Zur Frage, ob Sport im Mittelalter und darüber hinaus bereits praktiziert wurde, ist eine lang anhaltende Debatte auszumachen: Modernisten gegen Traditionalisten, quasi. Erstere sagen, Sport sei erst mit der Industrialisierung, der damit verbundenen Freizeitgestaltung und der Säkularisierung entstanden. Erst ab dem 19. Jahrhundert hätten Menschen sportliche Wettbewerbe bestritten, einheitliche Regeln erfunden und sich in Clubs und Vereinen organisiert.
Die Traditionsbewussten hingegen sagen, «Volkssportarten» hätte es schon früher gegeben. Schwingen, Steinstossen, Ballspiele hätten eine längere ruhmreiche Geschichte, die bis ins Spätmittelalter zurückreiche.
Vielleicht braucht es diese (haar)spaltende und gegensätzliche Debatte gar nicht. Wenn man nüchtern in die Vergangenheit schaut, gibt es durchaus Quellen und Hinweise, dass körperliche, spielerische Betätigungen mit Wettbewerbscharakter im Mittelalter Bestand hatten. Im Verlauf zur Moderne kam es aber zu Brüchen, denn Sinn und Zweck der «sportlichen» Betätigungen wandelten sich.
Dies lässt sich gut am Schützenwesen aufzeigen, einer Sportart, die sehr früh schon als Wettbewerb ausgetragen wurde. In der alten Eidgenossenschaft des 15. Jahrhunderts gab es zahlreiche Schützenfeste, Treffen von Schützen und auch Schützinnen, die um Preise und nach gleichen Regeln gegeneinander antraten. Es ging aber nicht nur um Wettbewerb, sondern auch um die Stärkung der militärischen Wehrkraft.
Deshalb unterstützten die eidgenössischen Städte Schützengesellschaften bereits seit dem 14. Jahrhundert: Der Rat in Zürich beispielsweise erlaubte in der Mitte des 15. Jahrhunderts den Büchsenschützen, ausserhalb der Stadtmauern eine Zielstätte zu bauen und förderte die städtische Schützengesellschaft mit Geldern aus der Stadtkasse sowie mit Brot und Wein.
Die sportlichen Wettbewerbe hatten eine weite Strahlkraft und durchaus internationalen Charakter. Im ausgehenden Spätmittelalter waren Schützenfeste zudem Teil der politischen Inszenierung, hatten integrative Funktionen im freundschaftlichen Austausch und gegenseitigen Besuch unter den eidgenössischen Orten.
Grosse internationale Beteiligung hatte beispielsweise das Freischiessen in Zürich im Jahre 1504. Die internationale Beteiligung reichte vom Gebiet der heutigen Niederlande bis nach Venedig. Das «eerliche Schiessen» sollte nach dem Schwabenkrieg vor allem die Beziehungen zu Kaiser Maximilian und den süddeutschen Städten stabilisieren. Ein Glück, dass die beiden ersten Preise dann auch nach Augsburg und Innsbruck gingen. Insgesamt waren über 360 Bogen- und über 450 Büchsenschützinnen und -schützen anwesend.
Die Trennung von Sport und Politik war somit damals wie heute nicht vollzogen. Finanziert wurde die riesige Sportveranstaltung, die über einen Monat dauerte, unter anderem durch eine Lotterie, bei der rund 23‘000 Menschen mitmachten.
Das Schützenwesen ist auch geschlechterhistorisch interessant: Heute kämpfen die Schützenvereine vor allem um mangelnden männlichen Nachwuchs. Der Sport wurde quasi von den Frauen übernommen, nachdem Männer lange Zeit, insbesondere seit dem 19. Jahrhundert, Frauen ausschlossen. Im vermeintlich düsteren Mittelalter gab es jedoch durchaus Frauen, die sich als Schützinnen an Wettbewerben beteiligten und Preise gewannen, indem sie gegen Schützen antraten. Zu den Schützengesellschaften war ihr Zutritt jedoch auch damals beschränkt.
Im 16. Jahrhundert kamen dann professionelle Schützinnen auf, die von einem Schützenfest zum anderen reisten. Neben dem Schützenwesen gab es weitere Sport- und Wettbewerbsarten, die zahlreiche Zuschauerinnen und Zuschauer anlockten und Veranstaltungscharakter erlangten.
Dass sportliche Veranstaltungen durchaus auch spontan entstehen oder weniger stark organisiert waren, ist für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit zu vermuten und für die alte Eidgenossenschaft auch belegt. Steinstossen, Ringkämpfe, Boxen oder Laufwettbewerbe gehörten im alpinen Raum zur lokalen Kultur und wurden erst ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert gezähmt und zu Nationalsportarten erklärt. Bildliche Abbildungen sind dazu eher selten, eine Ausnahme ist Diebold Schillings Chronik aus dem Jahre 1513.
Gemäss der Bildbeschreibung von Alfred Schmid sind auf Schillings Darstellung «kaiserliche Landsknechte» zu erkennen, die sich im Frühjahr 1508 auf der Schützenwiese vor dem Kloster Einsiedeln mit verschiedenen Wettkämpfen die Zeit verkürzen: «Man erkennt die Sportarten: Weitsprung, Steinstossen, Schwingen und Wettlaufen.»
