DichterLenz
Köstlich, bitte mehr davon!
Die NZZ hat ihn einen «aufstrebenden Erzähler» genannt, ich nenne ihn ein Phänomen. Das wage ich zu sagen, weil ich Lukas Linder kenne. Nur, dass ihr gleich Bescheid wisst und hinterher nicht klagt, ich hätte hier schamlos Schleichwerbung für einen guten Freund betrieben.
Überdies hat Reich-Ranicki einmal gesagt: «Es gibt Menschen, die auf eine hinreissende Weise Blödes von sich geben.»
Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob er damit Linder gemeint hat. Jedenfalls ist Reich-Ranicki tot, genauso wie Markus Werner, was bedauerlich ist, denn während der eine der unterhaltsamste Literaturkritiker aller Zeiten war, erschuf der andere in Schaffhausen wundervoll tragikomische Romanfiguren.
Linder wiederum ist beinahe Werners Kantonsgenosse, ein Grenzkind, zwischen Zürich und Schaffhausen in Uhwiesen geboren – zum wilden Tosen des Rheinfalls. Und auch seine Figuren haben es nicht leicht. Aber sie nehmen ihr Scheitern wenigstens gleich selbst vorweg.
Ebenso hat Linder – wie auch Werner einst – auffallend schönes, volles Haar. Von weitem sieht es ein bisschen so aus wie die Plastik-Matten, die Lego-Männchen auf ihren kleinen gelben Köpfen tragen, so fest und undurchdringlich scheint Linders Schopf.
Nur hat sich inzwischen auch ein wenig grau daruntergemischt, was ihm zusätzlich – und ganz im Gegensatz zu den Lego-Männchen – einen erheblich intellektuellen Touch verleiht.
Ich habe schon einige Male gesehen, dass die Sprache einfach so aus Lukas Linder herausgeflossen ist. Dann sitzt er vor seinem Laptop, während sie zügig durch seine langen, dünnen Finger rinnt und irgendwo in den tanzenden Spitzen zu Sätzen wird, von denen du weisst, die kriegst du einzig auf diesem angeschmutzten Bildschirm zu lesen.
Das klingt dann so:
«Ich stamme aus einer alten und sehr reichen Berner Familie. Uns gab es schon im vierzehnten Jahrhundert. Und das sieht man uns auch an. Wie die Wurzeln uralter Bäume sind unsere Gesichter in sich selbst verknorzt. Kein besonders schöner Anblick. Unsere Physiognomie hat sich zu lange am Wetzstein der Neutralität zerrieben, sodass heute kaum noch etwas von dem ursprünglichen triumphalen Ausdruck vorhanden ist. Erst vor dem Hintergrund ihrer langatmigen Vergangenheit fangen unsere Gesichter zu leuchten an. Und dann erkennt man: Das sind Gesichter, die gerahmt ins Museum gehören, nicht aber in die freie Wildbahn des einundzwanzigsten Jahrhunderts.»
Der Anfang von «Der letzte meiner Art»
Reden tut hier Albert von Ärmel, der jüngste Spross der oben genannten reichen Berner Familie. Er will unbedingt ein Held sein und nicht irgendein blässlicher Nebendarsteller in der Chronik seiner Sippe. Er will herausragen wie sein historischer Namensvetter, der Schlächter von Marignano. Seit fünfhundert Jahren ist dieser unter der Erde, doch die Leute sprechen immer noch von ihm.
Er war ein Held, er hatte vierzig Franzosen niedergemäht.
Albert aber kennt nur ein einziges windiges Franzosen-Männchen und das will er nicht unbedingt niedermähen. Und so beginnt er sich zu fragen, mit welch hochkarätiger Tat er wohl seine Heldenkarriere starten könnte.
So. Nun aber genug verraten. Lassen wir doch lieber den Autor selbst zu Wort kommen. Lukas Linder, sag ...
... warum sollte man dein Buch lesen?
