Die Coronavirus-Pandemie hat eine beispiellose Mobilisierung der Wissenschaft ausgelöst – rund um den Globus arbeiten Forscher daran, dem Virus auf die Spur zu kommen und Impfstoffe gegen diesen neuen Erreger sowie effiziente Medikamente gegen die von ihm ausgelöste Erkrankung zu finden. Von der Dringlichkeit der Lage getrieben, teilen sie ihre Erkenntnisse ohne das sonst übliche, aber zeitraubende Peer-Review-Verfahren, bei dem mindestens zwei unabhängige Wissenschaftler eine neue Studie begutachten.
Die folgende Übersicht enthält daher auch Studien, deren Ergebnisse mehr als sonst vorläufigen Charakter aufweisen und aufgrund der eingeschränkten Qualitätskontrolle mit gegebener Vorsicht interpretiert werden sollten.
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Eine Impfung gegen die von SARS-CoV-2 verursachte Krankheit Covid-19 wäre der Königsweg, um mit der Pandemie fertig zu werden. Trotz intensiver Anstrengungen dürfte es nach Schätzung der meisten Fachleute noch ein bis anderthalb Jahre dauern, bis ein geeignetes Vakzin zur Verfügung steht. Das liegt daran, dass Impfstoffe gründlich in klinischen Studien auf Sicherheit und Effizienz geprüft werden müssen, was ein unvermeidlich zeitraubender Vorgang ist. Die bis jetzt am weitesten fortgeschrittenen Projekte haben die Phase erreicht, in der ein Impfstoff an Freiwilligen erprobt wird.
Bis jetzt gibt es für Menschen jedoch lediglich experimentelle – mithin nicht als Arzneimittel zugelassene – Impfstoffe gegen Viren aus der Coronafamilie (zu denen neben SARS-CoV-2 auch der SARS-Erreger gehört). Folgende drei Arten von Impfstoffen werden derzeit hauptsächlich erforscht:
Die Anzahl der gegenwärtig laufenden Impfstoff-Projekte gegen SARS-CoV-2 kann nicht exakt genannt werden. Das Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA) zählt deren 79, die Weltgesundheitsorganisation WHO listet derzeit 83 auf (Stand 21. April). Dazu kommen mindestens 13 weitere, die sie nicht erwähnt. Wir wählen hier jene aus, die sich mindestens bereits in der Phase 1 befinden.
Das chinesische Pharma-Unternehmen CanSino Biologics mit Sitz in Tianjin testet im Verbund mit dem Beijing Institute of Biotechnology des chinesischen Militärs den Impfstoff Ad5-nCoV in einer placebokontrollierten Doppelblind-Studie. Die erste Phase, in der vornehmlich die Sicherheit und die Verträglichkeit des Impfstoffs im Zentrum stehen, begann am 18. März. Getestet wird an 108 gesunden Freiwilligen (im Alter von 18 bis 60 Jahren). Die zweite Phase, in der das Augenmerk auf der medizinischen Wirksamkeit liegt, begann am 12. April mit 500 Versuchspersonen. Phase 1 soll im Dezember 2020 abgeschlossen sein, Phase 2 im Januar 2021. CanSino Biologics hat bereits erfolgreich ein Ebola-Medikament entwickelt.
Der von der amerikanischen Firma Moderna Inc. hergestellte neuartige Impfstoff MRNA-1273 basiert auf mRNA. Sie codiert das Spike-Protein des Covid-19-Erregers SARS-CoV-2, eingekapselt in eine Hülle aus Lipid-Nanopartikeln. Die 45 in drei Kohorten eingeteilten gesunden Testpersonen – Männer und nicht schwangere Frauen im Alter von 18 bis 55 Jahren – erhalten den Impfstoff intramuskulär. Es erfolgen zwei Injektionen im Abstand von 28 Tagen; die Versuchspersonen werden nach der zweiten Impfung ein Jahr lang beobachtet. Die am 16. März angelaufene Phase 1 der Studie wird voraussichtlich am 1. Juni abgeschlossen. Sie soll die Bewertung der Sicherheit des Impfstoffs ermöglichen und erste Daten zur Immunantwort liefern, die er auslöst.