In der militärhistorischen Forschung wurde der hier erkennbare Konnex zwischen Söldner und Sport noch enger gemacht und behauptet, dass diese Formen der körperlichen Ertüchtigung quasi programmatisch für die Eidgenossen gewesen seien. Sport und Wehrtüchtigkeit wurden als zusammengehörig interpretiert und die Wettkämpfe als Mittel zur Ertüchtigung und Einübung der Wehrhaftigkeit gedeutet. Vernachlässigt wurde dabei der vergnügliche und spontane Charakter des Wettkampfes.
Steinstossen war gewiss eine kriegerische Praktik, zumindest in der eidgenössischen, überhöhten Erzähltradition zur Schlacht von Morgarten. Es wurde jedoch nicht nur von eidgenössischen, sondern beispielsweise auch von schottischen Bauern spielerisch und als Wettkampf durchgeführt. In beiden Regionen wurden diese Sportarten erst im 19. Jahrhundert zu nationalen Tugenden erhöht und an Festen entsprechend zelebriert.
Die mittelalterlichen, zeitnahen Quellen des 15. und 16. Jahrhunderts, darunter auch Schilling selbst, geben jedoch keinerlei Hinweise, dass solche Wettkämpfe der militärischen Vorbereitung gedient hätten. Vielmehr handelte es sich um ein spielerisches Kräftemessen, das durchaus Vergnügungscharakter gehabt haben könnte: Häufig fanden solche Spiele und Wettkämpfe nämlich an Kirchweihfesten und sogenannten Alpfesten, Stubeten oder Alpeten statt.
Selbst der Militärhistoriker Walter Schaufelberger betonte schon 1972, dass es in der Alp- und Hirtenkultur in weniger arbeitsintensiven Zeiten durchaus möglich war, sich im Schwingen, Steinstossen, Laufen und weiteren sportlichen Wettbewerben zu üben. Gewissermassen könnte man hier auch von einer vormodernen Freizeitgestaltung sprechen.
Die Söldner auf Schillings Darstellung warten, hatten also Zeit, sich körperlich zu messen. Dass sie sich dem Ringen oder Schwingen und den weiteren Wettkämpfen widmen, passt in dieses Bild, denn die meisten Söldner wurden aus den ländlichen Regionen rekrutiert und gehörten somit meistens dem bäuerlichen Milieu an. Das Bild weist zudem darauf hin, dass wir es hier mit einer gewissen Organisation der Veranstaltung zu tun haben, denn es sind Wettkämpfer in unterschiedlichen Farben erkennbar. Es handelt sich um die Standesfarben der unterschiedlichen eidgenössischen Orte, die offenbar hier vereint waren.
Ob die Söldner in dieser Zeit tatsächlich überhaupt schon uniformiert und als einem bestimmten Ort zugehörig erkennbar waren, ist aber eher unwahrscheinlich. Zu deuten sind die Standesfarben der Wettkämpfer deshalb eher symbolisch; Schilling beziehungsweise der unbekannte Illustrator will damit zeigen, dass unterschiedliche Orte vertreten waren.
Trotz der Organisation und den unterschiedlichen Einzelwettkämpfen kann hier noch nicht von klassischem «altschweizerischen Pentathlon» gesprochen werden, den die Humanisten später – vor allem aufgrund dieses Bildes – den Eidgenossen andichteten. Dies hat bereits Walter Schaufelberger gezeigt: Er kommt zudem zum Schluss, dass der Weitsprung und der Wettlauf in der ganzen Eidgenossenschaft verbreitet waren und nicht regionalspezifische Verbreitung gehabt haben.
Gleichwohl hatten es gewisse Sportarten schwieriger, in der Eidgenossenschaft Fuss zu fassen. Das in den mittelalterlichen Klöstern Frankreichs und auch am englischen Hof praktizierte Tennis findet sich erst verspätet im städtischen Umfeld ein. Während in Paris in zahlreichen sogenannten Ballhäusern seit dem 16. Jahrhundert dem Ball nachgerannt wurde, entstand ein solcher Ort lediglich in Basel und erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Auch der calcio fiorentino oder der Shrovetide football, beides Frühformen des Fussballs, schafften es nicht über die Alpen oder den Kanal in die Eidgenossenschaft.
Weitere Sportarten wie das Fechten, der Schwert- und der Faustkampf wurden durchaus praktiziert, aber dies über Jahrhunderte eher in adligen Kreisen und an den später gegründeten Universitäten. Dominant waren das Schützenwesen, die einfachen Ring- und Schwingkämpfe und das Steinstossen, die dann im 19. Jahrhundert neu aus der Taufe gehoben werden sollten.
Die alte Eidgenossenschaft des 15. Jahrhunderts und darüber hinaus war somit durchaus ein Ort des Sports. Ob dies zur militärischen Ertüchtigung, Freizeitgestaltung oder als tatsächlicher Wettbewerb mit Preisen und überall gleichen oder ähnlichen Regeln praktiziert wurde, bleibt mangels Quellen vielerorts noch unklar respektive müsste noch genauer erforscht werden. Häufig wird der Blick auch durch spätere nationale, militaristische Sichtweisen und Forschungspositionen getrübt.
Parallelen zur Moderne sind jedoch durchaus vorhanden: Organisationsformen, Preisvergabe, Verquickung von Politik und Sport, Wettangebote und regionale Spezifika sind durchaus Themen, die auch den modernen Sport prägten und immer noch formen.