Weil es endlich mal kein Buch zur Debatte ist. Zu gar keiner. Mit diesem Buch kann man nirgendwo mitreden oder an Partys auftrumpfen. Nein. Wer dieses Buch liest, isoliert sich total und findet sich wieder im Angesicht einer tiefen, rabenschwarzen Leere. Ab dem 6. Lesealter geeignet.
Uhwiesen. Cool?
Es ist wie eine einsame Insel. Aber mit der Metzgerei Niedermann in Fussnähe.
Was würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen?
Einen Grill.
Was ist für dich die schlimmste Vorstellung?
Dass alles genauso ist, wie ich denke.
Wer ist dein Lieblingsautor?
Isaak Babel, Emmanuel Bove, Max Blecher (Hauptsache, sie fangen mit B an).
Irgendein bestimmendes Lebensgefühl?
Hochgezüchtete Panik. Und ein leichtes Hungergefühl.
Quallen. Bist du grundsätzlich dafür?
Wenn andere in sie hineintreten, ist das ein Anblick, der den seichtesten Tag am Meer zu einem Fest auf Erden machen kann.
Wo liegt der Ruhm?
Irgendwo zwischen Gölä und Gabo.
Was wird einmal auf deinem Grabstein stehen?
Wir vermissen dich (Deine Unterhosen).
Warum hast du so schönes Haar?
Perwoll.
Worüber schreibst du am liebsten?
Über Hochstapler und Träumer. Über solche Figuren, die es vorziehen, ein verdorbenes Gericht bis zum Ende aufzuessen und sich noch die Finger abzulecken, als dem Gastgeber ihre Bedenken mitzuteilen.
Als was möchtest du gern wiedergeboren werden?
Als Prisma.
Welches ist der schönste Satz, den du je geschrieben hast?
Ilsebill massierte ihren Masseter.
Was hältst du von Papst Franziskus?
Ich finde, Weiss ist nicht seine Farbe.
Schultern. Wo ist die Grenze?
Bei den Bremer Stadtmusikanten.
Was für eine Rolle spielt Scham für dich?
Sie ist das Schweissband meiner Träume.
Was könnte man an der Welt verbessern?
Ich finde, sie könnte runder sein.
Wer ist dein Idol?
Meine Freunde.
Wer ist dein Anti-Idol?
Der Erfinder der Gorgonzola-Sauce.
Würste – ja oder nein?
Kalbsbratwurst vom Niedermann.
Shakira oder Beyoncé?
Kalbsbratwurst vom Niedermann.
Welcher Song beschreibt deinen Arbeitsethos?
«Aux Champs-Elysées».
Welche Erfahrung hat dich geprägt?
Meine Geburt. Eine Schulreise auf den Napf.
Wie viel Zwieback ist zu viel?
Bereits das erste Stück.
Was steht immer in deinem Kühlschrank?
Kartoffelsalat (schon seit vier Jahren).
Wer geht dir so richtig auf den Sack?
Krämerseelen. Leute, die stets wissen, was das Richtige ist. Heilsbringer.
Dein grösstes Versäumnis?
Muskelmasse.
Was, wenn Adam und Eva nicht vom Baum der Erkenntnis genascht hätten?
Wären sie verhungert.
Was steht in deinem letzten SMS?
Fortan nur noch per Fax erreichbar.
Von welcher schlechten Eigenschaft bist du völlig frei?
Schadenfreude.
Was ist denn deine beste Eigenschaft?
Finanzielle Durchlässigkeit.
Was macht dich traurig?
Die Trauer der anderen.
Wenn du ein ausgestorbenes Tier wieder zurückholen könnntest, welches wäre das?
Gar keines. Weg ist weg, ist meine Devise.
Welchen Kanton sollte man abschaffen?
Den Kanton Fremdenfeindlichkeit.
Welchen Zaubertrick würdest du gern können?
Ich würde sehr gerne das Meer teilen können.
Welches Buch gehört verbrannt?
Waldemar Rogg: «Der Broccoli in meinem Bett».
Beende den Satz: Der Mensch ist grundsätzlich ...
... ungeeignet für die Welt.