Luca Brasi
😛
Eiserne Sprachpuristen sind wahrscheinlich genauso lächerlich wie die manisch Anglophilen, die jeden Satz mit einem englischen Wort zieren müssen. Eduard Engel gehörte zum ersten Lager. Fast sein ganzes Dasein widmete er der Sprachreinigung. All die «fremde Lumpenpracht», die sich so hämisch in seine Muttersprache eingeschlichen, all das «täppische Besudeln und Verunstalten» von ihr abzuwehren, dies bleibe er ihr bis zum letzten Hauche verpflichtet.
Nun klingt das nach einem harsch gesinnten deutschen Nationalisten, ja nach einem regelrechten Unsympathen. Man ist gewillt, diesen Mann sofort dorthin zurückzuverbannen, wo er vor genau 166 Jahren seiner Mutter entschlüpfte: nach Hinterpommern.
Wir wollen jedoch nicht voreilig urteilen über den Herrn Engel. Er mag zwar überreich gesegnet gewesen sein mit Deutschtum, in ihm wogten unbestritten Heimatstolz und glühende Vaterlandsliebe, doch fühlte er all dies als ein leidenschaftlicher Weltreisender, der sich innig mit Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Sanskrit, Japanisch, Arabisch und natürlich dem guten alten Griechisch und Latein vertraut gemacht hatte, aber dann zermürbt feststellen musste:
Deutsch sei die plumpeste aller Sprachen, schreibt er. «Von keinem andern Volk der bewohnten Erde als dem deutschen meldet uns die Geschichte, dass es seine eingeborene, mit ihm gross gewordene Sprache für unzureichend erklärt hat, auszudrücken, was es sah und empfand, was es zeugend oder nachahmend vollbrachte, was ihm die Heimat bot, die Fremde ihm sandte.»
Engel wollte das Deutsche wieder zum Glänzen bringen. Funkeln sollte es wie in Goethes goldenen Gedichten und der schillernden Schreibe Schillers. Aus eigener Kraft sollte es erstrahlen und sich eben nicht wie ein verarmter Strolch vor die Füsse anderer Sprachen werfen, um sich dort fremde Wörter zu erbetteln.
In der «fremdwörtlerischen» Sprachverschmutzung sah Engel die eigentliche Sünde. Nur deshalb sei das Deutsche derart verwahrlost. Weil kein Schreiber mehr nach dem urdeutschen Wort stöbert, alle nur noch in ausländischen Winkeln kramen!
Und als er derart unbeirrt für die Reinheit der deutschen Sprache ficht, ganze einunddreissig Auflagen seiner «Deutschen Stilkunst» unters Volk bringt, trifft ihn – den Konservativen, der den Ersten Weltkrieg wie so viele freudig begrüsste und Rosa Luxemburgs Ende als verdient erachtete – das Publikationsverbot.
Hitler war an die Macht gekommen – und Eduard Engel wurde seiner Pension beraubt. Am 28. Juli 1938 schrieb er an den Grafen und Autor Alexander von Brockdorff:
Wenige Wochen darauf starb er im Alter von 86 Jahren.
1944 erschien dann ein Buch, das sich verräterisch mit demselben Titel schmückte und dessen Inhalt sich ebenso augenscheinlich aus Engels «Stilkunst» speiste. Der Verfasser war NS-Mitglied Ludwig Reiners und dieser hockte für Jahre auf dem Thron, der eigentlich dem toten Juden gebührte.
Wir wollen nun ein bisschen tiefer in Engels Stilkunst hineinsteigen und uns einige seiner höchst amüsanten Beispiele zu Gemüte führen. Denn selbst wenn sein Buch schon rund hundert Jahre alt ist, hat seine Fremdwörter-Kritik nicht viel an Aktualität eingebüsst.
Zwar lobt er Luthers «reine Prosa», die «freudiges Staunen» errege (naja ...), und wettert über die Fremdwörterseuche, die nach seinem Ableben fast uneingeschränkt zu wüten begann, was dem Deutschen des frühen 17. Jahrhunderts die völlige «Verfranzoserei» bescherte. Doch wird mancher Sprachpurist heute sicherlich mit derselben Inbrust gegen die totale «Verenglischung» zetern.
Um dem «ausländischen Unkraut» Herr zu werden, empfiehlt Engel, es entweder gänzlich zu vermeiden und stattdessen nach dem deutschen Pendant zu fahnden, oder dem Fremdwort alle Knochen zu brechen, es zu zermürben und zu zerschroten, um es in sauberes Deutsch umzuwalzen. Denn Lehnwörter – fremde Wörter, die in der Flexion, Lautung und Schreibung der eigenen Sprache angepasst sind – ziehen den stilistischen Zorn Engels nicht auf sich.
Einige Beispiele von alten Lehnwörtern:
Selbstverständlich kann man auch einfach ein neues Wort erfinden. Nur nicht unbedingt so wie in diesem Beispiel, das Engel anführt:
Ein gewisser Theobald Ziegler, ein deutscher Forscher, habe sich auf die Suche gemacht nach dem perfekten Wort für den uns allen bekannten, weil allzumenschlichen Trieb der Selbstsucht, der Eigenliebe -oder sucht, des Ichsinns und der Selbstigkeit, wie es bei Goethe heisst. Und natürlich hätten wir dafür auch das «hässliche», lateinisch-griechische Wort Egoismus.
