Thomas Kissling kämpfte mit seinen Mundwinkeln. Er, der die TV-Nation Woche für Woche in die Welt der Medizin entführt, der als Hausarzt in der Gesundheitssendung «Puls» immer so souverän auftritt, schien plötzlich um Contenance zu ringen. Zu vieles von dem, was gesagt wurde, widersprach all dem, worauf sein Dasein als Mediziner aufbaut.
«Impf oder stirb?», lautete die explosive Fragestellung, mit der Moderator Jonas Projer seine Gäste in der «Arena» konfrontierte. Die Impfgegner traten an diesem Abend in Gestalt von Daniel Trappitsch und Rose Jenni in Erscheinung. Ersterer ist Geschäftsführer des Netzwerks Impfentscheid, letztere eigentlich einfache Zuschauerin.
Doch die Naturheiltherapeutin mit dem weinroten Schal liess bereits in ihrem Einstiegsvotum keine Zweifel daran aufkommen, dass noch mit ihr zu rechnen sein würde. «Ich habe keine Angst – vor keiner Krankheit», lautete ihre steile Ansage. Wer seinen Abwehrkräften Sorge trage, brauche sich nicht vor einer Ansteckung zu fürchten. Sie selber esse zu diesem Zweck ausschliesslich Bio-Lebensmittel.
Es sei sicher möglich, mit dem Lebensstil viel zur eigenen Gesundheit beizutragen, erwiderte Kissling da noch versöhnlich. Er «denke» jedoch nicht, dass es gelinge, sich so vor allen Ansteckungen zu schützen. Es sollte nicht das letzte Wortgefecht zwischen den beiden gewesen sein.
Auch Christoph Berger, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Impffragen und Leiter der Abteilung Infektiologie am Zürcher Kinderspital, bemühte sich um Sachlichkeit. Seine Botschaft war jedoch klar: «In den wenig entwickelten Ländern sterben Hunderte Babys pro Jahr an Tetanus.» Die meisten dieser Todesfälle liessen sich bereits mit einer Impfung der Mutter vermeiden.
Weil die Symptome von Tetanus – zu deutsch Starrkrampf – in unseren Breitengraden beinahe in Vergessenheit geraten sind, blendete die Redaktion zur Illustration ein Gemälde aus Zeiten ein, in der die Krankheit auch hier noch verbreitet war. Es drohten «Muskelkrämpfe, die so stark sind, dass man sich den eigenen Rücken brechen kann», erläuterte Moderator Projer.
Doch Impfgegner Daniel Trappitsch gab sich unbeeindruckt. Mehr noch: Er dementierte rundweg, dass Impfungen überhaupt wirken. Zu behaupten, dass eine Immunität aufgebaut werden könne, sei «abgehoben». Gegen Gift gebe es keine Immunität, argumentierte er etwas konfus.
Es waren solche Szenen, in denen sich Mimik und Gestik der Mediziner Kissling und Berger verselbständigten. Mundwinkel wanderten nach unten, Ausdrücke von Rat- und Fassungslosigkeit wechselten sich in den beiden Gesichtern ab, Hände schnellten protestierend nach oben.
Trappitsch sieht es nicht als erwiesen an, dass Krankheiten wie die Kinderlähmung in Westeuropa dank Impfungen nahezu ausgerottet werden konnten. Vielmehr seien die verbesserten hygienischen Bedingungen ausschlaggebend gewesen, so seine These, die er mit einer ausgedruckten Statistik untermauerte.
Die Frage nach Ursache und Wirkung beschäftigte die Runde immer wieder. Weit verbreitet ist etwa die Befürchtung, dass gewisse Impfungen Autismus auslösen können. Selbst der heutige US-Präsident Trump warnte 2014 davor – auf Twitter, mit aktivierter Caps-Lock-Taste.
«Jetzt hätte ich fast gesagt, Trump ist zu wenig geimpft worden», scherzte Hausarzt Kissling – um die Aussage flugs wieder zurückzunehmen und ernste Töne anzuschlagen. Autismus trete bei Kindern typischerweise in einem Alter auf, in dem diese geimpft würden. Das heisse aber nicht, dass ein Zusammenhang bestehe. Im Gegenteil: Es gebe keine einzige zuverlässige Untersuchung, die dies nahelege.
Zwar existiert eine viel zitierte Studie, die einen solchen Zusammenhang suggerierte. Dem verantwortlichen Arzt sei jedoch die Zulassung entzogen worden, weil er «Fake News» verbreitet habe, so Kissling. Trappitsch räumte ein, «offiziell» seien die Ergebnisse der Studie widerlegt. Allerdings hätten nur zehn der zwölf beteiligten Forscher ihre Aussagen zurückgezogen – sie seien dabei einem grossen Druck ausgesetzt gewesen.
Vermittelnd wirkte in solchen Momenten Erika Ziltener, die Präsidentin der Schweizerischen Patientenstellen. Sie erinnerte die Ärzte daran, dass es eben nicht nur um Statistiken geht. «Wichtig ist es, dass man diese Leute ernst nimmt mit ihren Ängsten.» Es sei falsch, auf Patienten herumzuhacken, die sich vor den Nebenwirkungen fürchteten.
Ziltener plädierte dafür, noch mehr in Studien zu investieren, um so negative Langzeitfolgen ausschliessen zu können. Eltern, deren Kinder nach einer Impfung erkrankten, machten sich andernfalls «immer und ewig Vorwürfe». Dass diesbezüglich noch Handlungsbedarf besteht, räumten auch die Fachleute ein. «Fakt ist: Wir wissen ganz vieles noch nicht», so Berger. Nach heutigem Wissensstand könne im Einzelfall nie mit absoluter Sicherheit gesagt werden, ob ein Zusammenhang zwischen Impfung und Krankheitsbild besteht oder nicht.
Kritisch zeigte sich Patientenvertreterin Ziltener beim Thema Grippeimpfung. Anders als bei den Kinder-Krankheiten sei hier eine Impfung der breiten Bevölkerung nicht nötig, findet sie. Der gesellschaftliche Druck, dies zu tun, nehme jedoch zu – insbesondere im Gesundheitsbereich.
Ein Vater, dessen krebskrankes Kind auf der Onkologie liege, wolle doch um jeden Preis vermeiden, dass dieses vom Pflegepersonal mit der Grippe angesteckt wird, warf Moderator Projer ein. Während Ziltener zustimmte, dass ungeimpftes Personal nicht mit Hochrisikopatienten arbeiten sollte, blieb Impfkritiker Trappitsch unnachgiebig. In einem Spital existiere eine Vielzahl an Erregern, an denen das besagte Kind sterben könnte. Der Grippevirus sei nur einer davon. «Da macht man in meinen Augen – weil es eine Impfung gibt – ein zu grosses Theater darum.»