Die politischen Debatten drehen sich heute um die Beschaffung ausländischer Kampfjets. Dabei ist fast in Vergessenheit geraten, dass die Schweiz einst alle Voraussetzungen hatte, um diese Kampfflugzeuge im eigenen Land zu bauen. Und zwar hochmoderne, den meisten ausländischen Modellen der Zeit überlegene Maschinen. Vor 70 Jahren ist die riesige Chance zum Aufbau einer Flugindustrie verpasst worden.
Immer wieder in seiner Geschichte ist unser kleines Land zu erstaunlich Grossem fähig. Aber manchmal scheitern wir auch am politischen Kleinmut. Die Geschichten um die schweizerischen Kampfflugzeug-Eigenentwicklungen N-20 und P-16 sind grandiose Beispiele solch verpasster Chancen. Im Rückblick (wenn alle klüger sind) staunen wir über die Argumente und Hintergründe, über die politischen Manöver und Intrigen rund um die Entwicklung eines eidgenössischen Kampfjets.
Über ein modernes eigenes Kampfflugzeug denkt man im Eidgenössischen Militärdepartement (EMD) erstmals kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs nach. Düsentriebwerke muss es haben, weil dies die Zukunft ist. Jets sind weitaus leistungsfähiger als propellergetriebene Flugzeuge. Und aus strategischen Gründen sollte das Projekt auf Schweizer Boden entwickelt und gefertigt werden.
Der Bundesrat schreibt 1948 mit einem entsprechenden Pflichtenheft den Auftrag für die Entwicklung und den Bau eines auf Schweizer Verhältnisse zugeschnittenen Kampfflugzeuges aus. In dieser Ausschreibung liegt der Keim des späteren Scheiterns. Denn nun konkurrieren zwei Flugzeugwerke gegeneinander. Die staatliche Werkstatt in Emmen und die private in Altenrhein. Was eigentlich belebende und anspornende Konkurrenz sein sollte, wird bald politische Ränkespiele und Intrigen produzieren.
Doch der Reihe nach. Allen ist klar: Die Zeit der brummenden Propellermaschinen ist für immer vorbei. Vorbild sind die deutschen Entwicklungen. Im Frühjahr 1945 muss kurz vor Kriegsende eine Messerschmitt Me-262 in Dübendorf notlanden. Es ist zu diesem Zeitpunkt das modernste Kampfflugzeug der Welt und der erste einsatzfähige Düsenjäger. Unsere Ingenieure bekommen Einblick in diese Technik.
Die Voraussetzungen für die Weiterentwicklung dieser Technologie sind in der Schweiz optimal. Die ETH in Zürich hat den ersten Überschall-Windkanal der Welt gebaut. Hochbegabte Ingenieure entwickeln zusammen mit Professor Alexander Lippisch in den staatlichen Flugzeugwerken in Emmen ein revolutionäres Kampfflugzeug, das seiner Zeit weit voraus und einzigartig ist. Ein «fliegendes Dreieck». Es ist ganz aus Metall gefertigt und hat die Flügelform, die später unter anderem der Mirage das unverwechselbare Profil gibt.
Im Frühjahr 1951 ist der Prototyp mit der Bezeichnung P-20 mit vier Schweizer Triebwerken parat. Am 16. November 1951 startet die Maschine zum sechzehnminütigen Erstflug. Die Testpiloten sind begeistert, Hans Häfliger vergleich sie mit einer Balletttänzerin. 91 Flüge werden mit diesem Wunderwerk erfolgreich absolviert.
Das N-20-Projekt ist gut unterwegs. Es gibt nur ein Problem: Die Triebwerke liefern noch nicht die für einen Kampfeinsatz erforderliche Schubleistung. Alles was es jetzt noch braucht, damit das modernste, revolutionärste Kampfflugzeug der Welt in Serie produziert werden kann, ist ein Zusatzkredit in der Höhe von drei Millionen Franken zur Weiterentwicklung des Triebwerkes. Aber das Parlament lehnt diesen Kredit in der Frühjahrssession 1952 ab. In der Wintersession im Dezember 1952 streicht dann der Nationalrat auf Antrag der Finanzkommission den gesamten Kredit für die Weiterentwicklung des P-20 in der Höhe von ebenfalls drei Millionen. Eine der folgenschwersten Fehlentscheidungen der Parlamentarier (Parlamentarierinnen gibt es zu dieser Zeit noch nicht). Das Projekt N-20 wird daraufhin 1953 in Emmen definitiv begraben.
