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Am Freitagabend versuchten Teile des Militärs, die Macht in der Türkei an sich zu reissen. Sie besetzten strategisch wichtige Punkte, riegelten Brücken ab, sicherten sich wichtige Medienkanäle und verhängten eine Ausgangssperre. Es herrschte stundenlanges Chaos, laut Regierung starben mindestens 290 Menschen, darunter mindestens 190 Zivilisten und Polizisten. Mehr als 1000 Menschen wurden verletzt.
Erdogan forderte seine Anhänger auf, sich auf öffentlichen Plätzen dem Umsturzversuch entgegenzustellen. Zehntausende Türken folgten seinem Aufruf noch in der Nacht.
Es kam zu kriegsähnlichen Zuständen in den Strassen Instanbuls und Ankara. Am frühen Samstagmorgen ergeben sich die Truppen, die eine der beiden Bosporus-Brücken mit Panzern abgeriegelt hatten.
Am Sonntagabend verkündete die türkische Armee in Ankara ein formelles Ende des Putschversuchs und eine Bestrafung der Putschisten. Unter den Augen der Polizei übten sich Zivilisten in blutiger Selbstjustiz gegenüber Soldaten.
In der Nacht zu Montag folgten erneut zahlreiche Türken in Istanbul, Ankara und anderen Städten den wiederholten Aufforderungen vom Präsidenten, sich auf den Strassen und Plätzen zu versammeln, um diese nicht möglichen weiteren Putschisten zu überlassen.
Erdogans Regierung sucht demonstrativ fieberhaft nach den Drahtziehern des Putschversuchs. Die regierungsnahe Zeitung Akşam veröffentlichte eine lange Liste mit Namen von Verhafteten, darunter etwa der Kommandeur des Luftwaffenstützpunktes İncirlik, Brigadegeneral Bekir Ercan Van. Türkische Medien rücken einen General der Luftwaffe als Kopf hinter dem Putsch in den Fokus: Akın Öztürk.
Der Vier-Sterne-General hätte am 30. August pensioniert werden sollen. Er war Mitglied des obersten Militärrates und soll jetzt den Befehl zum Putsch gegeben haben. Die Nachrichtenagentur DHA und die Zeitung Cumhuriyet schreiben, Öztürk habe am Freitagabend um 22 Uhr den Putsch losgetreten. Er selber dementierte, ein Putschist zu sein.
Einige der Putschisten sollen sich zudem ins Ausland abgesetzt haben. Bereits am Samstag hatten sich acht türkische Soldaten nach Griechenland abgesetzt. Sie haben im Nachbarland der Türkei Asylanträge gestellt, die für die griechische Regierung ein ernstes diplomatisches Problem darstellen.
Erdogan nannte den gescheiterten Putschversuch einen «Segen Gottes» und kündigte umgehend «Säuberungen» an. Noch am Sonntagabend forderte er eine zügige Debatte über die Wiedereinführung der Todesstrafe.
Laut türkischer Regierung wurden nach dem gescheiterten Putsch vom Freitag 6000 Menschen festgenommen, unter ihnen angeblich 36 Generäle, dutzende Richter und Staatsanwälte.
Am Montag gingen die Razzien gegen mutmassliche Unterstützer des Umsturzversuchs weiter. Die Regierung zog in Istanbul 1800 zusätzliche Spezialkräfte der Polizei zusammen. 8777 Staatsbedienstete seien entlassen worden, darunter 30 Gouverneure und 52 Inspektoren, teilte das türkische Innenministerium mit.
In Saudi-Arabien wurde zudem auf Wunsch der Regierung in Ankara ein türkischer Diplomat bei einer Zwischenlandung festgenommen. Wie der Sender al-Arabija unter Berufung auf saudische Quellen berichtete, habe der an der Botschaft in Kuwait stationierte türkische Militärattaché nach Düsseldorf fliegen wollen.
Nach dem sehr schnell zurückgedrängten Putschversuch machten Verschwörungstheorien die Runde. War alles inszeniert? Das glaubt der im US-Exil lebende Prediger Fethullah Gülen.
