Marc Walder platzte fast vor Stolz. Der CEO von Ringier und Gründer des Vereins Digitalswitzerland freute sich nicht nur über die Anwesenheit von Bundespräsident Alain Berset am zweiten Schweizer Digitaltag. Er betonte in seiner kurzen Begrüssung im Hauptbahnhof Zürich auch, der Anlass, der in gewisser Weise sein Baby ist, sei «europaweit einzigartig».
Die Zahlen sind durchaus beeindruckend. Der Digitaltag fand am Donnerstag an 14 Standorten in der ganzen Schweiz statt, mit Zürich als Zentrum oder neudeutsch Hub. 70 Partnerorganisationen nahmen teil und präsentierten mehr oder weniger sinnvolle Errungenschaften aus der schönen neuen Digitalwelt. Der Andrang war gross, denn das Thema Digitalisierung bewegt die Menschen.
Es dürfte in so ziemlich jedes reale Gehirn eingedrungen sein, dass Künstliche Intelligenz und Automatisierung Teile eines Prozesses sind, der sich nicht aufhalten lässt. Und mit dem wir irgendwie umgehen müssen. «Wir dürfen nicht einer digitalen Euphorie verfallen, aber auch keinem Fatalismus», betonte Berset in seiner Eröffnungsrede.
Ein nüchterner Umgang mit einer Entwicklung, die der Bundespräsident selbst später im «Blick»-Talk als disruptiv bezeichnete, ist nicht ganz einfach. Die Digitalisierung wird unsere Welt fundamental verändern. Spielereien wie der von Valora servierte Selfieccino, bei dem man sich das eigene Konterfei mit Kakao auf den Cappuccino-Schaum zeichnen lassen kann, können darüber nicht hinwegtäuschen.
Die kritischen Aspekte wurden an der PR-Show nicht verschwiegen, sondern in diversen Podiumsdiskussionen durchaus thematisiert. Weil die Teilnehmer überwiegend aus den am Digitaltag beteiligten Partnerfirmen stammten, überwogen jedoch die optimistischen Stimmen. «Keine Angst vor der Künstlichen Intelligenz!», lautete eine Aussage, die die Richtung vorgab.
Kritisiert wurde höchstens, dass die Schweiz ungenügend auf die Digitalisierung vorbereitet oder gar in Rückstand sei. Die Entlassungen bei Novartis, die kürzlich für Schlagzeilen sorgten, wurden als Beispiel erwähnt. Oder die Tatsache, dass Sozialwerke und Sozialpartnerschaft für Trends wie die Gig Economy schlecht gerüstet sind.
Diese Punkte verweisen auf eine Frage, die als Motto eines Panels diente: «Geht uns schon bald die Arbeit aus?» Mehr als einmal wurde am Digitaltag eine Studie des Beratungsunternehmens McKinsey erwähnt, über die die «NZZ am Sonntag» kürzlich berichtet hat. Sie geht davon aus, dass bis 2030 gegen 1,2 Millionen Jobs in der Schweiz gestrichen werden, also etwa jede vierte Stelle.
Zwar geht McKinsey davon aus, dass bis eine Million neue Arbeitsplätze entstehen werden, teilweise in Bereichen, die heute noch gar nicht existieren. Die grosse Herausforderung ist, jene Arbeitnehmer, deren Job verschwinden oder sich markant verändern wird, umzuschulen oder weiterzubilden. Marco Ziegler von McKinsey sprach in der «NZZ am Sonntag» von einer «Herkulesaufgabe».
Sind wir uns dessen bewusst? Die Antwort darauf ist von grosser Dringlichkeit, denn 2030 ist quasi übermorgen. Und gefährdet sind nicht zuletzt viele der schönen Bürojobs, in denen wir Schweizer uns so behaglich eingerichtet haben. Wer nicht viel mehr als eine KV-Lehre hat und etwa als Sachbearbeiter arbeitet, könnte wegalgorithmisiert werden. Teilweise geschieht dies schon heute.
