Schweiz
Energie

Politiker wollen Werbebildschirme wegen Strom stoppen

Politiker wollen Werbebildschirme wegen Strom stoppen – doch die Agenturen bauen aus

Sie brauchen mehr Strom als ihre analogen Vorgänger und stören laut Kritikern das Stadtbild: Die elektronischen Werbebildschirme geraten unter politischen Beschuss. Doch die Vermarkter bauen in rasantem Tempo weiter aus. Sogar in Läden wird kräftig investiert.
18.09.2022, 13:06
Stefan Ehrbar / ch media
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Ab dem 1. Oktober leuchten elektronische Werbebildschirme eine Stunde weniger lang. Davon bleiben die Stauseen nicht länger voll, aber die freiwillige Stromspar-Geste der Werbevermarkter hat wohl auch andere Ziele. Sie wollen verhindern, dass ihren Bildschirmen bei einer Mangellage zuerst der Stecker gezogen wird - und sammeln Pluspunkte in einer Abwehrschlacht, in die sie unfreiwillig geraten sind.

Elektronische Werbetafeln halten in den Städten Einzug.
Elektronische Werbetafeln halten in den Städten Einzug.Bild: Stefan Ehrbar

Die Screens stehen schon länger in der Kritik, doch letzte Woche ist den Gegnern ein unerwarteter Erfolg gelungen. Der Stadtzürcher Gemeinderat überwies ein Postulat, das einen Ausbaustopp der Werbebildschirme fordert. Das eigentlich kommunale Politikum hat nationale Relevanz: Einerseits ist Zürich so etwas wie die Hauptstadt der elektronischen Werbung. Hier liegen drei der zehn meistfrequentierten Bahnhöfe der Schweiz und mit der Bahnhofstrasse die werbetechnisch attraktivste Einkaufsmeile.

Es geht nicht nur ums Stromsparen

Andererseits ist das Stadtzürcher Parlament ähnlich, wenn nicht sogar etwas weniger links zusammengesetzt als seine Pendants in Bern, Basel oder den grösseren Städten der Westschweiz. Was hier durchkommt, hat auch dort gute Chancen.

Dass es nicht nur ums einmalige Stromsparen geht, machen die Kritiker klar: Es müsse der «fortschreitenden kommerziellen Einnahme des öffentlichen Raums Einhalt geboten werden», argumentierte der Zürcher AL-Gemeinderat Michael Schmid.

Demokratie dank Werbung?

Christian Hänggi, Vorstandsmitglied der werbekritischen «IG Plakat Raum Gesellschaft», schreibt in einem Kommentar auf dem Branchenportal Persönlich von der «ewiggestrigen Werbeindustrie», die «die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat und Städte mit blinkenden, stromfressenden Werbescreens überzieht».

Die Debatte wird von den Vermarktern aufmerksam bis panisch verfolgt. In einer gemeinsamem Mitteilung warnten sie kurz nach dem Gemeinderatsentscheid davor, dass Werbegelder «ersatzlos» auf ausländische Plattformen wie TikTok abfliessen würden, sollte die Regierung dem Anliegen folgen. Arbeitsplätze seien bedroht und Steuereinnahmen gingen verloren. Selbst die Demokratie sei auf die Werbung angewiesen.

«Schweizweit ohne Beispiel»

Das Anliegen bringt auch die Stadtregierung in ein Dilemma, denn die öffentliche Hand mischt bei der elektronischen Werbung kräftig mit. Die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) gaben letztes Jahr bekannt, 15 Prozent ihrer analogen Plakatflächen zu digitalisieren. 257 Screens wollen die VBZ aufstellen.

Das sei «schweizweit ohne Beispiel», hiess es in einer Mitteilung. Das Projekt habe Bedeutung für den gesamten Werbemarkt der Schweiz. Mittlerweile haben die VBZ das Jubeln eingestellt: Weil politische Vorstösse hängig seien, könne man keine Auskunft geben, heisst es auf Anfrage.

