Zu der Stadthalle Dietikon pflege ich ein gespaltenes Verhältnis. Einerseits liebe ich sie. Weil ich mich nirgends so amüsant fremd in den eigenen Reihen fühle wie da. Meine gute Laune findet aber jedes Mal ein jähes Ende, wenn ich das Klo aufsuche und einen Blick in den Spiegel werfe.
Ich vermute, dass nicht mal Gisele Bündchen unter einer Halogenlampe hübsch aussieht, geschweige denn ich. Oder all die anderen Jugo-Trullas, die sich da in Bleistift-Heels auf den Füssen rumstehen.
In der Stadthalle Dietikon treten regelmässig Musiker aus dem Balkan auf. Und locken damit Gross, Klein, Jung und Alt aus allen Ecken des Landes an. Genau in dieser Tatsache liegt der Unterschied zu den Konzerten in Clubs. Während sich in diesen vor allem junge Secondos bewegen, reisen bei Stadthalle-Dietikon-Konzerten mehrere Generationen an.
Dauert die Fahrt länger als 30 Minuten, füllen sie die Kühlbox mit Sandwichen, Süssgetränken und Bier. Man weiss ja nie, wann dich Hunger und Durst überfällt. Und der Jugo ist sicher nicht so hohl, dass er auf der A1-Raststätte zehn Stutz für ein Coci und ein «Iklemmtes» ausgibt. Sorry, wir schweifen ab.
Das letzte Mal war ich mit meinem Kumpel Dejan und seinen Bros da. Henne im Korb quasi. Hat mir den ein oder anderen Mörderblick der anwesenden Frauen auf der Suche nach kreditwürdigen Vätern ihrer Kinder eingebracht.
Dabei bin ich mir jeweils sicher, dass ich ausser Konkurrenz stehe. Sie stolzieren auf Bleistift-Absätzen, ich trage Sneakers. Sie haben tätowierte Augenbrauen, ich nicht. Sie tragen ihr Haar allesamt lang und sehr blondiert. Ich nicht.
Sie haben alle lange Gelnägel mit Nagelpiercings und/oder Airbrush-Muster, ich trage meine Nägel kurz und ohne Muster drauf oder Ringli drin. Outfittechnisch können sie allesamt jede «Bachelor»-Kandidatin in den Schatten stellen. Kurze Stretchmini-Kleidchen mit viel Bling-Bling treffen hier auf lange wallende Kleider in allen Farben mit noch mehr Bling-Bling.
Die einzigen Damen, die mir hier ein bisschen das Gefühl von Zusammengehörigkeit vermitteln, sind die, die Leggings in Leoparden-Muster tragen. Ich bin auch Besitzerin von Leomuster-Hosen. Meine erinnern aber mehr an Jogginghosen. Was mich –jetzt mal Hand aufs Herz – erst recht zum Super-Jugo machen muss.
Meine Lieblingskonzertbesucher sind aber die Sippen, die mindestens zu zehnt anreisen. Die Männer, Väter, Söhne, Schwiegersöhne, Onkels und Cousins stürmen jeweils als erstes mal den Foodstand, wo sie für wenig Geld Pljeskavice (Hamburger) mit sehr viel Zwiebeln kaufen.
Ich rede von so viel Zwiebeln, dass die ganze Halle danach riecht. So viel Zwiebeln, dass hier jeder rülpst. Nicht hinter vorgehaltener Hand. Von gekünstelten Höflichkeiten hält der Jugo nichts.
Und so stehe ich in der dritten Reihe. Eingehüllt von Zwiebelgestank. Sehen tue ich nichts. Weil ich mit meinen Sneakers zu klein bin. Dejan und Co. sind auch nicht da. Die Jungs sind schon sehr lange draussen, wo sie Kette rauchen. Dann legt der Sänger los. Und mit ihm zusammen alle um mich herum. Auch ich.
Und dann ist es doch da. Das wohlige Gefühl von Heimat. Und Zugehörigkeit. Ganz ohne Stretchmini, High Heels und Louis-Vuitton-Täschli bin ich hier sowas von richtig. Eine «Es ist geil, ein Jugo zu sein»-Euphorie macht sich in mir breit.
Was bleibt, sind nur ein Anliegen und eine Frage.
Das Anliegen: Männer, gegen die Ausdünstungen, die exzessiver Zwiebelkonsum verursachen, helfen Pfefferminz-Kaugummi. Don’t panic. Ein Kaugummi hat noch keinen Balkaner entmannt.
Die Frage: Was um alles in der Welt hat es mit diesen Scheiss-Halogen-Lampen auf sich, denen ich an jedem Jugo-Fest, in jedem Jugo-Club, in jeder Jugo-Disko und an jeder Jugo-Hochzeit begegne?
Eure Ludmila