«Zero Covid» wird immer mal wieder als Ziel genannt. Dass das SARS-CoV-2-Virus aber jemals wieder ganz verschwindet, ist unklar – trotz Impfungen und Herdenimmunität.
Vor wenigen Tagen sorgte eine Studie der Emory University in Atlanta um die Infektiologin Jennie Lavine für Aufsehen. Dort wird beschrieben, wie das SARS-CoV-2-Virus möglicherweise zu einem endemischen Erreger wird, so wie die vier anderen weltweit zirkulierenden menschlichen Coronaviren. Impfungen könnten dann an Bedeutung verlieren. Der Weg dorthin ist allerdings lang. Wir haben bei Professor Jürg Utzinger, Direktor des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts (Swiss TPH), nachgefragt.
Jürg Utzinger, wird das SARS-CoV-2-Virus, das COVID-19 auslöst, je wieder ganz verschwinden?
Jürg Utzinger: So wie sich die Pandemie im vergangen Jahr entwickelt hat, dürfen wir leider nicht davon ausgehen, dass dies in der nahen Zukunft passiert. Im Gegenteil, wir werden noch lange mit dem Virus leben müssen.
Warum?
Man hat zu spät reagiert und verpasst, das Virus im Ursprungsgebiet frühzeitig einzudämmen. Allerdings ist das Virus auch perfid. Es hat eine hohe Reproduktionsrate, wird einfach von Mensch-zu-Mensch übertragen und man kann ohne Symptome Träger des Virus sein. Darum sah man wohl auch zu Beginn nur die Spitze des Eisbergs, als das Virus bereits auf dem Vormarsch war.
Hätte man das verhindern können?
Im Nachhinein ist man immer schlauer. Mit grosser Wahrscheinlichkeit sprang das Virus von einem Tier auf den Mensch über. Es wurde dann relativ einfach weitergegeben und breitete sich schnell aus. Mit der Globalisierung und hohen Mobilität der Menschen war dann bald die ganze Welt betroffen. Jetzt mit weltweit über 100 Millionen nachgewiesenen Fällen ist die Eindämmung sehr, sehr schwierig.
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Die im Januar veröffentlichte Studie aus Atlanta zeigt auf, wie das Virus endemisch werden und in Zukunft nur noch harmlose Erkältungen verursachen könnte. Was halten Sie davon?
Das ist für mich ein durchaus plausibles Szenario. Die Studie basiert auch auf Annahmen und Modellierungen, aber insgesamt berücksichtigten die Forschenden viele wichtige Punkte auch im Vergleich mit anderen bereits zirkulierenden Coronaviren.
Das sind gute Neuigkeiten.
Auf lange Sicht vielleicht. Aber so schnell geht das alles nicht. Ich gehe davon aus, dass mehrere Jahre vergehen könnten, bis das SARS-CoV-2-Virus endemisch wird.
Können Sie einen genaueren Zeithorizont geben?
Nein, da spielen zu viele Faktoren mit rein, insbesondere auch unser Verhalten (z.B. das Einhalten der Abstandsregel) und Kontrollmassnahmen (z.B. wie schnell es gelingt, die Bevölkerung mit wirksamen Impfstoffen zu versorgen).
Wo stehen wir jetzt?
Beim aktuellen Coronavirus sind wir noch in der epidemischen Phase. Erst wenn wir dann in einem «steady state» - einem stabilen Zustand - sind, kann man von einem endemischen Virus sprechen. Wobei endemisch sich auf eine bestimmte geographische Region bezieht; das kann weltweit sein oder auch nur für bestimmte Gebiete (z.B. eine Insel).
Gemäss der Studie würden sich dann in Zukunft kleine Kinder zwischen 3 und 5 Jahren erstmals infizieren. In dieser Altersgruppe ist die Erkrankung selten gefährlich. Mit jeder weiteren Infektion werden die Verläufe milder. Das neuartige Coronavirus verliert seinen Schrecken. Wie wahrscheinlich ist dieses Szenario?
