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Darum könnten Fettweg-Spritzen (vielleicht) auch gegen Alzheimer helfen

Alzheimer-Erkrankung auf dem MRT
Alzheimer-Erkrankung auf dem MRT.Bild: Shutterstock

Darum könnten Fettweg-Spritzen auch gegen Alzheimer helfen

Der Wirkstoff in Ozempic und Wegovy unterdrückt nicht nur das Hungergefühl, er scheint auch Entzündungen im Gehirn zu lindern. Das weckt Hoffnung für die Behandlung neurodegenerativer Krankheiten wie Alzheimer.
26.02.2024, 15:36
Stephanie Schnydrig / ch media
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Gamechanger: Dieser Begriff fällt unter Fachleuten häufig, wenn es um die neuen Abnehmspritzen wie Ozempic und Wegovy geht. Denn noch nie gab es etwas Vergleichbares gegen die Volkskrankheiten Übergewicht und Adipositas. Mit den gegen Diabetes entwickelten Medikamenten ist ein Gewichtsverlust von 20 Prozent und mehr möglich. Und vielleicht steckt in den Wirkstoffen, die das Darmhormon GLP-1 nachahmen, noch mehr.

Denn es gibt Hinweise, dass Wirkstoffe wie Semaglutid und Co., die in den Abnehmspritzen sind, praktisch überall im Körper Entzündungen zurückdrängen können – in der Leber, den Nieren, dem Herz, sogar im Gehirn.

Diese Wirkung macht die Medikamente so vielversprechend für die Behandlung neurodegenerativer Krankheiten, zu der auch die Alzheimer-Krankheit gehört, der häufigsten Form von Demenz. Typisch dafür sind toxische Proteinablagerungen – die Beta-Amyloid-Plaques und Tau-Fibrillen –, die sich innerhalb und zwischen den Nervenzellen ablagern. Einen schädlichen Einfluss haben wahrscheinlich auch Entzündungsprozesse, die vom Immunsystem des Gehirns ausgelöst werden.

Laufende Studie mit rund 2000 Alzheimer-Patienten

Eine Reihe von früheren Studien deuten denn auch darauf hin, dass sich GLP-1-Rezeptor-Agonisten zur Behandlung von Demenz eignen könnten. Dazu gehört eine nachträgliche Datenanalyse von drei Studien des Pharmakonzerns Novo Nordisk mit Diabetespatienten. 47 der Patienten entwickelten demnach eine Demenz, 32 von ihnen waren Teil der Placebogruppe, 15 erhielten Liraglutid oder Semaglutid. Das macht ein um 53 Prozent geringeres Risiko für die Patienten, die mit dem Wirkstoff behandelt wurden.

In einer Studie mit 204 Alzheimer-Patienten prüfte ein Team um den Neurologen Paul Edison vom Imperial College London zudem, ob Liraglutid die Krankheit bremsen kann. An der internationalen Alzheimer-Konferenz in Denver stellte er vor drei Jahren die Ergebnisse vor. Demnach schrumpfte das Hirnvolumen weniger stark bei Personen, die den Wirkstoff erhielten als in der Placebogruppe, auch die kognitiven Verluste waren weniger ausgeprägt.

«Das klingt zwar vielversprechend», sagt Ansgar Felbecker, leitender Arzt der Klinik für Neurologie am Kantonsspital St.Gallen. Aber bei den bisherigen Studien habe es sich bis jetzt immer um sehr kleine gehandelt oder um solche, die zu einem anderen Zweck durchgeführt worden sind. «Es handelte sich um Diabetes-Studien, die Ergebnisse zur Demenz waren dabei nur ein Begleitresultat, was die Aussagekraft stark einschränkt», so Felbecker. Deshalb seien grössere Studien nötig.