Auf der Grundlage einer Analyse des Virus-Genoms hat das chinesische Shenzhen Geno-Immune Medical Institute ein synthetisches Mini-Gen konstruiert. Per adoptivem Zelltransfer werden dendritische Zellen modifiziert und antigenspezifische zytotoxische T-Zellen aktiviert, die die Immunität induzieren sollen. Der lentivirale Impfstoff LV-SMENP-DC wird an 100 erwachsenen Probanden in Shenzen getestet; die Studie soll bis zum 31. Juli 2020 abgeschlossen sein.
Der von der US-Firma Inovio Pharmaceuticals entwickelte DNA-Plasmid-Impfstoff INO-4800 wird über ein Elektroporationsgerät in die Haut verabreicht. Präklinische Daten haben nach Angaben des Herstellers in Tierversuchen «vielversprechende Ergebnisse der Immunantwort» gezeigt. Klinische Phase-1-Tests haben am 6. April mit bis zu 40 gesunden Testpersonen begonnen. Alle Probanden erhalten im Abstand von vier Wochen zwei Dosen INO-4800. Vorläufige Daten zur Sicherheit und erste Ergebnisse zur Immunantwort werden für den Spätsommer erwartet. Bis Ende Jahr kann die Firma eine Million Dosen für zusätzliche Studien und Notfälle produzieren.
Der an der britischen Universität von Oxford entwickelte Impfstoff ChAdOx1 ist ein modifizierter, nicht replizierender Schimpansen-Adenovirus-Vektor. Dabei handelt es sich um einen sehr gut untersuchten Impfstofftyp, der bereits gegen zehn verschiedene Krankheiten eingesetzt wird. Die Verabreichung erfolgt intramuskulär. Die Phase-1/2-Studie begann am 23. April und findet an 510 Freiwilligen im Alter von 18 bis 55 Jahren in vier Zentren in Grossbritannien statt. Die Hälfte der Testpersonen wird den Impfstoff erhalten, die andere Hälfte einen «Kontroll-Impfstoff», der gegen Meningitis und Sepsis schützt. Die Studie soll die Sicherheit und Immunogenität von einer oder zwei Dosen des Impfstoffs testen. Sie dauert sechs Monate und dürfte im Mai 2021 endgültig abgeschlossen sein.
Das Mainzer Unternehmen BioNTech, das bisher vornehmlich an der Entwicklung von Immuntherapien gegen Krebs arbeitet, hat vom Paul-Ehrlich-Institut am 22. April die Genehmigung für die klinische Prüfung des gemeinsam mit der US-Firma Pfizer entwickelten Impfstoffs BNT162 erhalten. Es handelt sich um vier Impfstoffkandidaten mit unterschiedlichen mRNA-Formaten, die mit Lipid-Nanopartikeln (LNP) kombiniert werden. Die klinische Phase-1/2-Studie – die erste eines Covid-19-Impfstoffs in Deutschland – soll in Zusammenarbeit mit Pfizer und der chinesischen Firma Fosun Pharma an rund 200 gesunden Freiwilligen im Alter von 18 bis 55 Jahren stattfinden. Am zweiten Teil der Studie sollen auch Versuchspersonen aus der Risikogruppe teilnehmen.
Sinovac Biotech arbeitet seit Ende Januar an einem Impfstoff aus inaktivierten Viren. Tierversuche haben laut dem chinesischen Pharma-Unternehmen gezeigt, dass der Impfstoffkandidat Virusstämme aus verschiedenen Ländern neutralisieren kann und im Tierversuch – getestet wurde an Nagern und Rhesusaffen – genug Antikörper produziert, um das Virus einzudämmen. Dies, ohne zur Bildung von infektionsverstärkenden Antikörpern zu führen. Dass die Krankheit durch eine Überreaktion auf den Impfstoff noch verstärkt wird, ist eine Gefahr, die bei dieser Art von Impfstoffen immer berücksichtigt werden muss. Der deutsche Virologe Christian Drosten setzt grosse Hoffnungen auf das chinesische Projekt. Seit dem 14. April testet eine randomisierte und placebokontrollierte Doppelblindstudie der Phase 1/2 den Impfstoff in China an gesunden Erwachsenen im Alter von 18 bis 59 Jahren.
