Falls irgendjemand vor diesem Final noch Fragen hatte, ob Roger Federer der beste Tennisspieler aller Zeiten ist: Sie ist jetzt beantwortet. Er ist es.
Wie sehr mussten wir Fans mit unserem Roger Federer mitleiden. Nichts wurde uns beim – im Vorfeld als «grösstes Tennisspiel der Geschichte» angekündigten – Duell vorenthalten. Der Breakrückstand im Entscheidungssatz, die körperlichen Beschwerden, die verpassten Breakchancen und dann – als sich bereits langsam Gedanken anschlichen, dass Nadal wohl wieder davonkommen und Federer die bitterste aller Niederlagen zufügen würde – kam die erneute Wende doch noch.
Federer glich zum 3:3 aus, nahm Nadal den Service auch zum 5:3 ab, wehrte bei eigenem Aufschlag zwei Breakbälle ab und nutzte seinen zweiten Matchball zum Sieg.
Gefühlsexplosion. Federer wieder ganz oben. Den ewigen Rivalen Nadal im Duell um die meisten Grand-Slam-Titel mit 18:14 (hoffentlich) entscheidend zurückgebunden. Es hätte die grösste Niederlage werden können, es wurde der grösste Sieg des Maestros. Federer selbst sagte: «Der Sieg bedeutet mir unglaublich viel, vor allem auch, dass es gegen Rafa war. Das ist gewaltig. Der Triumph ist auf jeden Fall einer der wichtigsten, den ich errungen habe.»
Nicht nur für den 35-Jährigen selbst ist es ein bedeutender Erfolg, auch für uns Fans. Einmal mehr schaffte Federer das, was Sportler oder Sportteams eigentlich lange nicht mehr mit mir anstellen können: Ich fieberte mit und hielt es vor dem TV kaum aus.
Ich muss euch nämlich nach über zehn Jahren im Sportjournalismus etwas gestehen: Ich bin völlig abgestumpft. Früher, da schlug mein Herz noch so richtig für Fussball- und Eishockey-Teams. Eine Niederlage meiner Lieblinge ging mir nahe. Aber heute, wenn meine ehemaligen Favoriten kurz vor Schluss knapp zurückliegen, dann sag ich mir: Verlieren sie halt. Das hört sich jetzt vielleicht unverständlich an, aber ich denk mir jeweils: Ich hab den Bericht schon praktisch zu Ende geschrieben. Jetzt nur kein Drama mehr, sonst muss ich alles umändern.
Die Champions League lässt mich meist kalt, möge halt einfach der Bessere gewinnen. Doping-Enthüllungen, Steuerbetrüge, Wettmanipulationen, 50 Runden Eishockey, aufgeblähte Fussballendrunden, horrende Transfersummen, die ewigen Schwalben, die Kommerzialisierung. Das alles sorgt dafür, dass die Freude und die Emotionen aus dem Spitzensport leise schwinden. Früher hätte ich niemals einen CL-Abend am TV verpasst, heute gehe ich lieber selbst ins Training.
Aber dann gibt es da Roger Federer. Da stellt einfach alles ab. Ich musste das in diesen Tagen wieder feststellen. Wenn es sein muss, dann schreib ich ganze Artikel nochmals neu. Wenn die Partien länger als geplant dauern, dann ist das halt so. Hauptsache er gewinnt am Ende.
Roger Federer hat uns während Jahren begleitet. Er hat zwar schon alles gewonnen, aber er fasziniert noch immer und ich will ihn immer weiter siegen sehen. Selbst Journalisten aus anderen Ländern gratulieren uns jeweils zu Federer. Sie schwärmen derart über den Baselbieter, dass es teilweise fast peinlich wird. Auf Reisen reicht ein «Switzerland» und die erste Reaktion ist meist «Aaah, Roger Federer». Das Eis bricht, das Gesprächsthema ist gefunden.
Es scheint auch nach Jahren noch so zu sein: Tennis ohne Federer, das wirkt unvorstellbar. Ist er grösser als sein Sport? Vermutlich nicht. Aber wir sollten uns einfach glücklich schätzen, diese Zeit erleben zu dürfen. Das Karrierenende rückt näher, in der Rod Laver Arena sagte er nach dem 18. Majortitel: «Ich hoffe, dass ich euch im nächsten Jahr wieder sehe. Und wenn nicht, dann hatte ich hier heute eine super Zeit.»
Geniessen wir jede Sekunde, die uns der Maestro noch gibt. In 20 Jahren können wir dann vermutlich unseren Kindern erzählen: Damals, den 18. Grand-Slam-Titel, den erlebte ich live mit. Es gibt im Sport bis heute emotional nichts Vergleichbares. Und wird es nie geben. Federer ist nicht nur der grösste Tennisspieler aller Zeiten, er ist der grösste Sportler aller Zeiten.