Der Countdown läuft: In ziemlich genau einem Jahr werden National- und Ständerat neu bestellt. Die wichtigen Weichen werden aber bereits jetzt gestellt. Wer in der Schweiz künftig das Sagen hat, hängt wesentlich davon ab, wer überhaupt zur Wahl antreten wird; wie die Parteien ihre Listen für die Nationalratswahlen gestalten; mit welchen Kandidaten sie in die Ständeratswahlen ziehen. Und dabei spielen die Frauen eine Rolle.
Exemplarisch dafür steht die parteiinterne Ausmarchung der SP Aargau für den Ständeratswahlkampf, die schweizweit hohe Wellen geworfen hat. Nationalrat Cédric Wermuth wurde als Kandidat nominiert – er setzte sich deutlich gegen Yvonne Feri durch. Die Nomination verlief allerdings nicht geräuschfrei. Sie zeigte, wie virulent das Frauenthema ist. Für die Wahlen 2019 ist es gesetzt.
Dafür gibt es verschiedene Gründe. Da ist die internationale Grosswetterlage. In den USA treten bei den Zwischenwahlen vom November so viele Frauen für den Kongress an wie noch nie. Dabei spielt Präsident Donald Trump sicher eine Rolle. Doch ebenso die #MeToo-Bewegung: Sie ist nicht nur eine Stimme gegen sexuelle Gewalt, sondern längst zu einem Motor für die Emanzipation geworden.
Auch in der Schweiz. Frauen drücken ihre Unzufriedenheit aus. Die Demo für Lohngleichheit mit rund 20 000 Teilnehmenden in Bern vor ein paar Wochen ist Ausdruck davon. Die Dominanz der Frauenfrage bei den Bundesratswahlen vom Dezember ein weiterer.
Gestern haben sich die Freisinnigen Ständeräte Martin Schmid und Ruedi Noser aus dem Bundesratsrennen genommen. Beide mit dem Hinweis darauf, dass die Zeit reif sei für eine Frau. Für Kathrin Bertschy, GLP-Nationalrätin und Co-Präsidentin der Frauenorganisation Alliance F, ist das ein Beleg dafür, dass die Forderung nach einer stärkeren Beteiligung der Frauen in der Politik in breiten Kreisen angekommen ist. «Ich bin zuversichtlich, dass die Frauenfrage zu einem dominanten Thema im Wahljahr 2019 wird», sagt die Bernerin.
Fraglich ist allerdings, ob sie deswegen ihren Anteil im Parlament wesentlich erhöhen können. Derzeit stehen 64 Nationalrätinnen 136 männlichen Kollegen gegenüber. Im Ständerat ist das Verhältnis 7 zu 39. Bertschy dämpft die Erwartungen. An Bisherigen würden Frauen kaum vorbeikommen – und alle frei werdenden Sitze werden sie nicht gewinnen.
Bertschy geht von fünf bis sieben zusätzlichen Sitzen aus, welche die Frauen in der grossen Kammer erobern könnten. Voraussetzung dafür ist aber, dass mehr Frauen für die Wahlen kandidieren. Alliance F hat dazu mit Operation Libero die Kampagne «Helvetia ruft» lanciert.
Ziel der Kampagne ist es, dass 500 bis 600 Frauen mehr kandidieren als noch 2015. Denn wissenschaftlich erhärtet ist: Frauen haben die gleichen Wahlchancen wie Männer. Ergo braucht es mehr Kandidatinnen, um die Männerdominanz zu brechen. Bertschy hofft zudem auf den Effekt, dass Frauen mehr Ersatzplätze holen und so im Laufe der nächsten Legislatur den Sprung nach Bern schaffen.
Hört man der grünliberalen Nationalrätin zu, merkt man, dass die Steigerung des Frauenanteils eine mühselige Arbeit ist. Schritt für Schritt. Bertschy rechnet vor, dass wohl 35 Jahre notwendig sind, um Geschlechter-Parität im Nationalrat zu erreichen.
Halbe-halbe, das fordert auch die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen. Sie hat im März die Kampagne für mehr Frauen in der Politik lanciert. Teil davon sind Gespräche mit den Parteispitzen und den Verantwortlichen in den Kantonen. Ein Treffen sei noch ausstehend, sagt EFK-Vizepräsidentin Simone Curau.
Offiziell Bilanz will sie deshalb erst im Januar ziehen. Sie hält aber fest, dass auch bei bürgerlichen Parteien die Bereitschaft da sei, Frauen stärker zu fördern. Klare Vorgaben für die Listengestaltung hat etwa die FDP Schweiz ihren Kantonalparteien gemacht. In den Wahlzielen, die nicht öffentlich sind, wird eine ausgewogene Vertretung der Frauen auf den Listen verlangt. Das ist bemerkenswert.
Denn offiziell sieht die FDP von einer speziellen Frauenförderung ab und verweist auf das Leistungsprinzip. Offensichtlich ist man sich in der Partei jedoch bewusst, dass Männernetzwerke Männer fördern. Und dass diese Dominanz durchbrochen werden muss.
Die Kampagne «Helvetia ruft» will die Listen prüfen und öffentlich bewerten. Parteien mit zu wenig Frauen sollen an den Pranger gestellt werden. Die Kampagne fokussiert also auf die Nationalratswahlen. Das Frauenthema lässt sich hier einfacher bewirtschaften als bei den Wahlen in die kleine Kammer.
Allerdings ist die eigentliche Problemzone der Ständerat. Seit 2003 nimmt der Frauenanteil nicht zu, sondern ab. Absehbar ist, dass mit der wahrscheinlichen Wahl von Karin Keller-Sutter in den Bundesrat nur noch sechs Frauen im Ständerat vertreten sein werden. Und von diesen treten drei mit Sicherheit nicht mehr an – Anita Fetz (SP/BS), Pascale Bruderer (SP/AG) und Anne Seydoux (CVP/JU).
Auch mit Liliane Maury Pasquier (SP/GE) wird nicht mehr gerechnet. In den Polepositions für deren Nachfolge stehen vorwiegend Männer. Diesen vier potenziellen Sitzverlusten der Frauen steht nur ein potenzieller Sitzgewinn gegenüber: In Luzern könnte eine CVP-Frau die Nachfolgerin von Konrad Graber werden. Bertschy sagt deshalb: «Wir sind alarmiert. Wenn die Frauenvertretung im Ständerat noch kleiner wird, wird die Öffentlichkeit an einer Diskussion nicht mehr vorbeikommen.»
Ständeräte werden im Majorzverfahren gewählt. Politologe Fabrizio Gilardi schreibt in einer Studie, dass Frauen in Majorzwahlen schlechtere Chancen haben. Es setze sich meist durch, was als Norm gilt. Und gerade in Bürgerlichen Parteien sind dies Männer.
Lukas Golder, Co-Leiter des GFS Bern, sagt, dass Ständeratswahlen Personenwahlen seien: «Daraus lässt sich nur schwer eine Geschlechterfrage machen.» Das Beispiel der SP Aargau und Wermuth zeige, dass andere Faktoren wichtiger seien: Allen voran die Wahlchancen und die Mobilisierungskraft.
Den Frauen droht im Ständerat eine empfindliche Niederlage, wieder auf das Niveau von 1991 zurückgeworfen zu werden. Damals gab es vier Ständerätinnen. Die Nicht-Wahl von Christiane Brunner in den Bundesrat gab den Frauen einen Schub. Die Ständeratswahlen 2019 könnten zu einem ähnlichen Erweckungserlebnis werden.