Die Tübinger Biotech-Firma CureVac ist auf die Entwicklung von Impfstoffen durch Messenger RNA (mRNA) spezialisiert. Erste Versuche begannen Anfang März mit Mäusen. Die beiden Impfstoff-Kandidaten, die sich bewährten, sollen ab Juni klinischen Tests unterzogen werden, um die Variante mit der besten Wirkung zu finden. Mit einem breit verfügbaren Impfstoff wird frühestens auf Anfang 2021 gerechnet. Das Unternehmen geriet in die Schlagzeilen, nachdem Gerüchte die Runde machten, US-Präsident Donald Trump habe versucht, sich den Impfstoff exklusiv für die USA zu sichern. CureVac-Hauptinvestor Dietmar Hopp sagte dazu: «Für mich ist das selbstverständlich, es kann gar nicht sein, dass eine deutsche Firma den Impfstoff entwickelt und dieser in den USA exklusiv genutzt wird. Das war für mich keine Option.» Die Firma dagegen dementierte, dass es seitens der USA Interesse an der Firma gegeben habe.
Abgesehen von diesen Projekten gibt es auch den Ansatz, eine Zwischenlösung mit einem Impfstoff zu finden, der sich bereits gegen einen anderen Erreger bewährt hat. Diesen Weg verfolgt das deutsche Unternehmen Vakzine Projekt Management GmbH in Kooperation mit dem Serum Institute of India.
VPM1002 ist ein neuerer Tuberkulose-Impfstoff, der noch keine Zulassung hat – letzte Studien laufen noch. Er ist eine gentechnisch veränderte Variante des bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelten Impfstoffs Bacillus-Calmette-Guérin (BCG), der weltweit gegen Tuberkulose eingesetzt wird, aber auch Immunreaktionen gegen andere Erreger von Atemwegserkrankungen auslöst. In Australien und den Niederlanden testen Forschungsteams die Eignung von BCG als Mittel gegen Covid-19. VPM1002 wurde ursprünglich am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie entwickelt und gilt aufgrund mehrerer Studien als sicher und gut verträglich. Die Vakzine Projektmanagement GmbH will nun die Eignung des Impfstoffs als Zwischenlösung untersuchen, bis ein spezifischer SARS-CoV-2-Impfstoff verfügbar ist. Die Forscher hoffen, dass VPM1002 aufgrund seiner unspezifischen Wirkung auch den Verlauf von COVID-19-Erkrankungen mildern kann.
Falls sich die Hoffnungen bestätigen, könnte der Impfstoff die Wahrscheinlichkeit verringern, an Covid-19 zu erkranken. Geimpfte wären zwar nicht immun gegen SARS-CoV-2, aber immerhin besser geschützt. Der Wirkstoff gelangt in die Lymphknoten und soll die körpereigenen Abwehrzellen verändern, so dass weisse Blutkörperchen Coronaviren, die die Lunge befallen, daran hindern, sich zu vermehren. Eine auf sechs Monate ausgelegte Studie mit tausend Beschäftigten im Gesundheitswesen soll in den nächsten Wochen beginnen. Ein Teil der Probanden erhält den Impfstoff, eine Kontrollgruppe ein Placebo. Ausgewertet wird dann, welche Gruppe mehr Fehlzeiten bei der Arbeit hat.
Solange kein Impfstoff gegen Covid-19 zur Verfügung steht, kann die Krankheit nur durch Medikamente bekämpft werden, die sie unterdrücken oder ihren Verlauf milden. Auch in diesem Bereich wird intensiv Forschung betrieben – bisher vornehmlich an bereits bestehenden bewährten Wirkstoffen, deren Eignung als Mittel gegen Covid-19 erprobt wird.