So endete das wohl visionärste Vorhaben in der Geschichte der Schweizer Flugzeugindustrie. Geniale Ingenieure und Aerodynamiker des Konstruktions-Teams verlassen enttäuscht die Flugzeugwerke Emmen und teilweise sogar das Land. Einige werden von der US-Luftfahrtindustrie angeworben, wo sie an der Entwicklung mehrerer Kampfflugzeuge beteiligt sein werden. Dieser Know-how-Verlust wird nie wieder wettzumachen sein.
Der Hintergrund dieser heute unverständlichen Entscheidung ist die private Konkurrenz der Flugzeugwerke Altenrhein. Während in Emmen der N-20 entwickelt wird, arbeiten die Ingenieure in Altenrhein am P-16-Projekt. Welches Flugzeug schliesslich von der Armee bestellt werden wird, entscheidet die Politik. Anders als von den militärischen Stellen erhofft, animiert die Wettbewerbssituation die zwei Entwicklungsteams in Emmen und Altenrhein nicht nur zu technischen Höchstleistungen. Sie führt auch zu einem erbitterten Ringen um die knappen Ressourcen. Der private Betrieb in Altenrhein, aus ökonomischen Gründen stärker auf den lukrativen Auftrag fixiert als das staatliche Werk in Emmen, setzt alles daran, den politischen Prozess der Entscheidungsfindung in seinem Sinn zu beeinflussen.
Es gelingt den Flugzeugwerken Altenrhein offenbar, genügend Politiker (Politikerinnen gibt es zu dieser Zeit noch nicht) «einzuseifen». Walter Dörig, von 1987 bis 1989 Kommandant der Flieger- und Flabtruppen, der 1951 als junger Ingenieur und Leutnant bei den Fliegertruppen dem Vaterland dient, sagt rückblickend: «Die aktive P-16-Lobby aus der Ostschweiz wirkte im Hintergrund am Begräbnis des N-20-Projektes mit». Am 23. Dezember 1953 verkündet Bundesrat Karl Kobelt das Ende des Projekts N-20. Es hat insgesamt rund 14 Millionen gekostet.
Die Konkurrenz ist also auf dem politischen Weg ausmanövriert. Nun beginnt mit dem Projekt P-16 das spektakulärste, dramatischste Kapitel in der Geschichte unserer Flugzeugindustrie. In Altenrhein ist man seit dem Ende des N-20-Projekts überzeugt: Der P-16 wird der erste helvetische Kampfjet sein. Die Signale aus Bern sind klar: Das Militärbudget 1954 enthält insgesamt fast 15 Millionen Franken für den P-16. Die Serienproduktion soll 1958 beginnen.
Anders als der N-20 ist der P-16 mit Ausnahme der Flügelkonstruktion kein revolutionäres Flugzeug. Doch es kommt mit den besonderen Bedingungen in unserem Land zurecht. Es ist robust, kann auf kurzen Pisten starten und landen, sogar auf Rasen wie in Bleienbach. Zudem ist es einfach zu bedienen und auch für Milizpiloten gut zu fliegen. Bereits am 25. April 1955 absolviert der P-16 mit Testpilot Hans Häfliger mit Erfolg seinen Erstflug.
Weitere Testflüge bestätigen seine Eignung. Beim 22. Testflug am 31. August 1955 kommt es zu einem Defekt bei der Treibstoffzufuhr aufgrund einer brüchigen Schweissnaht. Eine Rückkehr zum Flughafen Altenrhein (heute: St.Gallen-Altenrhein) ist nicht mehr möglich und Hans Häfliger muss das Flugzeug mit dem Schleudersitz verlassen. Er ist der erste Schweizer, der sich mit einem Schleudersitz rettet, und landet unversehrt vor der Gemeinde Horn im Bodensee. Das Flugzeug liegt rund 35 Meter unter der Seeoberfläche.
Die Flugzeugwerke Altenrhein engagieren den Suhrer Garagenbesitzer Martin Schaffner, im Volk als «Bombenschaffner» populär. Er hat während des Zweiten Weltkrieges viel Geld mit der Bergung von abgestürzten und notgelandeten alliierten Bombern aus Schweizer Seen verdient. Die komplizierte Bergung gelingt und kostet 40'000 Franken.
