Ihr Protest geht um die Welt. Mehr als 150 NFL-Profis knieten am Sonntag vor dem Spiel während der Nationalhymne nieder. Sie tun es ihrem mittlerweile arbeitslosen Kollegen Colin Kaepernick gleich, der vor einem Jahr begann, mit dieser Geste ein Zeichen gegen Polizeigewalt gegen Schwarze und Rassendiskriminierung zu setzen. Und sie protestieren gegen US-Präsident Donald Trump, der am Freitag im US-Bundesstaat Alabama dazu aufgerufen hat, NFL-Spiele zu boykottieren, solange die Proteste anhielten.
Einer der grössten Proteste fand in Washington beim Spiel der Redskins gegen die Oakland Raiders statt, wo sich fast die gesamte Mannschaft der Raiders hinkniete. Beim Spiel der New England Patriots gingen 15 Spieler während der Hymne zu Boden; Superstar Tom Brady und ein paar Kollegen schlossen sich Arm in Arm stehend zusammen.
Um zu verhindern, dass sich einzelne Spieler in der Öffentlichkeit exponieren müssen, entschieden die Pittsburgh Steelers, dass sie vor ihrem Spiel in Chicago während der Hymne geschlossen in der Kabine bleiben würden. Obwohl es seit 2009 und dem Beginn der starken finanziellen Unterstützung der Liga durch das US-Militär üblich geworden ist, dass die Mannschaften während der Zeremonie auf dem Platz stehen.
«Wir werden heute nicht an der Hymne teilnehmen. Nicht, weil wir die Hymne nicht respektieren. Wir wollen uns nur von der Situation distanzieren», begründete Trainer Mike Tomlin. «Wir stehen zu 100 Prozent hinter der Entscheidung.» Doch einer hielt sich nicht daran: Alejandro Villanueva.
Der Left Tackle konnte es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, der Zeremonie im Stadion fernzubleiben. Als einziger «Steeler» kam er aus der Kabine, um sich während der Hymne vor den Zuschauern die Hand auf die Brust zu halten. Für viele Amerikaner haben Flagge und Hymne, die als Symbol für Freiheit und den Zusammenhalt der 50 Bundesstaaten gelten, eine riesige Bedeutung, die für uns Europäer befremdlich und unverständlich wirkt. Für Villanueva haben die beiden Symbole aber einen immensen Stellenwert, denn er hat sein Leben riskiert.
Der 29-Jährige ist Armee-Veteran und kämpfte zwischen 2011 und 2013 insgesamt acht Monate in Afghanistan gegen die Taliban. Bei einem seiner ersten Einsätze trat ein Kamerad auf eine Mine. Die Explosion riss ihm die Beine ab, die Villanueva schliesslich zurück zur Basis tragen musste.
— AM81 (@AM81duh) 24. September 2017
Wenig später starb bei einem Taliban-Hinterhalt einer seiner Kollegen, zwei wurden verletzt, weshalb er noch heute ein Armband mit dem eingravierten Namen des Toten trägt. Für die Rettung von Kollegen unter feindlichem Beschuss erhielt er eine «Bronze Star Medal». Erst nach dem Ende seiner militärischen Laufbahn startete der einstige College-Footballer der Militärakademie in West Point seine NFL-Karriere.
Die Teamkollegen zeigten sich nach der 17:23-Niederlage in Chicago überrascht von Villanuevas Alleingang, wollten ihn aber nicht dafür kritisieren. «Wir stehen hinter ihm», sagte Defensive End Cam Heyward. «Er hatte das Gefühl, das tun zu müssen. Dieser Typ hat unserem Land gedient und wir danken ihm dafür.» Guard David DeCastro zeigte ebenfalls Verständnis und erklärte, dass er eben ein «Spezialfall» sei.
Villanueva selbst wollte sich nicht zu seinem Boykott des Hymnen-Boykotts äussern. Vor einem Jahr sagte er zu Kaepernicks Kniefall aber Folgendes: «Ich denke, dass die meisten Amerikaner wissen, dass die Minderheiten schlecht behandelt werden und es ein Problem gibt. Ich bin der Erste, der Colin Kaepernicks Hand halten und etwas gegen Polizeigewalt gegen Minderheiten, das Justizsystem und die unterschiedliche Bezahlung für gleiche Jobs tun würde. Aber ich glaube nicht, dass sein Weg der richtige ist, weil er diejenigen brüskiert, die versuchen, unsere Freiheit und unser Land zu schützen.» Schon damals sagte Villanueva, dass er stets stolz dastehen werde, wenn die Hymne gespielt werde. Selbst wenn seine Teamkollegen knien würden.
Und genau da liegt wohl das grosse Missverständnis zwischen Protestierenden und jenen, die sich darüber aufregen. Die wenigsten Amerikaner haben etwas gegen die Anliegen der NFL-Profis. Das Problem ist für sie nur, wie und wann sie ihren Protest zum Ausdruck bringen. Sie stören sich daran, dass die Symbole der Freiheit und Unabhängigkeit ihres Landes von privilegierten Millionären diskreditiert werden, während andere, die einen Bruchteil davon verdienen, dafür ihr Leben lassen.
Villanuevas Teamkollege DeCastro bringt es auf den Punkt: «Ich wünschte, es hätte eine andere Lösung für Al gegeben. Aber es gibt halt Leute, für die steht die Nationalhymne für Patriotismus, Soldaten und all das Zeug. Die Leute regen sich deshalb über den Protest auf und ich verstehe das. Es wäre einfach schön, wenn beide Seiten verstehen würden, dass jede nur das Richtige tun will.»
Der Protest der NFL-Spieler spaltet – angeheizt von US-Präsident Trump – jedenfalls ein Land, das ohnehin schon gespalten ist. Auf der einen Seite wird der Protest öffentlich durch viele Amerikaner unterstützt, auf der anderen Seite wachsen die Wut und das Unverständnis. Viele bauen ihren Frust in der scheinbaren Anonymität der sozialen Medien ab. Einzelne aufgebrachte Fans verbrennen dort sogar ihre Fan-Utensilien und spielen dazu die Nationalhymne ab.
I have been a Steelers fan since 1966, but no more. pic.twitter.com/9W4oMl1EhF
— Starving1 (@ArvinGibbs) 24. September 2017
Als Gesicht des stillen Widerstands gegen die Protestaktion muss nun Villanueva herhalten. Er wird von Konservativen und Trump-Anhängern als wahrer Patriot gefeiert. Sein Trikot wurde über Nacht zu einem der meistverkauften in der NFL. Ob ihm das passt? Eigentlich wollte er ja nur die Hymne und die Flagge seines Landes ehren.