Dieses experimentelle antivirale Medikament, das ursprünglich gegen Ebola entwickelt wurde, gilt als einer der aussichtsreichsten Kandidaten gegen Covid-19; die Substanz wirkt in Tierversuchen und Zellkulturen. Die WHO stufte das Virostatikum im Februar als vielversprechendstes Medikament ein. Remdesivir wird im menschlichen Körper zur aktiven Form GS-441524 verstoffwechselt, die die RNA-Polymerase der Viren hemmt und deren Vermehrung in den infizierten Zellen verhindert.
Derzeit laufen in China, Europa und den USA über ein Dutzend Studien; vorläufige Ergebnisse aus zwei chinesischen Studien sollen bereits diesen Monat vorliegen. Allerdings dürften die ersten Daten aus Studien mit relativ schweren Covid-19-Fällen stammen. Antivirale Medikamente wirken indes bei gesünderen Patienten besser, deshalb könnten diese Ergebnisse eine begrenzte Wirksamkeit zeigen. Bereits Mitte April lagen die Resultate einer Studie der Universität von Chicago vor, gemäss denen Remdesivir zu einer schnellen Fiebersenkung und einem Rückgang der Symptome führte. Eine weitere Studie vom Cedars-Sinai Medical Center in Los Angeles, die am 10. April im «New England Journal of Medicine» veröffentlicht wurde, berichtete von einer Verbesserung des Zustands bei 68 Prozent der mit Remdesivir behandelten Patienten.
Hingegen zeigen versehentlich veröffentlichte Dokumente der WHO, wie die BBC berichtete, dass eine chinesische Studie mit Remdesivir wegen Nebenwirkungen vorzeitig abgebrochen wurde. In der Gruppe der Patienten, die das Mittel erhielt, waren nach einem Monat 13,9 Prozent gestorben, während es in der Kontrollgruppe, die ein Plazebo erhielt, lediglich 12,8 Prozent waren. Zudem soll auch die Virenlast im Blut der Patienten nicht zurückgegangen sein. Die WHO wies darauf hin, dass es sich nur um vorläufige Ergebnisse gehandelt habe, während der Hersteller, die US-Firma Gilead, die Studie wegen der kleinen Teilnehmerzahl kritisierte.
Chloroquin und das weniger toxische Hydroxychloroquin wirken entzündungshemmend und antiviral. Hydroxychloroquin wird zur Vorbeugung und Behandlung von Malaria und bei rheumatischen Erkrankungen eingesetzt und ist auch zur Behandlung von Lupus zugelassen. Zu den schlimmsten Nebenwirkungen, die nur selten eintreten, gehören schwere Hautreaktionen, Blutbildstörungen, Herzrhythmusstörungen und der irreversible Verlust der Sehkraft. Hydroxychloroquin ist unter anderem darum in der Öffentlichkeit als möglicher Kandidat gegen Covid-19 bekannt, weil der amerikanische Präsident Donald Trump es wiederholt angepriesen hat.
Hydroxychloroquin konnte in einem In-vitro-Experiment das Eindringen von SARS-CoV-2 in Zellen blockieren. Eine französische Studie mit wenigen Versuchspersonen ergab, dass einige Patienten Verbesserungen ihres Zustands aufwiesen, aber es konnte nicht nachgewiesen werden, dass diese aufgrund des Medikaments erfolgt waren. Im April veröffentlichte Ergebnisse einer Studie der Universität von South Carolina mit 368 Versuchspersonen zeigten, dass 28 Prozent der an Covid-19 erkrankten Patienten starben, die das Medikament erhalten hatten, während es von jenen, die lediglich konventionell gepflegt wurden, nur 11 Prozent waren. Allerdings räumten die Studienautoren ein, dass vornehmlich schwere Fälle das Medikament erhalten hatten. Die Vergabe von Hydroxychloroquin senkte im Übrigen auch nicht die Zahl der Fälle, die beatmet werden mussten. Nach wie vor laufen aber weltweit dutzende weitere Studien zur Wirksamkeit von Hydroxychloroquin gegen Covid-19.
