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Die Politik als Wrestling-Match

epa05916687 (25/32) Wrestler 'The Jackal' climbs onto the ropes to celebrate beating 'Hector Payne' during a hardcore wrestling match at the Brakpan Community Hall, in Brakpan, Joh ...
Wrestler in Triumphpose.Bild: KIM LUDBROOK/EPA/KEYSTONE

Die Politik wird zu einem Wrestling-Match – wird die Demokratie dies überleben?

Donald Trump und Wladimir Putin haben erkannt, dass ihnen Lügen nicht schaden können – und nützen dies schamlos aus. Haben wir bald die Wahl zwischen einer illiberalen Demokratie und einem undemokratischen Liberalismus?
25.06.2017, 14:0726.06.2017, 04:53
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Trump hat also keine Tonbandaufnahmen von seinen Gesprächen mit dem geschassten FBI-Direktor James Comey, genauso wie er nie einen Beweis hatte, dass Barack Obama nicht in den USA geboren wurde oder ihn abgehört hatte, dass tausende von Arabern im New Jersey nach 9/11 feierten oder dass er bei diesem Terroranschlag hunderte von Freunden verloren hatte.  

Ist Trump ein Genie oder krank?

Der US-Präsident lügt, dass sich die Balken biegen – und treibt damit seine politischen Gegner zur Verzweiflung. Ist er ein genialer Taktiker, der mit seinem Comey-Tweet den ehemaligen FBI-Chef dazu gebracht hat zu gestehen, dass er selbst die Presse über seine Aufzeichnungen mit den vertraulichen Gesprächen informiert hat? Das behaupten seine Fans, doch es macht keinen Sinn. Genau dieser Tweet hat letztlich dazu geführt, dass Trump sich jetzt mit einem Sonderermittler herumplagen muss.  

Oder ist er ein krankhafter Lügner mit der Aufmerksamkeitsspanne eines 10-Jährigen, der keine drei Schritte vorausdenken kann, wie das seine Gegner behaupten? Auch das ist zu kurz gegriffen. Trump hat es ins Weisse Haus geschafft, ihn zu unterschätzen wäre dumm und fahrlässig. Eine sinnvollere Erklärung liegt im Wesen des Wrestlings, dieser pervertierten Sportart von Boxen, Ringen und Show, in der alles erlaubt ist – und auch das Gegenteil.  

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Trump und sein damaliger Polit-Partner: Der Profi-Wrestler Jesse Ventura im Jahr 2007.Bild: Richard Drew/AP/KEYSTONE

Trumps Liebe für das Wrestling ist bestens bekannt. Er war lange sehr eng mit Jesse Ventura befreundet, einem ehemaligen Profi-Wrestler, der 1998 zum Gouverneur von Minnesota gewählt wurde. «Jeder Wrestling-Fan – und davon gibt es tonnenweise – liebte Jesse. Er ist smart. Er geht auf die Menschen zu. Er ist ein beliebter Promi. Er sagt, was er denkt. Und der Mann von der Strasse identifiziert sich mit ihm», schwärmt Trumps langjähriger Berater Roger Stone in seinem Buch «The Making of a President 2016» und fügt hinzu: «Das Gleiche kann auch von Trump gesagt werden, der überzeugt war, dass er mit dieser Formel ins Weisse Haus gelangen könnte.»  

Beste Beziehungen unterhält Trump auch zu Vince McMahon, dem CEO von World Wrestling Entertainment, der das Business beherrscht und damit Milliardär wurde. Trump ist mit ihm schon zu Pseudo-Duellen in den Ring getreten. McMahon seinerseits hat sehr viel Geld für Trumps Wahlkampagne gespendet, seine Frau Linda sitzt gar in Trumps Kabinett und ist dort für das Wohl der KMU zuständig.  

«Unsere Gesellschaft ist gespalten zwischen dem Willen des Volkes und dem Regime der Experten – der Tyrannei der Mehrheit und einem Club von sich selbst bedienenden Insidern.»
Edward Luce

Wrestling ist ein So-Tun-Als-Ob. Die Kämpfe sehen weit brutaler aus, als sie sind, Gut und Bös' können willkürlich vertauscht werden, lügen ist genauso erlaubt wie fieses Verletzen der wenigen Spielregeln. Die Zuschauer wissen sehr wohl, dass die Kämpfe gefaked sind und dass die Gewinner und Verlierer zum Voraus feststehen. Doch es kümmert sie nicht. Zwischen den Wrestlern und ihren Fans besteht ein ungeschriebenes Gesetz: Wir tun so, als ob wir uns übel verprügeln, und ihr tut so, als ob ihr das glauben würdet.  

Wrestling ist noch brutaler geworden

Inzwischen hat in den USA die brutalere Ultimate Fighting Championship (UFC) dem Wrestling den Rang abgelaufen. Auch davon ist Trump begeistert. «Die UFC ist für die populäre Kultur, was Trump für die Politik ist», schreibt Edward Luce in seinem Buch «The Retreat of Western Liberalism». «Es ist eine brutale und unnachgiebige Variation des Showbusiness. Anstelle von Solidarität bietet es die Katharsis der Rache.» Luce ist US-Korrespondent der «Financial Times».  