Buchung je nach Wetterlage

Der grösste Anbieter im Aussenwerbemarkt ist die APG. Sie betreibt schweizweit über 1'100 grossflächige Bildschirme, die sie als «ePanel» und «eBoard» vermarktet. Sie stehen an Strassen, in Shopping-Centern, in den Bergen und an Bahnhöfen. Dabei profitiert die APG von ihrem Exklusivvertrag mit den SBB: In deren Bahnhöfen sind ausschliesslich Bildschirme der APG aufgestellt.

Alleine im letzten Jahr hat die APG 90 weitere ePanels in Betrieb genommen. Dieses Jahr werden es 40 sein, sagt Sprecherin Nadja Mühlemann. Ein Vorteil der elektronischen Bildschirme sei die Möglichkeit der kurzfristigen Buchung. «Zudem wird Werbung relevanter, da auf externe Einflüsse wie das Wetter unmittelbar reagiert werden kann.»

Dass digitale Screens mehr Strom benötigten als gedruckte Plakate sei «logisch», sagt Mühlemann. Der Stromverbrauch eines draussen aufgestellten ePanels mit einer Grösse von 75 Zoll sei aber mit 700 Wh «bedeutend geringer» als das Video-Streaming mit einem 65-Zoll-Fernseher zuhause, der bei 4K-Qualität auf 1300 Wh komme.

Für das Argument, dass Werbebildschirme das Stadtbild stören, hat Mühlemann kein Verständnis. «Diese fundamentale Kritik kommt von einem sehr kleinen, wirtschafts- und werbefeindlichen Kreis», sagt sie. Er wolle die Werbung am liebsten ganz verbieten. Fakt sei, dass Plakate in diversen Umfragen als das am meisten akzeptierte Medium abschnitten. Mit der Helligkeit trügen sie zudem zur Sicherheit bei, etwa in Wartehallen. «Plakate, egal ob analog oder digital, gehören zu einem modernen Stadtbild dazu», sagt Mühlemann.

Viel höherer Energiebedarf

Die Klimabilanz der Werbebildschirme ist allerdings schlecht. Das geht aus einer Studie hervor, welche die Stadt Zürich im Jahr 2017 in Auftrag gab. Sie wollte wissen, ob die Screens mit ihren Klimazielen vereinbar sind. Die Studie der Firma Treeze zeigte: Ein elektronischer Werbescreen ist von der Produktion über die Nutzung hin bis zur Entsorgung für durchschnittlich 400 Kilogramm CO2-Äquivalente pro Jahr verantwortlich, eine analoge, beleuchtete Plakatstelle nur für 180.

Auch beim Energiebedarf ist das Fazit eindeutig: Ein analoges Plakat kommt auf 7 Gigajoule Öl-Äquivalente pro Jahr, der elektronische Screen auf 16. Mit den Klimazielen seien die Werbebildschirme eigentlich nur vereinbar, wenn für jeden neuen Screen überproportional viele analoge Plakatstellen abgebaut würden, folgerten die Autoren.

Werbung lässt sich besser messen

Für Vermarkter und Werbetreibende sind die Screens hingegen vorteilhaft. Anders als analoge Stellen können sie mit verschiedenen Werbespots bespielt werden, die flexibel ausgewechselt werden können. Darauf verweist auch die Firma Clear Channel, die in der Schweiz 550 Screens betreibt - am meisten davon im Grossraum Zürich, gefolgt von Basel, Bern, Genf, Luzern und St. Gallen.

«Werbetreibende können eine Kampagne innert 24 Stunden aufschalten und nach verschiedensten Kriterien planen», sagt Sprecherin Michelle Sameli. So könnten sie eine Werbung nur bei warmen Temperaturen und sonnigem Wetter in ausgewählten Orten auf einzelnen Screens ausspielen lassen - oder alle Screens für einen bestimmten Zeitraum buchen. Hinzu komme der Vorteil der besseren Messbarkeit.

