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Hornkuh-Initiative

Wie enthornen Bauern eigentlich ihre Kälber?

Diesem jungen Stier wurden die Hörner soeben ausgebrannt. 
Diesem jungen Stier wurden die Hörner soeben ausgebrannt. Bild: zvg az

Wie enthornen Bauern eigentlich ihre Kälber?

In der Schweiz lassen Bäuerinnen und Bauern jährlich rund 200'000 Kälber enthornen. Oder tun dies eigenhändig. Was löst die Enthornung bei einem Landwirt und einer Tierärztin aus? Eine Reportage
17.10.2018, 05:0217.10.2018, 06:26
Yann Schlegel/az
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Leika ist hornlos geboren. Das rund drei Wochen alte Kälblein wurde durch einen Samen gezeugt, bei dem das Horngen nicht ausgebildet ist. Tierärztin Sandra Gloor greift dem zierlichen Jungtier an das Stirnbein, wo üblicherweise die Hornknospen wachsen würden. «Nichts», sagt sie.

Leika wird eine mittelgrosse Milchkuh werden, die Bauer Alois Huber in seine 60-köpfige Herde eingliedern will. «Wenn sie gesund bleibt», schränkt Huber ein. Der Aargauer SVP-Grossrat begann vor zwei Jahren hornlose Kälber der Kuhrassen Swiss Fleckvieh und Limousin heranzuzüchten. Es sei jedoch ein langer Prozess, erzählt Huber, bis ein reinerbiger Stier ohne Horngen gezüchtet sei.

So geht eine Enthornung

Ein zwei Wochen alter Mast-Muni wird im Stall des Aargauer Bauernverbandspräsidenten Alois Huber enthornt. Video: © Yann Schlegel

Noch kommt in der Schweiz die Mehrzahl der Kälber mit Hörnern zur Welt. So auch das noch namenlose frischgeborene Muneli, das auf dem Bauernhof hinter dem Schloss Wildegg neben Leika im knöcheltiefen Stroh steht. Die Lebenszeit des Stiers ist vordefiniert. In rund zwei Jahren wird er – dann als kräftiges Mastmuneli – geschlachtet und im Detailhandel als Bio-Weidebeef verkauft. Die Mastkälber gibt Huber weiter, sobald sie rund fünf Monate alt sind. Er beschränkt sich auf die Milchproduktion.

Trotz der kurzen Lebensdauer nimmt Huber dem Stier die Hörner. Hier geschieht, worüber die Schweiz vor der Hornkuh-Initiative spricht (siehe Box). «Das Muneli enthorne ich nur, weil es der andere Bauer wünscht», sagt der Landwirt. Der Abnehmer wolle dies, da es den Umgang mit einem über 400 Kilogramm schweren Stier erleichtere. Während Leika scheu in einer Ecke steht und die Szene beobachtet, hält Huber den kleinen Stier in der Ecke fest.

Tierärztin Sandra Gloor kommt mit Nadel und Spritze herbei. «Spürst du hier das Hörnchen?», fragt Alois Huber.

«Ja», antwortet die Tierärztin.

«Es ist halt noch ein bisschen jung.»

Bundesrat eröffnet Abstimmungskampf

«Fürs Tierwohl ein Eigengoal»
Landwirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann hält die Hornkuh-Initiative für kontraproduktiv. Wegen der Unfallgefahr müssten Tiere mit Hörnern im Stall angebunden werden. Vor den Bundeshausmedien konnte Schneider-Ammann gestern beim bundesrätlichen Auftakt zum Abstimmungkampf auf eigene schmerzhafte Erfahrungen verweisen. Als er seinen Vater, einen Emmentaler Tierarzt, bei der Arbeit begleitete, habe es hie und da eine Beule gegeben. Heute würden immer mehr Tiere in Freilaufställen gehalten, was ihnen mehr Bewegungsfreiheit gebe. Da sei es sicherer, Tiere ohne Hörner zu haben. Tiere mit Hörnern würden mehrheitlich in Anbindeställen gehalten. «Die Initiative wäre in Bezug auf das Tierwohl ein Eigengoal», so Schneider-Ammann. Über die Hornkuh-Initiative wird am 25. November abgestimmt. Sie verlangt, dass Halterinnen und Halter von horntragenden Kühen, Zuchtstieren, Ziegen und Zuchtziegenböcken finanziell unterstützt werden. Den Initianten um Bergbauer Armin Capaul geht es um die Würde des Tiers. Ihrer Meinung nach ist das Horn ein Sinnes- und Stoffwechselorgan. (sda)

