Testosteron ist ein Sexualhormon, das zur Gruppe der Androgene gehört. Diese Hormone steuern die Entwicklung und Erhaltung von männlichen Merkmalen im Körper, beeinflussen aber auch das Verhalten. So gehen beispielsweise höhere Testosteronwerte bei Männern oft mit einer ausgeprägteren Libido einher – sie haben mehr Lust auf Sex.
Der Einfluss des Testosterons ist sowohl bei Männern wie auch bei Frauen vorhanden. Letzteres wird allerdings oft übersehen, auch weil Frauen üblicherweise viel weniger Testosteron produzieren als Männer. Doch das Hormon spielt eine wichtige Rolle in der Sexualität auch des weiblichen Geschlechts. Es wirkt sich dort jedoch anders aus als bei Männern.
Dies zeigt eine Studie der London School of Hygiene and Tropical Medicine, die im Fachmagazin «Journal of Sex Research» veröffentlicht wurde. Das Forschungsteam unter der Leitung von Wendy Macdowall verglich Angaben, die 1599 Männer und 2123 Frauen im Alter von 18 bis 74 Jahren in einer landesweiten Umfrage vor zehn Jahren über ihr Sexleben gemacht hatten, mit deren Testosteronspiegel in Speichelproben.
Die Befragten hatten unter anderem Auskunft über Sexualpraktiken, die Anzahl ihrer Sexualpartner und deren Geschlecht in verschiedenen Zeiträumen gegeben. Sie wurden auch nach allfälligen Problemen gefragt, die sie in ihrem Sexleben festgestellt hatten, etwa eine verminderte Libido oder erektile Dysfunktionen.
Ein Befund der Studie war, dass Männer mit einem relativ hohen Testosteronspiegel sowohl mehr masturbierten als auch mehr Sexualpartnerinnen hatten. Zudem war bei ihnen die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie in den vorangegangenen fünf Jahren mehr als eine Sexualpartnerin zur selben Zeit hatten. Sie gaben auch eher an, erst kürzlich Sex gehabt zu haben (es war freilich explizit nur nach heterosexuellem, vaginalem Sex gefragt worden).
Die Auswertung der Daten und Angaben ergab erstaunlicherweise keine Hinweise darauf, dass ein höherer Testosteronspiegel mit weniger erektilen Dysfunktionen (also mit zuverlässigen Erektionen) korrelierte. Andere Studien hatten einen solchen Zusammenhang sehr wohl verzeichnet.
Auch bei Frauen konnte das Forschungsteam eine Korrelation zwischen höherem Testosteronspiegel und häufigerer Masturbation feststellen. Der Zusammenhang war sogar deutlich stärker ausgeprägt als bei den Männern. Hingegen zeigte sich bei Frauen keine Korrelation zwischen einem hohen Testosteronspiegel und häufigerem Sex mit einem Partner – mit einer Ausnahme: wenn der Sexualpartner weiblich war. Frauen mit höheren Testosteronwerten gaben häufiger an, dass sie Sex mit anderen Frauen gehabt hatten.
«Es war ziemlich überraschend, dass der Zusammenhang mit Masturbation bei Frauen stärker war als bei Männern», erklärt Macdowall. «Und dass wir bei den Frauen keinen Zusammenhang mit Aspekten des partnerschaftlichen Geschlechtsverkehrs feststellen konnten.» Den Grund für den Unterschied zu den Männern – bei denen höhere Testosteronwerte mit mehr Sexualpartnerinnen korrelieren – vermutet Macdowall in sozialen Faktoren. Soziale Einflüsse könnten demnach bei Frauen hormonelle Einflüsse stärker abmildern.
Möglicherweise seien Frauen empfänglicher für den Druck gesellschaftlicher Normen als Männer, und dieser soziale Druck dürfte vermutlich eher zur Geltung kommen in einer Situation, in der die Frauen nicht allein sind – also beim Sex mit einem Partner. Bei der Selbstbefriedigung hingegen, bei der die Frauen allein seien, wirke sich der gesellschaftliche Druck womöglich weniger stark aus. (dhr)