ESC ojemine! Nach dem 1. Halbfinale vergleichen wir mal Wahn und Wirklichkeit
Vor dem Auftritt in Stockholm haben die meisten Kandidaten schon ein reguläres Musik-Video abgeliefert. In dem sie ihr wahres Ich zeigen. Wir haben mal ein paar herausragende Beispiele mit der Bühnen-Realität von Dienstagnacht verglichen.
Minus One mit «Alter Ego»
Zypern im Video ...
Ahhh, Wolf! Und die Frage: Wer hat hier wen gezähmt? Der Mann den Wolf? Der Wolf den Mann und die Frau? Die Frau den Mann, den Wolf, die Welt? Oder um es mit dem «Petit Prince» von Saint-Exupéry zu sagen: Wir sind verantwortlich für das, was wir gezähmt haben. Oder so. Irgendwie. Wild halt. Wolf halt. Alter Ego halt.
... und am Dienstag auf der Bühne in Stockholm
«Häbädech», sagt SRF-Sprecher Sven Epiney zu diesem Auftritt. Halten wir uns also fest. Ähm, nein, Fehlalarm. Aber die Band wird von Gitterstäben festgehalten. Weil: wild halt. Und: tiptoper Einsatz von Kajalstift durch den Sänger. Weiter ins Finale.
Sergei Lazarew: «You Are the Only One»
Russland im Video ...
Dieses Video hat definitiv ein durchgeknallter Grafikdesigner mit einer Schwarz-Weiss-Fixierung geschaffen, dem man nicht in einer dunklen Strasse begegnen möchte. Weil er sicher eine Frau im Keller gefangen hält. Da möchte man echt nicht «the only one» sein. Totaler Mindfuck. Deshalb liegt der Sänger zuerst auch im Krankenbett.
... und auf der Bühne
Ein Mann, ein Style. Aber jetzt irgendwie noch mit «Star Wars» dazu. Und Akrobatik! Ohmeingott! Der Mann läuft die Wand hoch! Und als man schon denkt, dass Russland da mal so richtig was für die schwulen Votes macht, kommt ganz zum Schluss noch eine Frau, reicht dem Typen einen Mond oder eine Sonne, und die heteronormative Welt steht wieder wie eine Eins. Auch Russland ist weiter!
Ira Losco mit «Walk on Water»
Malta im Video ...
Nun, die Frau singt, dass sie auf dem Wasser laufen kann, und das tut sie dann auch. In einem sinnlosen Gewand. Aber sie walkt on Water. Wer kann das schon.
... und auf der Bühne
Der Mann, dessen Fuss rechts im Bild aus dem Nebel ragt, kann offenbar nicht einmal über eine Bühne gehen. Vielleicht, weil dort zuerst höchst irritierend Iras geköpftes, aber dennoch singendes Haupt drauf projiziert wurde. Trotzdem kann sie nicht enough von seiner Love kriegen. Weiter!
Gabriela Guncikova mit «I Stand»
Tschechien im Video ...
Konstant blümerant! Obwohl zuerst alles ganz anders ist: Die tschechischen Videomacher lieben nämlich vor allem Dreiecke und Kunstrasen. Am Ende regnet es Blümchen.
... und auf der Bühne
Dreiecke sind wieder da. Blümchen auch. Der Kunstrasen fehlt. Schmerzlich. Sie singt: «Ich stehe.» Und sie steht. Bewegt sich nicht vom Fleck. Conchita hat genau das auch gemacht vor zwei Jahren. Und gesiegt. Weiter!
Iveta Mukutschjan mit «LoveWave»
Armenien im Video ...
Wow, wow, wow. Wir sehen: Frau, Mann, Schimmelpilze. Quasi die Geburt des Menschen aus dem Schimmelpilz und seine Rückkehr zu demselbigen. Leben, Liebe, Tod, Vergehen. Alles ist eins. Frau und Mann haben dabei langes, irre gut geföhntes Haar.
... und auf der Bühne
Geiler Scheiss! Was für eine Stimme! Und Pyro! Viel Pyro! Stranges Kostüm, hinten schwarze Schleppe, vorne sowas wie Bondage im Overdrive. Oder wie Sven Epiney sagt: «Sexy Body à la Beyoncé.» Überhaupt erinnert ihn jeder Einteiler an Beyoncé. Ach Sven, was weisst du schon von Frauen. Weiter!
Zoë mit «Loin d'ici»
Österreich im Video ...
Ein Mädchen trällert sich durch eine Aquarell-Mädchen-Landschaft. Alles da, Bäumchen, Schmetterlingchen, Blümchen, fehlt nur noch ein streunendes Kätzchen. Und Michael von der Heide als Duett-Partner. Une très jolie chanson!
... und auf der Bühne
Sie ist so süss! Und so heureuse! Mit Vanessa-Paradis-Zahnlücke! Und Brigitte-Bardot-Haaren! Hach! Das Kleid: fast identisch mit dem Video. Und irgendwie so gar nicht passend zu Song und Dekor. Aber das macht so Laune! Weiter!
Argo mit «Utopian Land»
Griechenland im Video ...
Beim Zeus! Ein Mensch rennt. Hat es schwer. Ist es Odysseus? Agamemnon? Herkules? Oder eine Allegorie auf Griechenland in der Krise? Noch nie klang «dance with me and have some fun» nach weniger Fun. Schwarz-weiss. Alles. Dystopie pur.
... und auf der Bühne
Sechs Menschen in Bequemgewändern. Die Männer machen was zwischen Rap und Sirtaki. Dazu: wildgewordene Musiker. Und seltsamerweise ein schwarz-rot-goldenes Lichterspiel. Die Utopie einer neu auflodernden deutsch-griechischen Freundschaft? Ehrlich? Nicht weiter.
Weiter sind ausserdem:
- Niederlande: Singt Douwe Bob in seiner Entschleunigungs-Hymne «Slow Down» wirklich «Mr. Kanye help me?». Nein, natürlich nicht. Kann man gut zum Slow-Food-Frühstück hören.
- Ungarn: Freddie (leider nicht Mercury) zeigt, dass ein einfaches T-Shirt auch was hat. Das Gepfeife aber nicht.
- Kroatien: Ein Kleid trägt eine Sängerin. Deren Stimme echt nicht schlecht ist, Respekt.
- Aserbaidschan: Schöne Frau. Sehr schöne Frau.
Weg sind ausserdem:
- Bosnien-Herzegowina: Macht aus ihrem Song «Liebe ist» ein Stück Flüchtlingsdrama. Mit fotogenen goldenen Isolierfolien, wie sie auch schon Ai Weiwei missbraucht hat, und Stacheldraht. Sorry Freunde, das ist obszön.
- Finnland: Enorm fit, die Finnen.
- Moldawien: Teuer gepflegte Haare. Auf jeden Fall.
- Island: Dem Mädchen mit den Fransenärmeln entfleucht die schwarze Seele aus der Brust. Oder so.
- Estland: Nix. Einfach nix. Auch wenn Jüri Pootsmann so eine dunkle Vile-Vallo-Voice hat.
- San Marino: War auch da. Ja.
- Montenegro: «I'm the real thing», singt jemand. Hmmmm ... Nein.
