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Coronavirus: Die Welt im Wettlauf um einen Impfstoff

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Bild: AP

Wettlauf um den Covid-19-Impfstoff: Ein Effort wie ihn die Welt noch kaum gesehen hat

Das weltweite Wettrennen um einen ersten Covid-19-Impfstoff ist in vollem Gange. Pharmafirmen und Universitäten arbeiten über Grenzen hinweg zusammen. Neun Impfstoffe liegen an der Spitze und werden bereits an Menschen getestet.
15.05.2020, 20:5516.05.2020, 08:28
Bruno Knellwolf / ch media
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Kaum eine Frage ist in den vergangenen Wochen so oft gestellt worden wie diese: Wann gibt es einen Impfstoff gegen Covid-19? Die Antwort darauf weiss niemand, aber der Wettlauf um eine schnellstmögliche Impfung läuft weltweit auf Hochtouren. Für viele ist klar, dass uns nur eine Impfung vor weiteren Wellen des Virus schützt und Normalität zulässt. Die Länder der EU, die Weltgesundheitsorganisation WHO und sogar Lady Gaga spannen zusammen, um 40 Milliarden Euro für die Forschung zusammen zu bringen.

Gelder gibt aus Saudi-Arabien, Grossbritannien und Kanada. Die Bill & Melinda Gates Foundation hat angekündigt, mit Milliarden an US-Dollars den Aufbau von Produktionsanlagen für sieben ausgewählte Impfstoffe mitzufinanzieren, während die zugehörigen klinischen Studien noch laufen. Am Ende werde man unter diesen dann zwei Impfstoffe aussuchen und sich auf diese konzentrieren.

123 Covid-19-Impfprojekte

Im Moment zählt die WHO 123 Covid-19-Impfprojekte, die von Forschern in aller Welt durchgeführt werden. Ein globaler Effort, den es in diesem Tempo noch nie gegeben hat. Gemäss dem deutschen Pharmaverband vfa ist es einmalig, dass innerhalb von nur zwei Monaten verschiedene Coronaviren-Impfstoffe designt worden sind.

Früher dauerte die Entwicklung eines Impfstoffes bis zur Produktion 15 bis 20 Jahre, jetzt wird mit einem guten Jahr gerechnet. Man nutzt das Wissen aus der bestehenden Impfstoff-Forschung und dabei hergestellte Impfstoff-Prototypen, die schneller auf einen neuen Erreger angepasst werden können. Auch die Erkenntnisse der Impfstoff-Forschung gegen ältere Coronaviren wie Sars und Mers fliessen ein.

Ein Impfstoff muss bis zur Massenproduktion sechs Stufen durchlaufen: Zuerst wird das Virus analysiert, dann der Impfstoff entworfen, an Tieren erprobt und danach in den klinischen Tests an Menschen in drei Phasen. Dabei geht es zuerst um die Sicherheit und ob der Impfstoff schützende Abwehrreaktionen hervorrufen kann.

Dann wird der Schutz und die Wirksamkeit an kleineren und grossen Gruppen aus der Bevölkerung getestet. Sind diese drei Phasen erfolgreich, gibt es eine Zulassung und zum Schluss folgt die Massenproduktion.

Starke Beschleunigung des Verfahrens

Um Zeit zu sparen, beschleunigt man nun dieses Verfahren. «In der Notsituation ist das Design des Impfstoffs rollend. Das heisst, für die Beschleunigung des Verfahrens wird schon mit der nächsten Phase gestartet, bevor die letzte abgeschlossen ist», sagt Marcel Tanner, Epidemiologe und Präsident der Akademien der Wissenschaften Schweiz.

Dabei achte man darauf, dass keine Sicherheitsstandards vernachlässigt werden. Der weltweite Effort für eine Impfung sei in dieser Dimension einzigartig, erstmalig aber nicht. Schon bei der Entwicklung der Grippeimpfung musste die Wissenschaft global zusammenarbeiten. Und auch im veterinärmedizinischen Bereich gab es weltweite Forschungsaktivitäten, zum Beispiel bei der Impfung gegen die Rinderpest.

Beim Coronavirus ist das Tempo aber ausserordentlich. Obwohl Impfungen für die Pharma kein grosses Geschäft sind, auch wenn das von Impfgegnern oft zu hören ist. «Impfungen sind kostengünstig und man erreicht mit wenig viel, wenn man damit Wohlbefinden sichern und Leben retten kann», sagt Tanner.

Im Falle von Covid-19 ist den grossen Pharmafirmen die Tragweite bewusst, weshalb sie hier über die Grenzen hinweg zusammenarbeiten, was sonst nicht immer der Fall ist. «Da ist nicht nur Bill Gates, der die CEOs der Pharmafirmen vereint». Sogar China ist in diesem Fall transparent und offen wie sonst kaum. Marcel Tanner sagt:

«In China hat es Impfstoffkandidaten, die schon weit voran sind. Von diesen haben wir umfassende Informationen.»