Das bereits zugelassene Arthritismedikament des Schweizer Pharmakonzerns Roche ist ein Immunsuppressivum, das auch zur Behandlung des sogenannten Zytokinsturms – einer potenziell tödlichen Überreaktion des Immunsystems – bei Krebspatienten verwendet wird. Ein multiples Organversagen aufgrund eines Zytokinsturms ist die zweithäufigste Todesursache bei Covid-19-Patienten mit Lungenversagen. Actemra, das auch unter den Namen RoActemra und Tocilizumab bekannt ist, blockiert zudem den Interleukin-6-Rezeptor und kann daher auch bei Lungenentzündungen wirksam sein. Interleukin-6 ist ein entzündungsförderndes Protein; hohe Konzentrationen gelten als Hinweis auf eine Entzündung.
Roche kündigte am 19. März an, eine randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Phase-III-Studie mit Actremra zu lancieren. Dabei erhalten rund 330 Patienten, die mit einer schweren Covid-19-Lungenentzündung bereits stationär behandelt werden, das Medikament. In China wurden bei der Behandlung einzelner Patienten mit Actemra positive Resultate erzielt, worauf die nationale Gesundheitsbehörde den Einsatz des Medikaments bei Krankheitsfällen mit schweren Lungenschäden und einem erhöhten Interleukin-6-Wert genehmigte. Weitere positive Behandlungsergebnisse kommen aus Italien.
Jakavi ist ein Immunsuppressivum, das zur Behandlung von Entzündungs- und Autoimmunerkrankungen und als Salbe gegen Neurodermitis im Spätstadium entwickelt wurde. Es ist in bisher 101 Ländern zur Behandlung der Knochenmarkserkrankung primäre Myelofibrose zugelassen. Der darin enthaltene Wirkstoff Ruxolitinib könnte bei der Behandlung eines Zytokinsturms, einer schweren Überreaktion des Immunsystems, von Vorteil sein. Ein Zytokinsturm kann bei Covid-19-Patienten zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen.
Laut einer Mitteilung vom 2. April werden der Schweizer Pharmakonzern Novartis und die Firma Incyte Jakavi in einer Phase-3-Studie bei Patienten testen, die aufgrund einer Coronavirus-Infektion an einer schweren Lungenentzündung leiden. In der Studie soll die Wirksamkeit des Mittels in Kombination mit einer Standardtherapie im Vergleich zur alleinigen Standardtherapie untersucht werden. Die vorläufigen Ergebnisse werden bis Juni 2020 erwartet. Jakavi kann ernste Nebenwirkungen verursachen, insbesondere eine Abnahme der Anzahl der Blutzellen sowie Infektionen.
Das Virostatikum Kaletra ist ein antiretrovirales Arzneimittel, das zur Gruppe der sogenannten Proteaseinhibitoren gehört. Diese hemmen Enzyme, die Proteine spalten, und verhindern so den Abbau von Proteinen. Kaletra ist eine Kombination von Lopinavir (100 mg) und Ritonavir (25 mg), die zur Behandlung und Vorbeugung von HIV-Infektionen verabreicht wird. In vitro ist es gegen SARS- und MERS-Viren wirksam. Mehr als 20 Studien weltweit testen Kaletra derzeit als Mittel zur Behandlung von Covid-19 oder zur Postexpositionsprophylaxe (PEP) für Personen, die in engem Kontakt mit einem bestätigten Covid-19-Fall stehen. Erste Ergebnisse aus diesen Studien werden im Mai 2020 erwartet.
Bereits bekannt ist allerdings, dass eine randomisierte kontrollierte Studie mit 199 schweren Covid-19-Fällen in China, die zwischen dem 18. Januar und dem 3. Februar in Wuhan durchgeführt wurde, die Hoffnungen der Mediziner enttäuscht hat. Die zusätzliche Gabe von Kaletra – zweimal täglich Lopinavir/Ritonavir (400 mg/100 mg) oral verabreicht – bei der Hälfte der Patienten brachte im Vergleich zur Standardbehandlung keinen Vorteil. Weder beim Krankheitsverlauf noch bei der Viruslast oder der Mortalität gab es eine signifikante Verbesserung, wie die Studienautoren im März im Fachjournal «New England Journal of Medicine» berichteten. Immerhin war die mittlere Zeitdauer bis zur klinischen Besserung bei jenen Patienten, die Kaletra erhielten, um einen Tag kürzer.
