellschaft zwischen Hauptgang und Dessert unterhalten oder seine Frau vor dem Einschlafen zu Tode nerven («En Chäfer, wo as Mensch ufwacht. Begriifsch?»). Bücher füllen sollte man mit derlei Ideeli jedoch nicht.
(luli)
Schon wieder ein Ian, aber dieses Mal gar kein so übler. Hier wird nicht lange gefackelt, hier wird gemordet. Aber so wie gefressen und geschissen wird. Als Antwort auf ganz primitive Bedürfnisse.
Henry Drax ist das wohl unheimlichste Geschöpf, das mir seit Langem untergekommen ist. Sowas Abstossendes kann nur aus dem Kopf eines Literaturprofessors kommen.
Ein Harpunier, der 1859 mit einem Walfangschiff aufbricht in die arktischen Gewässer der Baffinbucht. Begleitet von einer Sprache, die ebenso wenig Erbarmen kennt und immer wieder zermetzelt wird von den Stichen des Speers, mit dem Drax den Wal bearbeitet, der noch immer hoffnungslosen Widerstand leistet. Blut und Rotz spritzt aus seinem Blasloch, um ihn herum schäumt und tobt das rot gefärbte Wasser wie brodelnde Höllenlava. «Schenk mir ein letztes Stöhnen», sagt Drax zu ihm. «Genau so, mein Herzblatt, noch zwei, drei Zentimeter, dann haben wir es geschafft.»
Auch den Schiffsjungen schafft Drax und stopft ihn in einen Bottich – zum Walfett. Man will diesem Mann nicht folgen und tut es doch. Vielleicht, weil man hofft, ihn am Ende irgendwie zu begreifen. Doch die Geschichte bleibt ihrem Protagonisten treu, neben der Brutalität ist da nichts, kein Firlefanz und auch keine Psychologisierung. Sie bleibt roh und kalt wie der tote Walfisch, den sie nach Hause bringen.
(rof)
Paul Mason ist einer der führenden Intellektuellen Grossbritanniens. Sein Buch «Postkapitalismus» gilt als Meilenstein der modernen Sozialwissenschaften. Sein jüngstes Werk «Klare, lichte Zukunft» ist eine Abrechnung mit dem Neoliberalismus.
Mason ist Marxist, aber kein Fan der kommunistischen Parteien. Er erkennt in den autoritären Regimes der Gegenwart – von Putin über Xi bis zu Trump – die Folgen einer aus dem Ruder gelaufenen Globalisierung und einen frontalen Angriff auf die Menschlichkeit.
Die aktuelle Krise ist für Mason existenziell: «Auf dem Weg ins dritte Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zertrümmert ein Bündnis ethnischer Nationalisten, Frauenhasser und autoritärer Politiker die Weltordnung. Gemeinsam sind ihnen die Geringschätzung für die universellen Menschenrechte und die Furcht vor der Freiheit», schreibt er.
Das Thema ist bedrückend und komplex. Doch Mason schafft es, verständlich und nachvollziehbar darüber zu berichten. Selbst wer sich für gut informiert hält, erfährt Neues und Erhellendes. Kennt ihr etwa die Flagge von Kekistan und ihre Bedeutung? Oder wisst ihr, weshalb auf Pornhub Clips mit gehörnten Ehemännern so beliebt sind? Zudem ist Mason immer gut für Zitate, die haften bleiben.
Hier ein Beispiel:
Kein Wunder, ist so viel Wut auf der Welt.
(pl)
Warum sind die Krimis von Paulus Hochgatterer nur so phantastisch? Vielleicht weil es gar keine Krimis sind. Im Grunde handelt es sich um Charakterstudien. Der Autor ist hauptberuflich Kinderpsychiater. Daher weht der Wind. Tatsächlich rührt ein Grossteil der Spannung von seinen punktgenauen Beschreibungen alltäglicher Fehlleistungen her.
In «Fliege Fort, Fliege fort» kommen für ein nichtrussisches Buch wirklich unverschämt viele Figuren vor und alle sind sie interessant. Dafür müssen sie keine Gourmets sein, irgendwelchen ausgefallenen Hobbys frönen oder sich für Ritualmorde, bei denen eine Hellebarde aus dem 15. Jahrhundert, ein Schachspiel und das Blut Jesu eine tragende Rolle spielen, interessieren. Hochgatterer weiss, dass man die Menschen nicht bizarrer machen muss, als sie sind. Es reicht, dass man einfach ganz genau hinschaut und dann sind sie schon bizarr.
Vielleicht ist es nicht besonders originell, dass – wie in «Die Süsse des Lebens» und «Das Matratzenhaus» – die Frau des Protagonisten und Buchpsychiaters Raffael Horn schon wieder nur dadurch charakterisiert wird, dass sie grosse Ohren hat und permanent am Cello sitzt, aber Menschen sind nun einmal Gewohnheitstiere. Das weiss der Psychiater ganz genau.
(luli)
Das Holz wird für all die Bücher benötigt.
Muss man mehr sagen?
Ja. Auch die Auswahl. Wo bleiben die schönen, lustigen, herzerwärmenden Geschichten? Wo sind Fantasy, Science Fiction, Horror, Young Adult, Historische Romane und Co? Also die Bücher, die unterhalten?
Ich liebe Krimi auch, aber warum gleich mit die Düstersten hier in der Auswahl?