Nationalrat Landolt ist «geladen», als die «Nordwestschweiz» ihn dieser Tage im Bundeshaus trifft. Die Art und Weise, wie die Politik seit zwei Jahren arbeitet, gefällt ihm gar nicht.
Herr Landolt, Sie sind frustriert.
Eher verärgert: Das
Parlament ist auf einer zu tiefen Flughöhe
unterwegs. Die Wintersession hat
es wieder gezeigt: Es ist detailversessen,
kleinkrämerisch, verbeisst sich in
spezifische Themen und lässt grosse
Leitlinien ausser Acht.
War das nicht schon immer so?
So ausgeprägt war es noch nie. Seit den
Wahlen spezialisiert sich die neue
Mehrheit darauf, Reformen zu verhindern.
Sie nutzt ihre Kraft nicht gestalterisch.
Das ist Arbeitsverweigerung. In
früheren Legislaturen wurden grosse
Reformen durchgeführt: Etwa die Energiewende
oder die Finanzplatzreform.
Man einigte sich zuerst auf Leitlinien.
Dann wurde um Details gestritten, und
am Schluss einigte sich die Mehrheit
auf eine fortschrittliche Reform.
Und jetzt?
Nehmen Sie die Altersreform, sie war
das Paradebeispiel für die Unfähigkeit
des neuen Parlaments, die von den
Wählern bestellte und geforderte Leistung
zu bringen: Das Parlament schaffte
es nicht, sich zusammenzuraufen
und mit klaren Mehrheiten dem Stimmvolk
Rechenschaft abzulegen.
Und warum ist das so?
Weil sich FDP und CVP im Unterschied
zu früher nicht einigen können beziehungsweise
wollen. Bei der Altersvorsorge
stritten sie am Schluss faktisch
um 70 Franken. Früher hätten sie sich
geeinigt und wären mit einem Kompromiss
gemeinsam vors Volk. Es braucht
bei Reformen idealerweise drei Bundesratsparteien,
die sich einigen. Wenn
Lösungsvorschläge schon im Parlament
mit brüchigen Mehrheiten daherkommen,
werden die Stimmbürger misstrauisch
und stimmen Nein.
Wer ist schuld an der Misere?
Auslöser war der Rechtsrutsch an den
letzten Wahlen. Die FDP verhilft der
SVP zu einer konservativen Mehrheit.
Die beiden Parteien haben die Mehrheit
in Bundesrat und Parlament. Sie
könnten also gestalten, aber sie blockieren.
Sie nutzen ihre gestalterische
Kraft nicht. Damit missbrauchen sie
das Vertrauen, das ihnen die Wähler
und Wählerinnen erteilten.
Was erwarten denn die Wähler?
Wenn das Volk einer Mitte-Rechts-Mehrheit
das Vertrauen schenkt, dann
will es doch einen schlankeren Staat,
weniger Bürokratie, schlankere Gesetze.
Davon hat die konservative Mehrheit
bisher nichts geliefert. Sie schiebt
stattdessen die grossen Baustellen vor
sich hin. Nehmen Sie die Europapolitik:
Man verschanzt sich in der Verhinderung
eines Rahmenabkommens, statt
ein gemeinsames Konzept zu suchen.
Einen Plan, wie man das Verhältnis mit
der EU weiterentwickelt. Aber diese Arbeit
bleibt liegen, das führt in einen Reformstau,
in die Isolation des Landes.
Oder die Gesundheitspolitik: Da geht
praktisch nichts, das Problem der Krankenkassenprämien,
das die Leute
quält, wird nicht angegangen.
Warum dieser Reformstau?
Die konservative Mehrheit hat nicht
den Mut oder die Fähigkeit, zu gestalten.
Wenn wir in der Schweizer Geschichte
zurückblicken: Die grossen Reformen,
die das Land vorwärtsbrachten
und erneuerten, wurden immer
von progressiven Kräften geprägt. Doch
seit den letzten Wahlen sind die progressiven
Kräfte in der Minderheit und
im Parlament völlig verloren.
Es gibt ja noch den Bundesrat.
Seit der Wahl von Ignazio Cassis haben
wir auch im Bundesrat erstmals eine
konservative Mehrheit. Didier Burkhalter
war der letzte bürgerliche Bundesrat
neben Doris Leuthard, der für eine
progressive Politik stand. Der Bundesrat
war bisher auch immer ein Treiber
von Reformen. Das ist in der neuen Zusammensetzung
nicht mehr so. Es ist
dabei nicht zu übersehen, wie FDP und
SVP immer mehr dazu übergehen, dem
Bundesrat Handlungsaufträge zu erteilen
und ihn unter Druck zu setzen, etwa
bei der Kohäsionsmilliarde. Die konservative
Mehrheit im Parlament baut
eine Schattenregierung auf. Sie will
überall mitreden, bei allen Entscheiden,
die der Bundesrat trifft. Sie will alles
kontrollieren. Das kommt nicht gut.
Kontrolle braucht es doch?
Kontrolle schon, aber kein krankhaftes
Misstrauen. Die Regierung ist dafür gewählt,
Verantwortung zu übernehmen
und zu regieren. Dazu gehört, dass das
Parlament – namentlich die Bundesratsparteien
– ihr vertraut, sie arbeiten und
eben regieren lässt. Wenn man nicht
mit ihr zufrieden ist, soll man sie auswechseln.
Aber es geht nicht an, dass
man ihr ständig vorschreibt, was sie zu
tun hat. Gleichzeitig lässt man keine Gelegenheit
aus, denjenigen Bundesrat zu
kritisieren, in dem man die Mehrheit
hat. Das ist doch schizophren! Das Parlament
sollte sich endlich wieder auf
seine Rolle besinnen: Gesetze machen
und die Leitlinien bestimmen.
Was tut die BDP dagegen?
Gegen den konservativen BlockadeBlock,
der das Land ins politische Reduit
führt, stehen wir auf verlorenem
Posten. Und die Medien berichten
praktisch nicht über die sachliche Vernunft,
mit der wir zu politisieren versuchen.
Vernunft wird belächelt statt belohnt.
Und spätestens bei der Aussicht,
in Sachlichkeit zu sterben, hört der
Spass auf.
Bringen die nächsten Wahlen Korrekturen in ihrem Sinn?
Das hoffe ich. Die Wählerinnen und
Wähler haben 2015 aufs falsche Pferd
gesetzt. Denn ich bin überzeugt, dass
die Menschen in diesem Land Lösungen
wollen, die zu Fortschritt führen.
Wird die BDP verschwinden?
Sicher nicht! Wir haben in einer Reihe
von Kantonen eine sehr solide Basis.
Und wir werden weiter kämpfen, weil
dieses Land so etwas wie eine Revolution
der Vernunft braucht.