Keine falschen Hoffnungen wecken

Eine solche führt Novo Nordisk zurzeit durch. Sie findet in verschiedenen Spitälern in rund 40 Ländern parallel statt, eingeschlossen sind rund 2000 Patienten im frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit. Sie erhalten täglich eine Pille mit Semaglutid oder ein Placebo. Abgeschlossen wird die Studie voraussichtlich im Jahr 2026.

Bis dahin gibt sich das Pharmaunternehmen vorsichtig: Gerade im Hinblick auf die verzweifelte Situation von Betroffenen sei es sehr wichtig, keine falschen Hoffnungen zu wecken, denn es lägen noch keine belegten wissenschaftlichen Daten zu einem potenziellen Effekt auf die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz beim Menschen vor, teilt Novo Nordisk auf Anfrage mit.

Auch am Kantonsspital St.Gallen läuft die Studie mit einer Handvoll Patienten. Der Neurologe Felbecker dämpft die Erwartungen ebenfalls: Er gehe nicht davon aus, dass der GLP-1-Rezeptor-Agonist direkt in den Krankheitsmechanismus von Alzheimer werde eingreifen können. «Realistischerweise muss man eher damit rechnen, dass die Symptome unterdrückt werden, die Krankheit aber weiter voranschreitet.»

Ähnlich sieht das Hans Pihan, Chefarzt Neurologie und Leiter der Memory Clinic am Spitalzentrum Biel, wo die Novo-Nordisk-Studie ebenfalls läuft: «Die Krankheit rückgängig zu machen, wird mit der Therapie meiner Ansicht nach unmöglich sein, auch sie zu stoppen wird schwierig. Bremsen ist aber durchaus möglich.» Schon dies wäre sehr begrüssenswert, weil den Patientinnen und Patienten dadurch länger ein selbstbestimmtes Leben führen könnten, insbesondere die leicht Betroffenen. Damit würde eine höhere Lebensqualität erreicht ‒ für die Patienten selbst und für die Angehörigen.

Auch andere Diabetes-Medikamente sollen gegen Alzheimer wirken

Dass gegen Diabetes entwickelte Medikamente in den Fokus der Demenzforschung gelangen, ist indes nichts Neues. Das erstaunt nicht, denn bei beiden Erkrankungen spielt der Zucker eine zentrale Rolle: Bei einem unbehandelten Diabetes zirkuliert permanent zu viel davon im Blut. Und ein hoher Blutzuckerspiegel korreliert offenbar mit mehr Ablagerungen der toxischen Alzheimer-typischen Proteine im Gehirn. «Schon seit über 20 Jahren vermutet man, dass der Glukosestoffwechsel im Gehirn von Alzheimer-Patienten gestört ist», sagt dazu der Neurologe Felbecker.

Zum Beispiel wird schon lange vermutet, dass das Diabetes-Medikament Metformin das Risiko einer Demenzerkrankung mindert. Eine grosse Studie im Fachblatt «Jama Network Open» mit über 40'000 Patientinnen und Patienten hat diesen Verdacht erst kürzlich untermauert. Auch die Wirkstoffklasse der Glitazone scheint vor einer Demenzerkrankung zu schützen. Es handelt sich dabei um Medikamente, die die Wirkung des körpereigenen Insulins an den Muskel- und Fettzellen verbessern.

Schlagzeilen für neue Alzheimer-Behandlungen haben in den letzten Jahren allerdings keine Medikamente, sondern vor allem Therapien gemacht, die sich gegen die Amyloid-Ablagerungen im Gehirn richten. Zu diesen monoklonalen Antikörpern gehört Lecanemab, das vor allem in einem frühen Krankheitsstadium den kognitiven Abbau verlangsamen kann. Zugelassen werden könnte es noch im Laufe dieses Jahres. Aus Sicht des Neurologen Pihan werden es denn auch solche Antikörper sein, die die Tür für eine wirksame Behandlung der Alzheimer-Krankheit und für die Hoffnung auf ein Leben ohne Demenz weit öffnen werden.

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