Das experimentelle Medikament APN01 der österreichischen Firma Apeiron Biologics ist die synthetische Form eines menschlichen Enzyms, das auch als rekombinantes «ACE2» oder «rhACE2» bezeichnet wird. Es wurde 2005 an 89 Personen als SARS-Medikament getestet und erwies sich als verträglich. Der SARS-Erreger dockt an der Zelloberfläche an einem ACE2-Enzym an, um in die Zelle zu gelangen. Da auch SARS-Cov-2 das körpereigene ACE2 als Eintrittspforte benutzt, könnte APN01 auch gegen dieses Virus wirksam sein. Es fungiert als falscher Rezeptor für SARS-CoV-2, gewissermassen als Köder, der möglichst viele Viren bindet. Zudem wirkt es in der Lunge entzündungshemmend, indem es die Funktion des durch die Virusinfektion eingeschränkten körpereigenen Enzyms übernimmt und das entzündungsfördernde und blutdruckerhöhende Angiotensin II abbaut.
Das Medikament wird seit Mitte April in einer klinischen Phase-2-Studie an 200 Covid-19-Patienten in Dänemark, Österreich und Deutschland getestet. Untersucht wird, ob es den Eintritt des Erregers in die Zelle blockieren und die Virusreplikation vermindern kann. Dies hat in Kulturen von menschlichen Stammzellen – sogenannten Organoiden – bereits funktioniert, wie eine Studie der University of British Columbia gezeigt hat, die in der Fachzeitschrift «Cell» publiziert wurde. In den Zellkulturen konnte das synthetische Enzym die Vermehrung der Viren um den Faktor 1000 bis 5000 verringern. Vorläufige Ergebnisse der nun laufenden Studie werden im September 2020 erwartet. Sollte APN01 sich als wirksam erweisen, wäre es das erste Medikament, das gezielt gegen SARS-CoV-2 vorgeht.
Camostat-Mesylat ist ein Proteaseinhibitor – ein Hemmstoff, der die Aktivität eiweiss-spaltender Enzyme hemmt. Das Medikament, das unter anderem bei einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse eingesetzt wird, ist zurzeit nur in Japan (unter der Bezeichnung Foipan) und Südkorea gegen diverse Infektionskrankheiten zugelassen. Der Wirkstoff lässt sich jedoch auch als Virostatikum verwenden, da er durch die Hemmung der Protease TMPRSS2 verhindert, dass sich Coronaviren (MERS- und SARS-Viren sowie SARS-CoV-2) mit der Zellmembran der Körperzellen verbinden und so in diese eindringen.
Eine Gruppe von Wissenschaftlern in Deutschland – unter anderem des Robert-Koch-Instituts und der Uni Göttingen – hat diesen Mechanismus in In-vitro-Experimenten überprüft und die Wirkung von Camostat-Mesylat gegen Viren-Angriffe auf Lungenzellen getestet. Laut ihrer Studie könnte das Mittel in der Tat für den gewünschten Hemmungs-Effekt bei SARS-CoV-2 sorgen. Es störte die Bindung des Spike-Proteins der Coronaviren an die Zellmembran, ohne dass ein unerwünschter zytotoxischer Effekt auftrat. Die Forscher schliessen daraus, dass auch SARS-CoV-2 die Protease TMPRSS2 nutzt, um sich über das Spike-Protein an Körperzellen zu binden.
Seit Anfang April läuft in Dänemark an rund 180 erwachsenen Covid-19-Patienten eine Phase-2a-Studie zu Camostat-Mesylat, in der Veränderungen der Schwere und Mortalität der Krankheit untersucht werden sollen. Die Ergebnisse sollen im Dezember 2020 vorliegen. Auch die Universität Tokio hat angekündigt, eine Studie mit Camostat-Mesylat und einem ähnlichen Medikament – Nafamostat-Mesylat – zu lancieren. Sollten diese Studien positive Ergebnisse liefern, dürfte Camostat-Mesylat als Therapie gegen Covid-19 schnell weite Verbreitung finden.