Dass Prototypen abstürzen, gehört zu ihrem Daseinszweck. Die Fehler, die zu Unfällen führen, sollen dann im endgültigen Serienmodell nicht mehr passieren. Doch die Presse (Internet und Fernsehen gibt es ja noch nicht) reagiert bereits bei diesem ersten Absturz heftig und die Politiker sind rührig. Im Hintergrund wirken wohl auch noch jene emsig, die durch den Abbruch des N-20-Projektes verärgert sind.
Die Flugzeugwerke Altenrhein geben Gegensteuer und mobilisieren das damals legendäre PR-Büro von Dr. Rudolf Farner, um den Zwischenfall zu bagatellisieren. Mit Erfolg. Am 23. Dezember 1953 bewilligt der Nationalrat mit 124:17 Stimmen weitere 176 Millionen für das Projekt. In Altenrhein wähnt man sich weiterhin auf Kurs.
Mit der Auslieferung des P-16 wird inzwischen im Jahr 1960 gerechnet. Deshalb kommt die Beschaffung der britischen Hunter statt des P-16 ins Spiel. In der Zwischenzeit sollten ja die etwas aus der Mode kommenden britischen Kampfjets Venom und Vampire langsam ausgemustert werden. Bei einem Testschiessen am 23. August 1957 in Forel bei Payerne erreicht die P-16 die bessere Trefferquote als der Hunter. Beunruhigte Vertreter der Vereinigung der Schweizer Flugzeugindustrie reisen am 25. Oktober 1957 nach Bern und werben für den P-16.
Trotzdem will der Bundesrat für 312,7 Millionen Franken hundert Hunter bestellen, um den Himmel über Helvetien bis zur Lieferung der P-16 bewaffnen zu können. Die St.Galler Regierung interveniert und verlangt, dass mit den Hunter nun auch die P-16 definitiv geordert werden. Am 5. März 1958 beginnt die schicksalsschwere Debatte im Nationalrat: Sollen 100 P-16 zum Preis von 407 Millionen Franken bestellt werden? Es gibt im Land kein anderes politisches Thema, das die öffentliche Meinung so stark beschäftigt und aufwühlt. Am 7. März 1958 beschliesst der Nationalrat mit 111:36 Stimmen die Beschaffung von 100 P-16. Es ist vollbracht.
Die eidgenössische Flugzeugindustrie ist gerettet. Oder doch nicht?
Plumps. Platsch. Der Düsenjäger P-16 hat über dem Thurgau viel Hydrauliköl verloren und ist im Landeanflug nicht mehr zu steuern. Der zweite P-16 geht verloren. Am 25. März 1958 versinkt die Maschine vor Rorschach im Bodensee. Und wie sich bald zeigt, auch der Traum eines eidgenössischen Kampfjets. Testpilot Jean Brunner hat sich per Schleudersitz ins sieben Grad kalte Wasser gerettet. Dort droht er zu ertrinken. Doch nach zehn Minuten erreichen ihn die drei Buben Peter, Roland und Hanspeter mit ihrem Pedalo und retten ihn.
Dieser Unfall geht also glimpflich aus. Aber die politischen Folgen sind fatal. Das «Luzerner Tagblatt» höhnt: «Mit den zwei P-16 sind auch viele Millionen Franken Bundes- und Steuergelder im Bodensee versunken. Wenn das so weitergeht, wird unsere Armee noch sehr lange auf die bestellten Modelle ‹made in Switzerland› warten müssen. Sie hat ja schliesslich nicht Unterseeboote für das Schwäbische Meer, sondern Flugzeuge für den Kriegseinsatz in Auftrag gegeben.»
Die «Thurgauer Arbeiterzeitung» schreibt gar von einer «Grundwelle der Empörung», die durchs Schweizer Volk gehe. Witze werden nun kreiert: Fritz Gegauf in Steckborn, der die Bernina-Nähmaschinen herstellt, sei vom Bundesrat angefragt worden, ob er auch Flugzeuge produziere. Er sei doch auf versenkbare Modelle spezialisiert. Der P-16 werde jetzt mit Schnorchel ausgerüstet. Damit er als U-Boot eingesetzt werden könne.