Tatsächlich gibt es einige Ungereimtheiten und zweifellos nutzt Erdogan den Putschversuch nun politisch. Allerdings wirkte die Regierung in der Putschnacht verunsichert und es ist unklar, was das Militär von einem inszenierten Umsturzversuch hätte. Möglich wäre auch, dass die Putschisten überstürzt handeln mussten, weil ihre Pläne bekannt wurden.
Die Frage ist, ob die Festgenommenen ein fairer Prozess erwartet. Bereits kursieren erschreckende Bilder von halbnackten Gefangenen.
Die EU zeigte sich am Montag beunruhigt über die Lage in der Türkei. Man habe sofort nach den Ereignissen die Erwartung geäussert, dass die Aufarbeitung nach internationalem Recht erfolge, sagte der für die EU-Beitrittskandidaten zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn am Montag in Brüssel vor einem Treffen der EU-Aussenminister. «Nach dem, was wir sehen, ist das nicht wirklich der Fall.»
Turkey failed coup attempt: Over 6,000 people detained https://t.co/O99Qafx4Ck pic.twitter.com/XBf93rRoFj
— CNN (@CNN) 18. Juli 2016
Hahn zeigte sich speziell über die Festnahme von Richtern beunruhigt. «Das ist genau das, was wir befürchtet haben», sagte er. Zudem äusserte er die Vermutung, dass die türkische Regierung ein Vorgehen gegen Gegner bereits länger geplant hatte. «Dass Listen direkt nach den Vorkommnissen vorhanden waren, deutet darauf hin, dass sie vorbereitet waren und zu einem bestimmtem Moment genutzt werden sollten.»
Nicht nur Erdogans Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), sondern auch alle drei im Parlament vertretenen Oppositionsparteien verurteilten den Putschversuch.
Kemal Kilicdaroglu, der Chef der grössten Oppositionspartei, der Republikanischen Volkspartei (CHP), verurteilte die Putschisten in einer flammenden Rede. «Jede Gefahr für unsere Demokratie ist eine Gefahr für unsere Nation», sagte er.
Am Montag forderte die CHP die Regierung allerdings auf, den Rechtsstaat zu respektieren. Der Umgang mit den Putschisten und ihren Hintermännern müsse im Einklang mit den Gesetzen stehen. Ausserdem dürfe das Militär nicht als Feind dargestellt werden.
Auch die prokurdische Demokratische Partei der Völker (HDP), deren Abgeordnete Erdogan regelmässig als Terroristen denunziert und über denen das Damoklesschwert der Verhaftung schwebt, verurteilte den Putsch.
Die USA signalisierte Bereitschaft, die Türkei bei Ermittlungen zu unterstützen. Erdogan forderte die Auslieferung des im US-Exil lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen, den er für den Putsch verantwortlich machte. Die Türkei sei eingeladen, Beweise vorzulegen, sagte US-Aussenminister John Kerry.
Die EU-Kommission wirft der türkischen Regierung Verstösse gegen die Rechtsstaatlichkeit vor. Rechtsstaatlichkeit und demokratische Grundsätze müssten eingehalten werden – auch «zum Wohle des Landes selbst», sagte die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini. Es gebe «keine Entschuldigung» für Schritte, die das Land von rechtsstaatlichen Grundsätzen entfernten.
«Wir müssen wachsam sein, dass die türkische Regierung kein politisches System einführt, das sich von der Demokratie abwendet», sagte Frankreichs Aussenminister Jean-Marc Ayrault. Das Vorgehen gegen Regierungsgegner dürfe nur im Rahmen des Rechtsstaats erfolgen und nicht «zu autoritärer Herrschaft» führen.
Luxemburgs Aussenminister Jean Asselborn warnte Erdogan davor, «mit Emotionen» auf den Putsch zu reagieren. Die Rechtsstaatlichkeit sei «ein sehr hohes Gut», das für die Zukunft der Türkei wichtig sei. (rar/sda/afp/dpa/reu)