In der wohlstandsgesättigten Schweiz aber scheinen viele diese Entwicklung zu unterschätzen. Man verspürt zwar ein diffuses Unbehagen, hofft aber, man werde irgendwie verschont. Dabei zeigen die Musik- oder die Medienbranche, dass der Begriff Tsunami dafür keine Übertreibung ist. Einst kräftig sprudelnde Einnahmequellen sind versiegt oder zu einem Rinnsal verkommen.
So leistet sich Riniger den Journalismus bald nur noch aus nostalgischen Gründen. Mit «Blick» und Co. verdient der Traditionsverlag längst nicht mehr das grosse Geld, dafür mit Entertainment oder E-Commerce. Denn auch den Detailhandel hat es erwischt, er wird von Amazon, Alibaba oder Zalando bedrängt. Weshalb in kleineren und mittelgrossen Städten immer mehr Ladenlokale leer stehen.
Die Digitalisierung wird viele neue Jobs erzeugen. Aber nicht alle werden den Umstieg schaffen. Die McKinsey-Studie geht davon aus, dass bis 2030 etwa 150'000 bis 200'000 Arbeitnehmer mit tiefer Mobilität ohne Arbeit dastehen werden. Treffen dürfte es ausgerechnet die Mittelschicht, da Berufe mit mittlerer Qualifikation besonders bedroht sind. Neue Jobs werden vor allem im unteren und oberen Segment entstehen.
Auch die Art des Arbeitens ändert sich. Die Gig Economy bedeutet maximale Verfügbarkeit. Häufig muss man mehrere Jobs gleichzeitig ausüben. Das ist nicht nur eine Challenge für eine geregelte Altersvorsorge. «Was bedeutet die hoch flexible Gig Economy für die Familiengründung, die viel Planbarkeit erfordert?» fragte Alain Berset am Digitaltag.
Diese Probleme betreffen in erster Linie die Jungen. Es erstaunt wenig, dass sie gemäss einer letzte Woche vorgestellten Umfrage des Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsunternehmens EY zu einem beträchtlichen Teil den Staat in der Pflicht sehen, für zukunftssichere Jobs zu sorgen. Denn auch sie wollen ein geordnetes Familienleben führen und eine gute Altersrente beziehen.
Es besteht somit Handlungsbedarf, doch bislang hat man nicht den Eindruck, dass die Politik die Tragweite dieser Herausforderung erkannt hat. Gleiches gilt für den Datenschutz, ein weiteres heisses Eisen in Zusammenhang mit der Digitalisierung. Am Stand von Google, einem Hauptpartner des Digitaltags, konnte man seine Datenschutzeinstellungen optimieren.
Man fühlte sich dabei an die Tabakindustrie erinnert, die vor den Gefahren des Rauchens warnt. Dabei ist der Zigarettenkonsum ihr Geschäftsmodell. Genauso sind die Internet-Giganten darauf angewiesen, dass die Nutzer ihre Daten möglichst uneingeschränkt zur Verfügung stellen. Ein Aspekt, auf den Sara Stalder verwies, die Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz.
Sie war eine der wenigen kritischen Stimmen, die am Digitaltag auftreten durften. Zuvor hatte sie vor dem Warenhaus Globus die von der WoZ verfasste Broschüre «Eine kurze Anleitung zur digitalen Selbstverteidigung» verteilt. Stalders Forderung an die Politik: Anbieter sollen per Gesetz verpflichtet werden, beim Datenschutz stets die restriktivste Einstellung vorzuinstallieren.
Daten- und Jobsicherheit sind zentral für eine erfolgreiche Digitalisierung. Die Politik hat in dieser Hinsicht noch einige Arbeit vor sich. PR-Veranstaltungen wie der Digitaltag können die Sensibiltät erhöhen. Einen echten Beitrag zur Bewältigung diese epochalen Herausforderung aber sind sie nicht, so lange die kritischen Punkte nur als Beigemüse abgehandelt werden.