Ein anderer Ansatz zur Bekämpfung von Covid-19 besteht in einer passiven Immunisierung durch Antikörper. Erkrankten wird Plasma aus dem Blut von genesenen Patienten verabreicht – sogenanntes rekonvaleszentes Plasma. Im Plasma, das ein Bestandteil des Blutes ist, sind vor allem Eiweisse enthalten, darunter auch Immunglobuline (Antikörper, Abwehrstoffe gegen Krankheitserreger). Im Plasma von Personen, die eine Infektion mit SARS-CoV-2 überstanden haben, sind daher auch spezifische Abwehr-Eiweisse gegen dieses Virus zu finden. Im Falle von SARS, Ebola und H1N1 (Schweinegrippe) führte die Transfusion von rekonvaleszentem Plasma bei einigen Patienten zu einer Verbesserung des Krankheitsverlaufs.
Eine Forschungsgruppe des Unispitals Basel und des Blutspendezentrums SRK beider Basel hat diese experimentelle Therapie Ende März bei zwei Covid-19-Patienten angewandt. Die Spender des Blutplasmas – aus immunologischen Gründen kommen nur Männer in Frage – wurden zuvor auf Erkrankungen wie HIV oder Hepatitis B/C getestet; zugleich wurden Viren, Bakterien und weisse Blutzellen im Spender-Plasma neutralisiert. Mitte April genehmigte Swissmedic zudem eine Studie des Universitätsspitals Zürich, die «sowohl Wirkprinzip als auch Wirksamkeit und Sicherheit» dieser Therapie prüfen soll.
Eine kleine Studie, die Ende März im «Journal of the American Medical Association» (JAMA) publiziert wurde, zeigte vielversprechende Ergebnisse: Die Körpertemperatur normalisierte sich bei 4 der 5 Patienten, die mit rekonvaleszentem Plasma behandelt wurden, innerhalb von drei Tagen. Die Virenlast nahm nach bis zu 12 Tagen so stark ab, dass im Blut keine Erreger mehr nachgewiesen werden konnten. 3 der Patienten konnten das Krankenhaus verlassen, der Zustand der beiden anderen stabilisierte sich.
Ebenfalls positive Resultate erbrachte eine Pilotstudie, die vom Nationalen Forschungszentrum für Impfstoffe in Wuhan durchgeführt und im April publiziert wurde. 10 Covid-19-Patienten, die aufgrund ihres schlechten Zustands beatmet werden mussten und unter einer akuten Lungenentzündung litten, erhielten eine Transfusion mit rekonvaleszentem Plasma. Symptome wie Fieber, Atemnot und Brustschmerzen verschwanden oder besserten sich signifikant innerhalb von ein bis drei Tagen bei allen Patienten. Etwas später nahmen auch die Entzündungsmarker ab, die Zahl der weissen Blutkörperchen stieg und in der Lunge sichtbare Schädigungen besserten sich. Alle Patienten wiesen schliesslich keine nachweisbare Virenlast mehr auf.
Blutplasma mit Antikörpern gegen SARS-CoV-2 ist sofort verfügbar, allerdings fragt sich, ob die Versorgung von Patienten mit Spender-Plasma in ausreichender Menge möglich ist. Zudem sind noch weitere Studien an genesenen Patienten notwendig, um in Erfahrung zu bringen, ob bei ihnen allen eine vollständige Immunantwort auf die Infektion stattgefunden hat, die genügend Antikörper hervorruft, damit sie sich als Spender eignen.
Guter Beitrag Watson!!
Ich auf jeden Fall glaube nicht, dass der bei diesem Ansatz federführende Forscher ein Noob oder ein Troll ist.
Jean-Pierre Changeux:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Pierre_Changeux
Studie:
https://www.qeios.com/read/article/571
Feldversuch:
https://www.theguardian.com/world/2020/apr/22/french-study-suggests-smokers-at-lower-risk-of-getting-coronavirus