Schweizer Kritik an der Ukraine-Hilfe der EU ist billig – und feige
Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben wieder einmal einen Kompromiss herausgewürgt. Einen besonders gewichtigen allerdings. In der Nacht auf Freitag einigten sie sich in Brüssel auf einen Kredit von 90 Milliarden Euro für die Ukraine, mit dem das leidgeprüfte und kriegsversehrte Land die nächsten zwei Jahre überstehen soll.
Finanziert wird er durch die Aufnahme gemeinsamer Schulden, und nicht aus eingefrorenen Guthaben der russischen Zentralbank. Gegen diese ursprünglich geplante Lösung wehrte sich Belgien als «Standortland» mit Händen und Füssen, aus nachvollziehbaren Gründen. Nun resultierte ein typischer EU-Kompromiss, wie man ihn etwa von der Eurokrise kennt.
Einen Schönheitspreis gewinnt man mit dieser Lösung definitiv nicht, und die Kritik in europäischen Medien ist teilweise deutlich. «Ein klares Zeichen der Stärke geht von dem Gipfelkrimi nicht aus», meinte der Spiegel. Immerhin wird anerkannt, dass zumindest das anvisierte Ziel erreicht wurde. So sieht es auch der Brüssel-Korrespondent von Radio SRF.
«Ein fahler Nachgeschmack»
Dies sei jedoch «nicht ausreichend», meinte er in seiner Analyse und begründete dies mit folgendem Satz: «Die Europäische Union hat es wieder einmal verpasst, zu zeigen, dass sie gewillt ist, um jeden Preis die Ukraine zu unterstützen, und gewillt ist, hohe politische, finanzielle und juristische Risiken einzugehen.» Deshalb bleibe «ein fahler Nachgeschmack».
Das kann man so sehen, aber nicht aus dem erwähnten Grund. Sondern weil diese Kritik im Medium eines Landes erfolgt, das bei der Hilfe für die Ukraine selbst keine gute Falle macht. Man braucht in besagtem Satz nur «Europäische Union» durch «Schweiz» zu ersetzen und kommt zum gleichen Schluss, besonders was die Bereitschaft angeht, Risiken einzugehen.
Platz 17 von 41 Ländern
Die EU mag finanziell und militärisch bislang zu wenig für die Ukraine getan haben, aber für die Schweiz gilt das erst recht. Sie hat zwei Konferenzen organisiert, in Lugano und auf dem Bürgenstock. Doch die Erinnerung ist selbst im Inland verblasst. Zu dürftig war in beiden Fällen das Ergebnis, daran können die schönen Bilder vom Bürgenstock nichts ändern.
Bei der finanziellen Hilfe setzt die Schweiz ebenfalls keine Glanzlichter. Das zeigt der Ukraine Support Tracker des Kiel Institut für Weltwirtschaft. Dort liegt die Schweiz mit etwas über einer Milliarde Euro auf Platz 17 von 41 Ländern. Das scheint ansprechend zu sein, doch beim Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) resultiert nur Rang 27. Andere und ärmere Länder leisten viel mehr.
Null militärische Hilfe
Einzig bei der humanitären Hilfe befindet sie sich mit Platz 8 weit oben, dennoch fragt man sich, ob trotz Spardebatten nicht mehr möglich wäre. Komplett blank ist der Support Tracker bei der militärischen Hilfe. Die Schweiz versteckt sich hinter der Neutralität, doch andere neutrale Länder wie Irland und Österreich leisten zumindest einen kleinen Beitrag.
Nicht einmal die Weitergabe von längst gekauften und bezahlten Rüstungsgütern wollte die Schweiz erlauben. Eine Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes sollte Abhilfe schaffen, doch am Ende wurde auf Druck der SVP genau dieser Punkt gekippt. Stattdessen soll die hiesige Rüstungsindustrie bessere Absatzchancen bekommen. Die Ukraine geht leer aus.
«Zumutbare» Rückkehr
Bei der Militärhilfe blockte das Parlament ab, dafür setzte es sich ein für eine «Aufweichung» des Schutzstatus S für ukrainische Flüchtlinge. Der Bundesrat hat deshalb sieben Gebiete im Westen des Landes definiert, in die eine Rückkehr als «zumutbar» gilt. Disclaimer: Es gibt in der Ukraine kein einziges Gebiet, das nicht von russischen Angriffen betroffen ist.
Daraus ergibt sich das Bild eines Landes, das bei der Hilfe für die Ukraine zögerlich agiert, gleichzeitig aber Geflüchtete ins Kriegsgebiet zurückschicken will. Aus dieser Perspektive ist es billig, wenn nicht feige, die mangelhafte Hilfe der EU zu kritisieren. Ein Leitartikel im «Tagesanzeiger» warf ihr letztes Jahr nichts weniger als «Verrat» vor.
Fragwürdiger Rundumschlag
Zwar wurde auch die Entscheidung der Schweiz kritisiert, «die EU-Sanktionen gegen Russland nicht mehr vollständig mitzutragen». Bei der Lektüre aber wurde man den Verdacht nicht los, dass dieser Passus eingefügt wurde, weil den Verantwortlichen bei dem von einer deutschen Redaktorin verfassten Rundumschlag selbst nicht wohl war.
Man darf den Schweizer Medien attestieren, dass sie sich insgesamt mit Kritik an der EU zurückhalten. Erlaubt ist sie natürlich, nur schon aus Respekt vor der Pressefreiheit, und weil es teilweise Gründe dafür gibt. Aber wenn sie aus einem Land erfolgt, das selbst zu wenig für die Ukraine tut, sollte man sich die Wortwahl gut überlegen.