In China hat es Impfstoffkandidaten, die schon weit voran sind. Von diesen haben wir umfassende Informationen.

Mag die Zusammenarbeit in der Wissenschaft funktionieren, die grossen politischen Spannungen zwischen den USA und China bestehen. Drohungen, den anderen nicht mit Impfstoff zu beliefern, gehören dazu.

Entscheidend für eine wirksame globale Impfkampagne sei, dass gleichzeitig verschiedene Konzepte für Impfstoffe geprüft und entwickelt werden. Den Wettlauf gewinnen wird nach Tanner nicht ein Einzelner, sondern eine Koalition. Der Forscher, der das Grundprinzip des Impfstoffs gegen Covid-19 entdeckt, ist nicht derselbe, der die Impfung produziert.

Neun Impfstoffe in klinischen Tests

Zur Zeit sind neun Impfstoffe im klinischen Test der Phase 1 und haben die Nase weiter vorne als andere. Dazu gehört vor allem das Jenner-Institut der Universität Oxford, das erklärt hat, dass schon im September Millionen von Dosen zur Verfügung gestellt werden können. Die Pharmafirma AstraZeneca ist eingestiegen und hat sich die weltweiten Herstellungs- und Vertriebsrechte erworben. Den Herbsttermin hält Marcel Tanner für sehr ambitioniert. Er rechnet damit, dass die jetzt unter besten Forschungsbedingungen durchgeführten klinischen Tests bis Ende Jahr abgeschlossen werden können.

Neben der Oxford University liegt auch das Schweizer Pharmaunternehmen Lonza zusammen mit seiner US-Tochter Moderna vorne. Die ersten Chargen sollen bereits im Juli produziert werden. Zudem hat die US-Gesundheitsbehörde dieser Tage klinische Tests der Phase 2 mit grösseren Gruppen erlaubt. Zu den neun Anführern im Wettlauf gehören noch Inovio, Sinovac, Bio NTech/Pfizer und Can Sino. Nicht ganz klar ist die Lage bei drei Projekten aus Wuhan und Shenzen, die wie die anderen auch in Phase 1 der Tests mit Menschen sein sollen.

Mit der Produktion vor Ende der klinischen Tests beginnen

Wie Moderna und Oxford wollen auch die Firmen Janssen, Kentucky BioProcessing, BioN-Tech/Pfizer und das Serum Institute of India nicht wie üblich auf den Erfolg der klinischen Tests warten. Sie haben erklärt, ihre Impfstoffe bereits vorher grosstechnisch zu produzieren.

Das birgt die Gefahr, dass die Produkte entsorgt werden müssen, falls die Studienergebnisse negativ ausfallen. Janssen will bald eine Milliarde Impfdosen produzieren. Die gleiche Menge, und das jährlich, ist auch das Ziel von Lonza/Moderna.

Schweizer gut unterwegs

Gemäss Tanner sind verschiedene Schweizer Impfstoff-Projekte ganz vorne dabei, aber erst im Stadium der Tierversuche. Martin Bachmann vom Inselspital Bern greift mit einem «Gurkenvirus» an, das mit dem Andockteil des Coronavirus und mit einem Tetanus-Toxin bestückt ist.

Volker Thiel, Virologe an der Universität Bern, ist auf gutem Weg mit verharmlosten Coronaviren und Emma Slack von der ETH Zürich arbeitet mit einem Gen-basierten Impfstoff. Peter Burkhard in Basel arbeitet mit Nanopartikeln als Proteinkonstrukt. Schliesslich entwickelt Innomedica eine Impfung auf der Basis von Liposomen. Welcher Impfstoff das Rennen machen wird, ist noch völlig offen. Sicher ist: Jenes Unternehmen, das auf den richtigen setzt, wird zu viel Prestige kommen.

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53 Kommentare
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Baltasar
15.05.2020 21:40registriert April 2015
Irgendwie würde man gerne neben diese Jungs und Mädels stehen und sie anfeuern :-) Ich weiss, die Sache ist schwierig, gefährlich und was weiss ich alles. Aber es fühlt sich halt schon an, wie an Weihnachten früher. Als man den neuen Schlitten oder so nicht erwarten konnte!
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Terraner
15.05.2020 21:06registriert April 2020
Ich bin absolut kein Impfgegner, trotzdem möchte ich kein Betatester von überhastet entwickelt und produziertem Impfstoff sein.
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Füdlifingerfritz
15.05.2020 22:00registriert März 2018
Go Lonza!
2013
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