Betrachtet man Trumps politisches Handeln aus der Wrestler-Optik, dann wird auch klar, weshalb seine wiederholten und offensichtlichen Lügen an seinen Fans abperlen. Absprachen mit den Russen? Klar, warum nicht. So läuft es doch hinter den Kulissen. Vermischung von privaten und öffentlichen Interessen? Logisch, Trump wäre ja blöd, wenn er es nicht machen würde. Attraktiven Frauen zwischen die Beine greifen? Welcher Mann täte das nicht, wenn er es dürfte.  

Putin beherrscht das Spiel längst

Wladimir Putin beherrscht die Wrestler-Logik genauso virtuos wie Trump. Die staatlichen russischen Medien erheben längst nicht mehr den Anspruch, über die Realität zu informieren, sie sind zu einer gigantischen Reality-Show verkommen, wie dies Peter Pomerantsev in seinem Buch «Nichts ist wahr und alles ist möglich» aufgezeigt hat.  

«(...) der Kreml hat endlich die Kunst erlernt, Reality-TV und Autoritarismus miteinander zu verschmelzen, um die gewaltige Bevölkerung von 140 Millionen unablässig zu bespassen, sie abzulenken, ihr ständig geopolitische Albträume zu präsentieren, die nur oft genug wiederholt werden müssen, bis sie ansteckend wirken», stellt Pomerantsev fest.  

In this March 4, 2016, photo, Sean Hannity of Fox News arrives in National Harbor, Md. Hannity is getting a bruising reminder that this year's presidential campaign defies traditional political r ...
Trumps Sprachrohr: Sean Hannity, Moderator bei Fox News.Bild: Carolyn Kaster/AP/KEYSTONE

Exakt nach dieser Logik funktioniert Fox News, wo der Trump-hörige Moderator Sean Hannity Abend für Abend seine Zuschauer auf den Präsidenten einschwört. Dabei schreckt Hannity nicht davor zurück, Trumps Verschwörungstheorien seinen Gegnern anzuhängen. So hat er jüngst den liberalen Medien vorgeworfen, sie würden sich wie die Birther verhalten. Die Birther sind eine von Trump gegründete Bewegung, die lange bezweifelte, dass Obama in den USA geboren wurde. Das ist Wrestling pur.  

Wir die Demokratie zur Mob-Diktatur?

Die USA sind die älteste Demokratie der Welt. Verkommt ihre Politik zu einem Wrestling Match, dann wirft dies ernsthafte Fragen auf. Der Politologe Parag Khanna etwa vertritt die breit diskutierte These, wonach die westliche Demokratie im Begriff ist, zu einer Ochlokratie (Fachbegriff für Pöbelherrschaft) zu verkommen und deshalb teilweise wieder eingeschränkt werden müsse. Bereits gibt es Stimmen, die dafür plädieren, dass jeder, der stimmen möchte, zuerst einen Wissenstest absolvieren muss, um zu beweisen, dass er dazu fähig ist.  

Am Ende des 20. Jahrhunderts war die westliche Demokratie das unbestrittene Vorbild für den Rest der Welt. Heute wird sie zunehmend in Frage gestellt. Haben wir die Wahl zwischen einer illiberalen Demokratie und einem undemokratischen Liberalismus? Oder wie sich Edward Luce ausdrückt: «Unsere Gesellschaft ist gespalten zwischen dem Willen des Volkes und dem Regime der Experten – der Tyrannei der Mehrheit und einem Club von sich selbst bedienenden Insidern.» Keine wirklich rosigen Aussichten.

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11 Kommentare
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NWO Schwanzus Longus
25.06.2017 14:35registriert November 2015
"Bereits gibt es Stimmen, die dafür plädieren, dass jeder, der stimmen möchte, zuerst einen Wissenstest absolvieren muss, um zu beweisen, dass er dazu fähig ist." Wäre dagegen, aber angenommen jetzt kommt ein Wissenstest denn jeder vor der Abstimmung machen muss! Welche Fragen werden gestellt, welche Leute gelten als intelligent genug um abzustimmen? Sind nur die intelligent die sich aus der Presse Infomieren die meistens in die Gleichen Töne schlägt, oder sind nur die intelligent die sich aus Alternativ Medien informieren? Sowas würde doch zwangsläufig nur eine Politische Gruppe stärken.
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Kommentiert
25.06.2017 20:25registriert Oktober 2015
Zum Glück können wir in der Schweiz alle zusammen Abstimmung das minimiert die Chance für solche Leute ihre Dinge durchzubringen. Direkte Demokratie ist das A und O im 21. Jahrhundert. Da können wir unseren Vorfahren mal echt auf die Schulter klopfen!

Schönen Abend euch!
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Hans der Dampfer
25.06.2017 22:52registriert März 2014
Schon seltsam diese Doppelrolle der Massenmedien. Zuerst wird Öl ins Feuer gegossen mit Artikeln wo blindlings gegen alle hergezogen wird die politisch eine andere Meinung haben als sie selbst und dann spricht man von "Die Politik wird zu einem Wrestling-Match". Verrückt.
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