Ich stehe inmitten zahlreicher Kosovaren am Gate. In Kürze beginnt das Boarding des Fluges Zürich-Priština. Ich freue mich riesig, zumal es das erste Mal ist, dass ich die Stadt besuche.
Mein Ticket kostet mich 50 Stutz. Diesen Fakt verdanke ich meiner Cousine, die als Flight Attendant bei der (damaligen) Swissair arbeitet und mich zum Spezialtarif mitnehmen darf.
Das Szenario kurz vor dem Besteigen der Maschine ist dasselbe, wie ich es schon von meinen Reisen nach zum Beispiel Belgrad kenne: Männer im Trainer rauchen panisch vor dem knapp zweistündigen Flug Kette.
Frauen belagern derweil Sitze mit ihrem Gepäck. Und ihren vielen Kindern. Und deren Bagage. Wer nun denkt, dass sich in den Kinderrucksäcken Spiele, Blöckli und Farbstifte befinden, irrt sich.
Der Balkaner nutzt jede noch so kleine Möglichkeit, um Kaffee, Schokolade und was-weiss-ich-alles in die Heimat zu transportieren.
Nun geht das Boarding los. Es werden Passagiere, die hinten im Flugzeug sitzen, aufgefordert, zuerst einzusteigen. Ein herzig optimistischer Versuch. Hier gelten aber andere Regeln. Alle stürmen auf einmal los. Als gehe es ums nackte Überleben.
Bis ich es ins Flugzeug schaffe, habe ich drei Ellenbogen in die Rippen bekommen, fünf Passagiere sind mir auf die Füsse getreten und keine Ahnung wie viele haben mir ihre Gepäckstücke ins Gesicht geschmettert. Leicht lädiert schaffe ich es zu meiner Cousine, die im Gang steht und freundlich lächelt.
Ihr Lachen verschwindet mit der Frage eines Herren um die 50. Über der Schulter trägt er einen prall gefüllten 110-Liter-Abfallsack, in der Hand eine Duschstange. «Frölein, wo das!?», fragt er sie sie in einem eher aggressiven Ton.
Zwei Reihen weiter hinten streiten sich drei Familienclans um die Ablageboxen. Clan 1 muss einen Staubsauger verstauen, Clan 2 hat Zementsäcke dabei, Clan 3 weiss nicht wohin mit den vier XXXL-Packungen Pampers.
Während die Crew versucht, etwas Ruhe und Ordnung in diese Anarchie zu bringen, sehe ich, wie zwei junge Typen ins WC verschwinden. Sie sehen nicht so aus, als würden sie da drin dem Mile High Club beitreten wollen. Während ich mich frage, was sie da drin also machen, geht ein Alarm los.
Der Maître de Cabine klopft wie wild an die WC-Türe. Nichts passiert. Nun öffnet er sie von aussen. Und weist die zwei Typen genervt zurecht. Der ganze Flieger kriegt mit, dass die beiden geraucht haben. Stören tut das keinen. Die Querulanten, die hier sichtlich auf die Nichtraucher-Regel im Flugi scheissen, am allerwenigsten.
Mit knapp einer Stunde Verspätung heben wir ab. Der Start dauert ewig. Schon logisch, wir sind ja auch viel zu schwer.
Seit dieser Reise sind 17 Jahre vergangen. 17 Jahre, in denen sich alles geändert hat: Heute ist es Ding der Unmöglichkeit, Sicherheitskontrollen mit Abfallsäcken, Duschstangen und Beton zum Anrühren zu passieren.
Was aus sicherheitstechnischen Gründen wunderbar ist. Aus egoistischen ist es schade – ich habe mich schliesslich köstlich amüsiert. Vor dem Flug, in der Luft und vor Ort.
Fun-Fact: Der eine der zwei WC-Typen ist heute einer meiner besten Freunde. Er ist immer noch Kettenraucher. Të dua, Besim. <3
Eure Ludmila!