«Wie oft enthornst du pro Jahr?»

Knapp zwei Dutzend Kälber enthornt die Tierärztin jedes Jahr auf Alois Hubers Bio-Bauernhof. Obwohl er als Bauer nach einem Kurs selbst enthornen könnte, komme dies für ihn nicht infrage. «Es ist eine Routineangelegenheit», sagt Huber. Deshalb vertraue er seiner Tierärztin. «Sandra, wie oft enthornst du pro Jahr – 100 Mal?»

«Weit über hundert», erwidert die Tierärztin.

«Tue warte Schätzu, chom. Chom tue warte», haucht sie dem Kalb mit sanfter Stimme ins Ohr. Gloor trifft mit ihrer Nadel den Hals, spritzt ein Betäubungsmittel und verabreicht dem Stier gleich noch ein Schmerzmittel, das zwei Tage wirken soll.

Hörner von Kühen müssen gepflegt sein, sonst würden sie schief wachsen, sagt der Aargauer Landwirt Alois Huber.
Hörner von Kühen müssen gepflegt sein, sonst würden sie schief wachsen, sagt der Aargauer Landwirt Alois Huber.Bild: zvg az

Binnen Sekunden verliert das Kalb den Halt und hebt noch ruckartig eines seiner vier Beine, um im Stroh letzte Schritte zu nehmen. Dann wird es übermannt – in der Fachsprache nennt man das Sedierung. Die Funktionen des zentralen Nervensystems sind gedämpft. «Chom tue ligge», sagt Gloor. Die Augenlider des Kalbes werden schlaff, dann legt sich das Tier aufs Stroh. Es atmet ruhig, nur die Ohren zucken noch energisch.

Huber rasiert nun die Haare um die Hörnchen weg. «Damit es weniger stark riecht und weniger Haare verbrennen», sagt Tierärztin Gloor. Mit zwei weiteren Spritzen anästhesiert sie auf beiden Seiten lokal den Hornansatz, damit das Kalb nichts spürt. Dann greift die Tierärztin zum Brennstab mit schwarzem Plastikgriff.

Dessen Eisenkopf ist inzwischen auf 600 Grad erhitzt worden. Sie kniet sich neben dem regungslosen Stier nieder und brennt die aus der Distanz unsichtbaren Hornknospen mit Kreisbewegungen aus. Leika schaut zu. Horn und übrig gebliebenes Haar schmürzeln dahin. Leichter Rauch steigt auf. Es riecht nach verbranntem Haar. Bauer Huber desinfiziert die Wunde unmittelbar, nachdem der Hornansatz ausgebrannt ist. Zurück bleibt eine kleine Wunde.

Verband ist gegen die Initiative

«Bei der korrekten und frühzeitigen Enthornung wird die Blutzufuhr von der Hornanlage abgeschnitten. Die Hornanlage stirbt nachher ab», erklärt Patrizia Andina, Tierärztin auf der Geschäftsstelle der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST). Der Verband befürchtet, eine Annahme der Initiative würde zu mehr Anbindeställen führen, wie sie früher üblich waren. «Wir gewichten die Laufstallhaltung höher als die Behornung der Kühe», sagt Andina. Darum spricht sich die GST auch gegen die Hornkuh-Initiative aus.