Die vom Nationalrat gutgeheissene Bestellung von 100 Jets in Altenrhein wird vom Bundesrat am Tag nach dem Unfall sistiert und dann am 2. Juni 1958 definitiv gestoppt. Bundesrat Paul Chaudet begründet das Ende des P-16-Projektes auch psychologisch: Weitere Zwischenfälle könnten sich in der Bevölkerung nicht nur auf das Vertrauen in dieses Flugzeug, sondern auf das Vertrauen in die ganze Landesverteidigung verhängnisvoll auswirken. Insgesamt sind die Entwicklung des P-16 gut 47 Millionen Franken investiert worden.
Testpilot Hans Häfliger, der es ja aus reicher Erfahrung wissen muss, wird später sagen: «Solche Rückschläge, die überall sonst auf der Welt bei ähnlichen Projekten als kalkulierbares Risiko angesehen werden, sind bei uns leider zur Katastrophe heraufgespielt worden. Dies trug dann wesentlich dazu bei, die schon bestellte Serie von 100 Maschinen zu annullieren. Im Rückblick können wir sagen, dass dieser Entscheid ungerechtfertigt war, denn in Bezug auf Flug-, Start- und Landeeigenschaften ist dieses Erdkampfflugzeug nie übertroffen worden.» Später wird bekannt, dass die Luftwaffenführung die Weiterentwicklung des P-16 hintertrieben habe, weil der Jet nicht für den Abwurf von Atombomben geeignet war. Zu dieser Zeit bekennt sich der Bundesrat noch zu einer atomaren Bewaffnung der Schweiz.
Mit Blick auf die technische Realisierbarkeit hätte es also keinerlei Gründe gegeben, den Abbruch der Übung zu verfügen. In jeder Flugerprobung moderner Flugzeuge werden Hunderte von Änderungen eingeführt, um Fehler zu beheben. Die Test-Piloten sind von den Eigenschaften des P-16 als Tiefangriffs-Flugzeug sehr angetan: hervorragende Schiessplattform, starke Bewaffnung, robuste Zelle für eine lange Lebensdauer, weitgehende Trudelsicherheit. Die Leistungen liegen durchaus im Bereich des nun an Stelle des P-16 eingeführten englischen Hunter.
Ja, die helvetische Konstruktion ist dem britischen Kampfjet in wichtigen Bereichen sogar überlegen. Und kein Pilot ist bei den mehr als 100 Testflügen des N-20 und P-16 ums Leben gekommen. Hingegen verlieren zwischen 1950 und 1958 24 Piloten unserer Luftwaffe bei Abstürzen mit Schul- und Kampfflugzeugen verschiedenster Bauart ihr Leben.
Seit dem Ende von N-20 und P-16 ist in der Schweiz nie mehr ernsthaft erwogen worden, ein eigenes Kampfflugzeug zu bauen. Eine riesige Chance ist für immer vergeben worden. Die vollständige Entwicklung mit Serienbau hätte die Schweizer Industrie nachhaltig gefördert. Das Modell Schweden zeigt etwa, wie erfolgreich eine eigene Flugzeugindustrie sein kann.
Es wäre in den 1950er Jahren eine weitgehende Unabhängigkeit vom Ausland (Autarkie) samt Erhalt und Ausbau eines grossen Industriezweiges über Jahre, ja Jahrzehnte möglich gewesen, und es hätte die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit anderen Ländern und Industrien bestanden. Milliarden von Steuergeldern wären in einheimische Firmen und Arbeitsplätze geflossen. Und es ist eine Ironie der Geschichte, dass Bundesrat Paul Chaudet damals am 2. Juni 1958 vor dem Parlament den bundesrätlichen Verzichtsentscheid und das Ende der helvetischen Kampflugzeug-Industrie erklärt hatte.
Acht Jahre später muss er am 28. November 1966 seinen Rücktritt erklären. Er ist über den Skandal rund um die Beschaffung des französischen Kampflugzeuges Mirage gestolpert («Mirage-Affäre»). Wäre der P-16 bestellt worden, hätte seine politische Karriere nicht so unrühmlich geendet.
Da scheint sich bis heute Nix geändert zu haben bei den offenen Ohren unseren Parlamentariern für gewisse Kreise.
Sogar Deutschland und Grossbritannien haben keine eigenen Kampfflugzeugtypen mehr.
Mit Pilatus hat die Schweiz eine sehr gute Flugzeugindustrie. Erfreulicherweise spielen mittlerweile die. Zivilen Typen PC-6, PC-12 und PC- 24 eine grosse Rolle.
Danke.