Ich gehe momentan auch davon aus, dass sich mit jeder Infektion eine Teilimmunität aufbaut und dadurch bei weiteren Infektionen schwere Krankheitsverläufe verringern und die Mortalität sinkt.
Aber aktuell weiss man noch nicht, wie lange so ein «Schutz» nach einer Infektion überhaupt wirkt.
Genau, das ist noch unklar. Wir gehen aber aufgrund aktueller Daten nicht davon aus, dass ein lebenslanger Schutz bleibt. Normalerweise bleibt ein Teilschutz, da eine gewisse Immunreaktion schon mal ausgelöst wurde. Es ist wie wenn im Körper ein «Gedächtnis» aufgebaut wird, und somit eine Abwehrreaktion einsetzt bei einer neuen Infektion. Im Idealfall erfolgt keine Reinfektion mehr, oder sonst eine mit milderem Krankheitsverlauf.
Wie gross ist die Chance auf dieses Szenario?
Da jedes Virus einen eigenen Charakter ausweist, kann man das nicht vorhersagen. Beispielsweise Ebola ist noch immer in sehr vielen Fällen tödlich. Aber weil man da auch sehr schnell sehr stark erkrankt, bleibt eine grossflächige Ausbreitung aus.
Was spielen die Mutationen da für eine Rolle?
Hier bleibt eine grosse Unsicherheit bestehen und die grosse Dynamik mit schneller Verbreitung von zahlreichen Mutationen macht uns grosse Sorge. Besonders gefürchtet sind Mutationen die einfacher von Mensch zu Mensch übertragen werden können und gegen die die neuen Impfstoffe weniger wirksam sind.
Immerhin haben wir eine Impfung, die wirkt. Müssen wir uns in Zukunft einfach regelmässig impfen, ähnlich wie beispielsweise bei der jährlichen Grippeimpfung?
Das kann sein, ist aber zur Zeit noch schwierig abzuschätzen. Ganz entscheidend ist, dass die globale Impfkampagne begonnen hat und wir so schnell wie möglich genügend Impfdosen für alle Menschen, die sich impfen lassen wollen, zur Verfügung stellen – und zwar auf der ganzen Welt.
Wie sieht es mit Kleinkindern aus. Alle die jetzt «mit dem Coronavirus aufwachsen» könnten einen natürlichen Schutz aufbauen. Wird da die Impfung hinfällig?
Bei einer Impfung bleibt immer ein Restrisiko und so gilt es Nutzen und Risiken sorgfältig abzuschätzen. In der aktuellen epidemischenLage können wir für einen Grossteil der Bevölkerung sagen: Ja, eindeutig impfen. Dies betrifft momentan vor allem ältere Personen, solche mit Vorerkrankungen und das besonders exponierte Gesundheitspersonal. Aber in einem endemischen Stadium, wenn das Virus nicht mehr so gefährlich ist, könnte man eventuell auf diese vorsorgliche Impfung verzichten. Das wird sich in den nächsten Jahren zeigen.
Wie sehen Sie die Entwicklung in den nächsten Monaten?
In der COVID-19 Krise haben wir früh von einem Marathon gesprochen. Dieser geht noch weiter. Wir werden noch besser lernen müssen, mit dem Virus umzugehen. Was mich zuversichtlich stimmt, ist, dass relativ einfache Public-Health-Massnahmen wie Abstand halten, das Tragen von Masken und Hygienemassnahmen schon viel bewirken. Die Impfstoffe – welche in Rekordtempo entwickelt wurden und rigoroser behördlicher Prüfung unterzogen wurden – und die neuen Schnelltests bilden wichtige Instrumente im Kampf gegen die Pandemie. Die Situation ist insgesamt schon viel besser als noch vor ein paar Monaten. Aber es wird noch manche Monate dauern, bis wir die Pandemie in den Griff bekommen. Ganz klar sehe ich Licht am Ende des Tunnels.
Wird beim CoVid19 nicht anders sein...