Ende des 19. Jahrhunderts ist die wirtschaftliche Situation im Süden der Schweiz besonders hart. Zahlreiche Tessiner Banken wie die Banca Cantonale Ticinese gehen Konkurs. Die Staatsverschuldung des Kantons stieg von 13 Millionen Franken im Jahr 1900 auf 43 Millionen 25 Jahre später. Das wären heute über 200 Millionen Franken.
Das Verhältnis zur Deutschschweiz war in diesen Jahren angespannt. Die noch junge Gotthardbahn brachte viele Menschen aus dem Norden ins Tessin, was dort die Angst vor einer deutschsprachlichen Dominanz auslöste. Verstärkt wurde dieses negative Gefühl von der schwierigen ökonomischen Lage. Es entwickelte sich ein Minderwertigkeitskomplex gegenüber der Deutschschweiz. Immer häufiger versuchte man im Tessin den (Eid-)Genossen ennet dem Gotthard einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Geschichte des jungen Benito Mussolini. Der italienische Revolutionär und Verweigerer der Wehrpflicht wurde 1904 in Genf wegen der Fälschung seines Passes verurteilt und ausgewiesen. Bereits zum zweiten Mal seit seiner Einreise in die Schweiz 1902. Doch die Tessiner Regierung sah das anders und liess ihn in Bellinzona wieder frei. Ein Seitenhieb gegen den Rest der Schweiz.
In diesen politisch-wirtschaftlich unruhigen Zeiten wächst die 1883 geborene Teresa Bontempi auf. Die Familie stammt ursprünglich aus Italien, lebt aber schon lange in Bellinzona. Vater Giacomo ist Lehrer, Inspektor und Generalsekretär des Tessiner Erziehungsdepartements. Er ist nicht nur einer der Förderer der kantonalen Scuola di Commercio in Bellinzona, sondern steht Italien seit langem nahe. So sehr, dass Giacomo Bontempi 1908 zusammen mit anderen prominenten Tessiner Intellektuellen die Gründung einer Sektion der Gesellschaft Dante Alighieri im Tessin fordert, um die italienische Sprache und Kultur zu schützen und zu verbreiten. In der Familie Bontempi gibt es eine starke Abneigung gegen die Präsenz fremder Kulturen, insbesondere gegen jene aus der Deutschschweiz.
Wie ihr Vater wird auch Teresa Bontempi Lehrerin. Nach ihrem Abschluss 1901 unterrichtet sie in verschiedenen Institutionen und besucht Kurse an den Universitäten von Freiburg, Rom und Mailand. In der Hauptstadt der Lombardei lernt die junge Tessinerin Maria Montessori kennen und schätzen. Als Teresa Bontempi 1907 kantonale Kindergarten-Inspektorin wird, führt sie die Ideen von Maria Montessori praktisch flächendeckend im ganzen Tessin ein.
Gleichzeitig macht sie sich für die italienische Kultur stark und gründet gemeinsam mit Rosa Colombi 1912 die Wochenzeitung L'Adula. Finanziert wird die Publikation mit faschistischem Kapital und hat vor allem in Italien zahlreiche Leserinnen und Leser. In den Artikeln vermischen sich kulturelle Anliegen immer mehr mit politischen Statements und einem wachsenden Irredentismus.
Die Töne in der Zeitung L’Adula sind oft aggressiv und herablassend gegenüber der Eidgenossenschaft. So werden beispielsweise Armeeoffiziere wie Oberst Raimondo Rossi oder Bundesbern beleidigt und verbal herausgefordert. In der spannungsgeladenen Atmosphäre Anfang des 20. Jahrhunderts ein Spiel mit dem Feuer. Und dieses Feuer greift im Süden der Schweiz um sich: Im Ersten Weltkrieg kämpften zahlreiche Tessiner freiwillig für Italien. Unter diesen Umständen entstand eine irredentistische Strömung, die darauf abzielt, das Tessin aus der Eidgenossenschaft auszugliedern, um Italien beizutreten.
Der Spagat zwischen Motessori-Pädagogik und einer faschistischen Ideologie wird für Teresa Bontempi immer grösser. In den 1920er-Jahren greift die Presse die kantonale Kindergarten-Inspektorin mehrmals wegen ihrer als antipatriotisch geltenden Haltung frontal an. Sie wird sogar für ein Jahr vom Dienst suspendiert, dann aber wieder ins Amt eingesetzt.
L'Adula gilt inzwischen als eindeutig pro-faschistisches Organ. Dass Mitherausgeberin Rosa Colombi inzwischen mit dem Faschisten Piero Parini verheiratet war, half auch nicht, diesen Eindruck zu mildern. Der Italiener macht unter Mussolini Karriere und regiert ab 1941 die von Italien besetzten Ionischen Inseln. Dort verhält er sich wie ein Diktator und macht, was ihm gefällt.
Und so kommt es, wie es kommen muss. 1935 wird Teresa Bontempi wegen Hochverrats verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe von vier Monaten verurteilt. Ihre Zeitung wird – erst nach 24 Jahren – vom Bundesrat verboten. Danach wanderte sie nach Italien aus und kehrte erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ins Tessin zurück. Dort stirbt sie 1968, einsam in einem Altersheim.
Bereits vor ihrer Verhaftung hatte sich das politische Klima im Süden der Schweiz gewandelt. Mit der Ermordung des Sozialdemokraten Giacomo Matteotti 1924 wurde immer offensichtlicher, dass Italien und der Faschismus eine echte Bedrohung darstellen. Auch für das Tessin. Es begann eine Abkehr vom Irredentismus, die schliesslich Jahre später in einer grossen Hilfsaktion für die Partisanenrepublik Ossola gipfelte.
Politisch hat sich Teresa Bontempi kontinuierlich ins Abseits manövriert. Beruflich hat sie mit der Verbreitung der Montessori-Pädagogik einen grossen Schritt für die Kindererziehung im Tessin und in der Schweiz gemacht. Doch der faschistische Schatten, der sie stets begleitet hat, liess eine Honorierung dieser Leistung lange Zeit nicht zu.