Darf ich die Lehre abbrechen?
Die Zahlen des BFS sind in zweifacher Hinsicht zu relativieren. Zum einen sind Lehrabbrüche kein neues Phänomen. So hatte sich das Bundesgericht etwa 2007 mit einem Mann zu befassen, der seine Zimmermannlehre aus persönlichen und finanziellen Gründen abgebrochen und damit den Unmut seines Lehrbetriebes auf sich gezogen hatte. Dazu später mehr.
Zum anderen stehen hinter den Zahlen des BFS in aller Regel Fälle, die weniger einschneidend sind als auf den ersten Blick zu vermuten sein könnte. Denn in der überwiegenden Mehrheit der Fälle hat eine Vertragspartei den Lehrvertrag zwar vorzeitig abgebrochen, die lernende Person dann aber eine Anschlusslösung in der beruflichen Grundbildung gefunden. Dafür sorgt auch der gesetzliche Rahmen, der den Lehrvertrag stärker als einen normalen Arbeitsvertrag reguliert und eine einseitige Auflösung ohne gegenseitiges Einvernehmen erschwert.
Lernende Person hat Rechte
Vertragsparteien des Lehrvertrages sind der Lehrbetrieb und die lernende Person. Dass es sich beim Lehrvertrag aber nicht um einen einfachen zweiseitigen Vertrag handelt, zeigt sich daran, dass das kantonale Berufsbildungsamt den Lehrvertrag genehmigen und über dessen Auflösung vom Lehrbetrieb informiert werden muss. Denn der Lehrbetrieb verpflichtet sich mit dem Lehrvertrag, «die lernende Person für ein bestimmte Berufstätigkeit fachgemäss zu bilden».
Die Bildungsverordnungen und die Bildungspläne konkretisieren diesen Auftrag und halten fest, welche Kompetenzen insbesondere der Lehrbetrieb vermitteln muss. Das schliesst nicht aus, dass dieser die lernende Person auch für Tätigkeiten wie etwa Reinigungsarbeiten oder Kaffee holen einsetzen darf. Der Lehrbetrieb muss aber unter dem Strich seinen Ausbildungsauftrag wahrnehmen und darf die lernende Person nicht als billige Arbeitskraft missbrauchen.
Unkomplizierte Auflösung des Lehrvertrages in Probezeit
Der Lehrvertrag ist ein befristeter Vertrag mit gesetzlich vorgeschriebener Probezeit. Diese beträgt je nach Vereinbarung grundsätzlich zwischen einem und drei Monaten. Die Vertragsparteien können die Probezeit ausnahmsweise bis auf sechs Monate verlängern, wobei hier das Berufsbildungsamt seine Zustimmung geben muss.
Während dieser Probezeit kann der Lehrbetrieb oder die lernende Person den Lehrvertrag mit einer Kündigungsfrist von sieben Tagen auflösen, der Lehrbetrieb muss in diesem Fall das Berufsbildungsamt benachrichtigen.
Abbruch der Lehre nach Probezeit nicht vorgesehen
Anders als bei einem üblichen Arbeitsvertrag gilt beim Lehrvertrag keine Kündigungsfreiheit. Der Lehrvertrag ist ein befristeter Vertrag, dessen Kündigung nur aus wichtigen Gründen zulässig ist. Der Lehrbetrieb darf damit nicht einfach so kündigen, aber auch die lernende Person ist stärker gebunden als ein regulärer Arbeitnehmer. Sie darf nur dann entschädigungslos kündigen, wenn die Weiterführung des Lehrverhältnisses als unzumutbar scheint. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn der Lehrbetrieb keine Fachkraft zur Verfügung stellt, welche sie kompetent ausbildet – oder eben, wenn der Lehrbetrieb sie nicht ausbildet, sondern in ihr eine günstige Arbeitskraft sieht. Die lernende Person darf auch entschädigungslos kündigen, wenn die Lehre sie gesundheitlich oder sittlich gefährdet.
Abgesehen davon ist es auch nach Ablauf der Probezeit jederzeit möglich, den Lehrvertrag im gegenseitigen Einvernehmen aufzulösen. Der Lehrbetrieb muss hier ebenfalls das Berufsbildungsamt informieren. Dies am besten schon vor der Auflösung, damit das Berufsbildungamt zusammen mit der lernenden Person gegebenenfalls eine Anschlusslösung aufgleisen kann.
Lehrabbruch kann zu Entschädigungsforderungen führen
Hat sie keine wichtigen Gründe, kann die lernende Person nicht einfach wie ein normaler Arbeitnehmer kündigen und ihre Lehre folgenlos abbrechen. Tut sie es gleichwohl, riskiert sie nicht nur, ohne Ausbildungsplatz dazustehen. Sie riskiert zudem Schadenersatzforderungen seitens des Lehrbetriebes in der Höhe eines Viertels des Monatslohnes, der Lehrbetrieb kann weitere Forderungen stellen. So etwa, wenn er bereits nicht rückerstattbare Ausgaben für externe Ausbildungen getätigt hat oder er für die ausserordentliche Neubesetzung der Stelle zusätzliche Kosten aufwenden muss.
Zurück zum oben erwähnten Beinahe-Zimmermann: Er konnte vor Bundesgericht nicht belegen, dass die Arbeitsbedingungen gesetzeswidrig und die Lehre gesundheitsgefährdend war. Vielmehr habe er, so das Bundesgericht, die Lehre aus persönlichen und finanziellen Gründen abgebrochen. Mit einem Schadenersatz von 3'000 Franken musste er diese Entscheidung aber teuer bezahlen.