Am 31. August 1894 fanden sich 273 Personen zum sechsten Internationalen Geologischen Kongress in Zürich ein. Die Ehre zur Austragung des Kongresses hatte die Schweiz drei Jahre zuvor überraschend erhalten, als die österreichische Delegation ablehnte. Obwohl die Schweiz mit ihrer Landschaft als «Mekka der Geologie» angepriesen wurde, gab es in der Schweiz noch keine staatliche Stelle für Geologie – es war lediglich eine Gruppe von Universitätsprofessoren, die in diesem Fachgebiet publizierte.
Am Kongress wurde die Commission Internationale des Glaciers gegründet. Angeregt hatten dies der Engländer Captain Marshall Hall, Mitglied der Geologischen Gesellschaft in London, der Schweizer Professor und Begründer der Wissenschaft von Binnengewässern (Limnologie) François Alphonse Forel sowie Prinz Roland Bonaparte, ein Grossneffe von Napoleon I., der die Gletscher in den französischen Alpen erforscht hatte. Letzterer war mit der Casino-Erbin von Monte Carlo verheiratet und wollte die Mittel für die Arbeit der Kommission bereitstellen. Durch systematische Messungen der Veränderungen der Gletscherlängen wollte man die Ursachen von Eiszeiten besser verstehen.
Deutschland, Österreich, Dänemark, die USA, Frankreich, Grossbritannien, Italien, Russland, Schweden, Norwegen und die Schweiz waren in der Kommission vertreten, welche die Gletschermessungen aus allen Staaten zusammentragen und in einem gemeinsamen Bericht veröffentlichen würde. Forel wurde zum ersten Präsidenten gewählt und erarbeitete die Richtlinien für die Messungen. Eine zentrale Rolle nahm auch der Sekretär ein, der das Kommissionsbüro operativ leitete und die Daten für den Bericht zusammenstellte.
Ab 1913 übernahm der Schweizer Paul-Louis Mercanton die Funktion des Sekretärs. Der Elektroingenieur und promovierte Physiker betätigte sich in verschiedenen Fachgebieten und lehrte als Professor an der Universität Lausanne Physik, Elektrizitätslehre, Meteorologie und Geophysik. Seit der Entwicklung einer speziellen Bohrtechnik, die er erfolgreich am Trient-Gletscher im nördlichen Mont-Blanc-Gebiet durchgeführt hatte, gehörte er zu den grossen Namen in der Glaziologie.
Kaum hatte Mercanton zusammen mit dem schwedischen Geologen Axel Hamberg als Kommissionspräsidenten die Arbeit aufgenommen, brachte der Ausbruch des Ersten Weltkriegs die internationale Zusammenarbeit ins Wanken. Forschenden feindlicher Länder war es verboten, miteinander zu verhandeln. Glücklicherweise durften sie mit dem schwedischen Präsidenten und dem Schweizer Sekretär als Vertreter neutraler Länder dies weiterhin tun.
Trotzdem lieferten nur Kanada, die USA, Schweden, Norwegen und die Schweiz Daten für das Jahr 1914. Für die kriegsführenden Länder und Italien waren Gletschermessungen in den Hintergrund gerückt. Hamberg und Mercanton baten die Mitgliedstaaten schriftlich, ihre Beobachtungen fortzusetzen und die Ergebnisse einzusenden – mit mässigem Erfolg.
Auch nach Kriegsende blieb die internationale Zusammenarbeit schwierig. So fand der Internationale Geologische Kongress vorerst ohne Teilnehmende aus den vormaligen Mittelmächten statt und die Gletscherforschung wurde nicht mehr behandelt. Hamberg und Mercanton bemühten sich infolgedessen um einen Anschluss an die neu gegründete Sektion der Hydrologie der Union géodésique et géophysique, womit der Fortbestand der Gletschermessungen sichergestellt wurde. Es gelang ihnen sogar, einen Bericht über die fehlenden Jahre nachträglich zu publizieren:
Mercanton verfasste als Sekretär weitere drei Berichte, bevor dies erneut kriegsbedingt unmöglich wurde. Der folgende Kommissionsbericht wurde im Winter 1939/40 in Paris gedruckt, aber von der deutschen Besatzung zerstört. Glücklicherweise hatte Mercanton einen ersten Entwurf behalten und konnte so nach Kriegsende die Daten erneut aufbereiten.
Bis 1954 verantwortete Mercanton die Publikationen der internationalen Gletschermessungen. Dass er die international koordinierte Gletscherbeobachtung durch die beiden Weltkriege gerettet hatte, war nicht sein einziger Verdienst. Er leitete über viele Jahre die Schweizerische Zentralmeteorologische Station in Zürich, entwickelte physikalische Messungen zur Gletscherdicke, war einer der Erstbesteiger des Beerenbergs auf der norwegischen Insel Jan Mayen und Schweizer Radiopionier. So beaufsichtigte er die Installation der Radiosendeanlage «Champ-de-l’Air» und war Inhaber der eidgenössischen Radiokonzession Nr. 1.
Auch sein Vermächtnis der international koordinierten Gletscherbeobachtungen lebt weiter: Der World Glacier Monitoring Service, welcher seinen Sitz am Geographischen Institut der Universität Zürich hat, sammelt Gletscherdaten aus der ganzen Welt. Aufgrund des heute beobachteten globalen Gletscherschwundes und der verbundenen Konsequenzen, wie zum Beispiel Wasserknappheit oder Meeresspiegelanstieg, haben die Vereinten Nationen das Jahr 2025 zum Jahr des Gletscherschutzes erklärt. Am 21. März findet erstmals der Welttag der Gletscher statt.