Kurz nach der Abstimmung soll jedoch eine Studie der Universität Bern publiziert werden, welche die Schmerzen als Folge der Enthornung bei Kälbern untersucht. «Je nach Ergebnis muss die künftige Praxis des Enthornens diskutiert werden», sagt Andina.

Einen Augenblick scheint der kleine Stier zu vollem Bewusstsein zurückzukehren. Er hebt den Kopf. Will gar aufstehen, sackt aber gleich wieder zu Boden. «Ich lege ihn richtig hin», sagt Alois Huber und stützt das Tier seitlich mit Stroh. Für Landwirt Huber beginnt in den Tagen nach der Enthornung die Kontrolle.

Über der Wunde wird sich eine Kruste bilden. Darunter würden sich vielmals Fliegen einnisten, erzählt er. Deshalb müsse er die Kruste regelmässig entfernen. «Es geht extrem schnell und die Maden fressen sich ins Fleisch des Kalbes vor», sagt Huber.

Allem Aufwand zum Trotz empfindet der Aargauer die Enthornung als unproblematisch. Die Alternative wäre wirtschaftlich unattraktiv. «Ich müsste meinen Viehbestand um rund einen Drittel verringern, wenn ich mich gegen das Enthornen entscheiden würde», sagt der SVP-Grossrat.

Armin Capaul, Bergbauer und Initiant spricht waehrend einer Medienkonferenz ueber die Hornkuh-Initiative zur Eidgenoessischen Volksabstimmung, am Dienstag, 2. Oktober 2018 in Bern. (KEYSTONE/Anthony A ...
Armin CapaulBild: KEYSTONE

Die Hornkuh-Initiative lehnt er ab, weil seiner Meinung nach Direktzahlungen nicht über eine Verfassungsänderung geregelt werden sollten. Dennoch kommt er ein wenig ins Schwärmen, wenn er über Armin Capaul spricht, der die Initiative beinahe im Alleingang stemmte: «Er war ja fast gezwungen, eine Volksinitiative zu lancieren.» (aargauerzeitung.ch)

Kühe sollen Hörner tragen:

Video: srf/SDA SRF

Kühe adoptieren kleines Wildschweinchen:

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Kühe adoptieren kleines Wildschweinchen
Entspanntes Miteinander: Das kleine Wildschwein, das mittlerweile den Namen Johann trägt, wurde von der Herde aufgenommen. Bild: dpa
quelle: dpa / swen pfã¶rtner
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65 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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dracului
17.10.2018 06:19registriert November 2014
Es ist m. A. nicht nur falsch Direktzahlungen über die Verfassung zu regeln, sondern auch dass es für das natürliche Belassen der Hörner finanzielle Unterstützung geben soll. Eigentlich müsste doch die “Behandlung” verteuert werden? Zudem ist die plötzliche Neosensibilität der Konsumenten und Landwirte beim “Sinnesorgan” Horn irritierend. Wenn wir schon über Hörner sprechen wollen, dann wäre die grundsätzliche Frage nach der Würde der Kuh zu diskutieren. Kühe produzieren eine Leben lang Milch, viel Kalbsfleisch und enden schliesslich selber dem Teller. Ob Hörner diese “Würde” aufwerten können?
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Zitronensaft aufbewahren
17.10.2018 06:43registriert Juli 2015
Kann mir jemand erklären, was an einer Enthornung schlimmer sein soll, als an einer Kastration eines Hundes? Und warum genau dieser spezifische Eingriff nun finanzielle Konsequenzen haben soll?
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Lümmel
17.10.2018 07:03registriert Mai 2016
In jedem Beruf werden die Sicherheitsmassnahmen heraufgesetzt damit man jede eventualität eines Unfalls vermeiden kann. Nur bei den Bauern soll jetzt plötzlich das Gegenteil gefördert werden.

Zudem ist mir eine enthornte Kuh die sich im Stall frei bewegen kann lieber als eine gehörnte die den ganzen Tag angebunden ist.
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