In der Schweiz ist es an der Corona-Front derzeit ziemlich ruhig. Die Fallzahlen und Hospitalisierungen sind tendenziell rückläufig. In der Sonntagspresse forderten Politiker der Mitte-Partei eine Lockerung der Zertifikatspflicht. Der Bundesrat wird an seiner Sitzung vom Mittwoch jedoch kaum darauf eintreten. Mit gutem Grund, wie ein Blick nach Osten zeigt.
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Die Impfquote ist in den osteuropäischen Ländern noch tiefer als bei uns. Besonders übel sieht es in Bulgarien und Rumänien aus. Auch in Lettland sind erst knapp 50 Prozent der 1,9 Millionen Einwohner vollständig geimpft. Nun greift die Regierung zu einer Massnahme, die man mit der Impfung eigentlich überwinden wollte: Sie hat einen neuen Lockdown verhängt.
Im baltischen EU-Land soll das öffentliche Leben ab Donnerstag für drei Wochen heruntergefahren werden. Alle Geschäfte und Dienstleister müssen schliessen, mit Ausnahme von Läden des täglichen Bedarfs. Schulen sollen auf Fernunterricht umgestellt werden und die Menschen ihre Wohnung von 20 bis 5 Uhr nur mit gutem Grund verlassen.
Dabei hatte sich die rechtsliberale Regierung von Ministerpräsident Krisjanis Karins seit Monaten bemüht, die Impfbereitschaft in der Bevölkerung anzukurbeln. Mit wenig Erfolg. Letzte Woche verhängte sie einen dreimonatigen Gesundheitsnotstand. Für Angestellte des öffentlichen Dienstes gilt eine Impfpflicht, ebenso für bestimmte Berufsgruppen.
Genützt hat es nichts, die Zahl der Neuinfektionen steigt seit Anfang September steil nach oben. Sie ist so hoch wie nie seit Beginn der Pandemie. Das zeigt, wie ansteckend die Delta-Variante ist. Auch die Spitaleinweisungen nahmen stark zu, allerdings sind es weniger als im letzten Winter. Die Impfung ist also auch in Ländern mit tiefer Quote nicht nutzlos.
Dennoch sah die Regierung in Riga keinen anderen Ausweg als einen erneuten Lockdown. Dabei gibt es auch in Lettland mehr als genug Impfstoff. Neben dem in Osteuropa verbreiteten Misstrauen gegenüber der Regierung nennen Experten vor allem einen Grund für die geringe Impfbereitschaft: Die Kluft zwischen lettisch- und russischsprachigen Menschen.
Sie existiert in allen drei Ländern des Baltikums. Während der erzwungenen Zugehörigkeit zur Sowjetunion waren viele Russen dorthin gezogen. Nach der Unabhängigkeit 1991 kam es deshalb zu Spannungen. In Lettland, wo ein Viertel der Menschen russische Wurzeln hat, waren sie besonders gross, auch aufgrund restriktiver Sprach- und Einbürgerungsregeln.
Die Folgen sind bis heute spürbar. «Die meiste Zeit haben Politiker in Lettland Sprache und Ethnie benutzt, um die Gesellschaft zu spalten», sagte Aleksandra Palkova vom Latvian Institute of International Affairs in Riga gegenüber Euronews. Während der Pandemie sei dies jedoch nicht der Fall gewesen, die Regierung habe stets zweisprachig informiert.
Dennoch sei die Impfquote bei Menschen mit lettischer Muttersprache höher als bei jenen, die Russisch sprechen, sagte Palkova. Letztere leben häufig in einer «Parallelgesellschaft», in der sie anfällig sind für Propaganda aus Moskau. So verbreitete das «Newsportal» Sputnik die absurde Behauptung, das Coronavirus sei in einem lettischen Labor erschaffen worden.
Die Verhältnisse in Lettland lassen sich nicht einfach auf andere Länder übertragen. Doch auch in der Schweiz zeigte sich nach den Sommerferien, dass viele Menschen albanischer Herkunft für die Corona-Infos des Bundes kaum erreichbar waren. Auf jeden Fall ist der neue Lockdown in der Ostsee-Republik eine Warnung mit Blick auf den nahen Winter.
Länder mit einer relativ tiefen Impfquote, zu denen auch die Schweiz gehört, könnten ernsthafte Probleme bekommen. Noch suchen Bund und Kantone nach Wegen, wie sie die Impfskeptiker in der nationalen Impfwoche vom 8. bis 14. November erreichen und überzeugen können. Ein Verweis auf die Lage in Lettland könnte vielleicht nicht schaden.
Was soll man da noch sagen?
Langsam aber sicher habe ich das Gefühl, dass im deutschsprachigen Raum (Covid) Missinformationen verbreiteter und ein viel grösseres Problem sind, als in den meisten anderen Ländern. Vielleicht sollte sich der Bund mal anschauen, was andere Länder in diesem Bereich besser machen als wir.