«Aber keines bietet seinem [Zieglers] zart-überfeinerten Sprach- und Begriffsgefühl die eine einzige seltenste Nüanksse, die er notwendig braucht, um die letzten Gründe seines ungeheuren Wissens von den Geheimnissen der Menschentriebe auszuschöpfen.
Kein Wörterbuch irgendeiner toten oder lebendigen Sprache reicht hin, seine neue Weisheit den Lesern zu vermitteln; am Lateinischen und Griechischen verzweifelnd, das Deutsche selbstverständlich für ganz ungeeignet haltend, greift er zum vornehmeren Küchenlatein und bildet sich nach dessen anmutvollen Kühnheiten die Egoitas.
Doch da fällt ihm noch im letzten Augenblick ein, dass er sozusagen für deutschgeborene dumme Leser schreibt, und sich liebreich zu ihnen herablassend wandelt er tas in tät, was zwar nicht deutsch ist, aber beinah so klingt, und schreibt Egoität.»
Dies führt uns zu einer weiteren Wahrheit, die heute noch immer genauso Gültigkeit hat wie zu Engels Zeiten:
Welcher Student hat das nicht erlebt! Wie viele Aufsätze über grosse deutsche Schriftsteller habe ich selbst hinuntergewürgt, die um so vieles strapaziöser und undurchsichtiger waren als der eigentliche Roman. Unverdaulich lange Sätze, haufenweise geschachtelt und gebündelt kamen sie daher, angereichert mit gänzlich unbekömmlichen Worthülsen.
Verstohlen gönnte ich mir dann jeweils ein paar Seiten eines Englisch schreibenden Sprachwissenschaftlers (wohlgemerkt über deutsche Literatur). Was für ein Genuss! Sie leiden nicht wie ihre deutschen Kollegen unter dem unwiderstehlichen Drang, den Schein einer besonders neuen, besonders tiefen Geheimwissenschaft zu erzeugen. Sie wollen einfach nur verstanden werden.
Nicht so die deutschen «Sprachgecken». Denn, so schreibt Engel, «Verständlichkeit hiesse fast, seine akademische Bildung verleugnen.» Noch widerlicher sei nur noch «die gegenseitige Heuchelei, womit die fremdwörtelnden Schreiber und ihre Leser sich selbst und einander vorschwindeln, dass es sich um lauter genau verstandene Wörter handle.»
Theodor Fontane (1819-1898) habe einmal vierzehn Tage lang nach einem einzigen Wort gesucht. Für solch stattliche Stilbemühungen ist Engel voll des Lobes. Denn man müsse sich auf dem Weg zum angebrachten Ausdruck «hindurchsteuern zwischen zwei gleich gefährlichen Klippen: hier umwirbelt dich die Charybdis der Gesuchtheit, dort will dich die Skylla der Abgedroschenheit verschlingen.»
Engel verlangt vom Schreiber Natürlichkeit und Ehrlichkeit. Heute würde man sagen: Authentizität – und der Stilkritiker würde sich darob im Grabe umdrehen.
Er rät auch von Schablonen und abgedroschenen Redewendungen dringend ab:
Solche Worte seien nicht mehr anschaulich, sie würden nicht mehr wahrhaft empfunden und dennoch sehe man sich täglich gezwungen, durch «ihre schleimige Seichtigkeit hindurchzuwaten», weil sie das Riesenheer der Nachäffer um jeden Reiz gebracht habe.
Jedes Zeitalter, fährt Engel fort, erzeuge seinen eigenen Vorrat an Abklatschwörtern, die durch «die immerwährende Benutzung, zumal die missbräuchliche, ausgeschrotet und unbrauchbar» geworden seien.
Und wir würden Engel antworten: «Nein, aber dafür gibt es seit Neustem alternative Fakten! Und die hohen Politiker verurteilen alles Grausame auf der Welt stets aufs Schärfste, was zwar der Welt nichts nützt, aber sie beziehen wenigstens Stellung!»
Am schnellsten pflegen sich die politischen Wortschablonen abzunutzen, schreibt Engel und fügt ein Schlagwort von 1848 an, das heute tatsächlich kein Mensch mehr kennt: Rechtsboden. Aus unseren Mündern strömen dafür massenhaft so schöne Sachen wie Willkommenskultur, Gutmensch oder Wirtschaftsflüchtling. Den Dichtestress haben wir dagegen schon so gut wie überwunden.
Humor werde nicht angelernt, sondern angeboren, meint Engel. «Wehe dem Schreiber ohne Humor!» Und wehe auch dem, der den Witz für weniger vornehm als den Ernst halte. Selbstverständlich gehöre «der Orden der lachenden Träne» den Engländern, doch auch unter den Deutschen gebe es viele gute Humoristen.
Doch dürfe man es mit dem Witz nicht übertreiben, Engel stellt auch ihn unter sein Grundgesetz des Stils: dem der Zweckmässigkeit. «Er ist Würze, nicht Speise.»
Niemals soll es in grobschlächtiges Possereissen ausarten. Engel fordert «Geistreichtum», ohne dass der Schreiber aber geistreich scheinen will.
Durch Eitelkeit sähen sich nämlich die Schreiberlinge allzu oft gezwungen, «in jeder Zeile mindestens einen Brillanten vorfunkeln zu lassen». Eine auf die Länge unerträgliche Stillosigkeit! Welch lächerliches Gehabe!
Und wie schön, schrieb Eduard Engel so befreit von jedweder Gefallsucht.