Kaum je Kritik

Auch sie kann der Kritik nur wenig abgewinnen: Sie sei teilweise «sehr undifferenziert» und beruhe auf oberflächlichen Argumenten. Oft gehe es darum, Aussenwerbung per se in ein schlechtes Licht zu rücken. Clear Channel betreibe die Screens wo möglich mit Ökostrom. In einer Stadt sei Aussenwerbung Bestandteil des Erscheinungsbilds, genauso wie die Schaufenster der Geschäfte, lebhafte Passantenströme oder der öffentliche Verkehr.

Clear Channel erhalte «selten bis nie» Rückmeldungen, dass die Plakate und Screens als störend wahrgenommen würden, sagt Sameli. Wenn, beziehe sich das auf einzelne Sujets und meistens solche mit politischem Inhalt. Zudem seien die Hürden für den Bau neuer Werbestellen hoch.

Deutlich höhere Einnahmen

Finanziell dürften sich die Screens lohnen, wie ein Beispiel zeigt. Ein beleuchtetes Plakat der Grösse F12 im Bahnhofsteil Löwenstrasse des Zürcher Hauptbahnhof kostet für eine Woche knapp 1200 Franken. Wer seinen Spot hingegen auf den vier ePanels im selben Bahnhofsteil sehen will, muss gemäss dem Buchungstool der APG knapp 9'000 Franken bezahlen. Diesen Preis kann die Firma von verschiedenen Interessenten verlangen, denn die 10-Sekunden-Spots werden nur alle zwei Minuten wiederholt.

Selbst Detailhändler springen auf den Zug auf. Coop Pronto rüstet derzeit 10 Standorte in Zürich und St. Gallen mit Werbebildschirmen aus, die von Clear Channel vermarktet werden. In 160 Supermärkten von Spar sollen 350 Bildschirme aufgestellt werden. Den Zuschlag hat die Vermarktungsfirma Excom erhalten, wie das Portal «konsider.ch» berichtet. Bereits zuvor haben MElectronics und die Apotheken von Toppharm und Medbase die Einnahmemöglichkeit entdeckt.

Die Kritik ist alt

Auch wenn die Werbebildschirme als störend und unökologisch kritisiert werden: Dass sie verboten werden, scheint unwahrscheinlich - zumal die Kritik nicht neu ist. So berichtete die NZZ schon am 16. Februar 1956 über eine Interpellation, mit der ein Gemeinderat eine «Leuchtwanderschrift» in Zürich verbieten wollte.

Sie sei ein starker Eingriff ins Stadt- und Strassenbild und «ein weiteres Element der Beunruhigung, der Nervosität und Ablenkung», vermerkt das Ratsprotokoll. «Meine Herren, lesen Sie einige Zeit diese Leuchtwanderschrift, und Sie sind benommen!», zitiert die Zeitung den Interpellanten. Der Journalist vermerkt «Heiterkeit» im Saal. Zu einem Verbot kam es bekanntlich nicht. (aargauerzeitung.ch)

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78 Kommentare
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Findolfin
18.09.2022 13:11registriert Februar 2015
Ich verstehe nicht, warum man nicht am offensichtlichsten Ort Strom spart: Viele Läden beleuchten ihre Schaufenster bis tief in die Nacht. Könnte man ja auch abstellen ...
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Rethinking
18.09.2022 13:23registriert Oktober 2018
Elektronischen Werbebildschirme netven einfach nur…

Sie sind unökologisch…
Sie führen zu Lichtverschmutzung…
Sie können im Verkehr ablenken…
Sie sind zu aufdringlich und belästigend…

Ich kaufe aus Prinzip nichts, was auf solchen beworben wird…
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Hoodoo
18.09.2022 13:33registriert Februar 2014
Ich sass gerne in der Pause auf einem Bänkli am Bahnhof, die Plakatwand dahinter hat mich nicht gestört. Bis plötzlich aufgerüstet und eine motorisierte sowie beleuchtete Plakatrolle installiert wurde.
Jetzt ist es vorbei mit der Ruhe. Alle paar Sekunden surrt das Ding rauf und runter. Danke für gar nichts!
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