Calvin Whatison
Danke, einmal mehr erfrischend. :)
«Jetzt reden wir schon wieder über Politik!», sage ich und klopfe Joe lachend auf die Schulter. Der 77-jährige Amerikaner muss ebenfalls grinsen. Er schaut mich mit seinen freundlichen blauen Augen an, streichelt seinen weissen Bart und verspricht: «Okay, jetzt hören wir auf damit.»
Doch der Vorsatz hält höchstens eine halbe Stunde. Dann stösst Joe wieder auf ein Thema, das ihn ärgert, und er sagt mir seine Meinung dazu. Ich höre aufmerksam zu, schüttle innerlich den Kopf und versuche mit vorsichtigen Einwänden oder Fragen an seinem Weltbild zu kratzen. So vergehen mehr als elf Stunden in Joes brandneuem Pick-up. Es ist egal, um welches Problem es sich handelt, am Ende findet Joe immer wieder den gleichen Schuldigen: Barack Obama.
Wenn es nach Joe geht, ist der US-Präsident gar dafür verantwortlich, dass die Spannungen zwischen dem weissen und dem schwarzen Amerika in den vergangenen Monaten wieder zugenommen haben: «Vor Obama war das Verhältnis zwischen Weissen und Schwarzen gut. Aber er hat die Leute gegeneinander aufgestachelt.»
Für den in Alabama aufgewachsenen, selbsternannten Redneck gibt es auch keinen Zweifel daran, dass Obama Muslim ist, nicht in den USA geboren wurde, nie in Harvard studiert hat. «Niemand an der Universität kann sich an ihn erinnern. Da stimmt doch etwas nicht.» Ich fühle mich bei solchen Aussagen ziemlich hilflos. Über verschiedene politische Ansichten diskutiere ich ja gerne, aber was soll ich auf solche Verschwörungstheorien erwidern? Wie soll ich Joe klarmachen, dass er falsch liegt?
Zum Glück verschafft mir die grossartige Natur im Nordwesten Kanadas ab und zu eine Verschnaufpause: Auf der rund 1000 Kilometer langen Strecke vom kleinen Meziadin Lake nach Whitehorse tauchen zwei Schwarzbären am Strassenrand auf, ein Reh springt vor unseren Augen in den Wald und einmal umringt ein wunderbarer Regenbogen die nie enden wollenden Wälder.
Joe tritt in diesen Momenten jeweils sofort auf die Bremse, damit ich Fotos machen kann. Er erzählt mir von seinem Leben in Alaska, seinen besten Tierfotos und seinen Erlebnissen auf der Jagd. «Ich schiesse nur Tiere, die ich auch esse», betont er. Bärenfleisch zum Beispiel schmecke ihm nicht. «Deshalb jage ich keine Bären.»
Es ist nicht die einzige Aussage, die mir zeigt, dass Joe sein Herz eigentlich am rechten Fleck hat. Von seiner Frau, mit der er seit fast 60 Jahren zusammen ist, spricht er so liebevoll, wie ich es noch selten von einem Mann gehört habe: «Manche sagen wahrscheinlich, meine Frau sei dick und hässlich. Aber diese Leute sehen nicht ihre wahre Schönheit. Sie ist ein warmes, wunderbares Wesen. Und sie ist eine starke Frau!»
Als sie beide frisch zusammen waren, habe er oft zu viel getrunken und manchmal die ganze Wohnung vollgekotzt. Irgendwann habe es ihr gereicht. Nach einem Suff habe sie – noch keine 20 Jahre alt – eine Flasche Whiskey auf den Tisch gestellt und gesagt: «Die Flasche oder ich. Beides kannst du nicht haben.» Für Joe war die Sache sofort klar: «Seither trinke ich nur noch wenig.»
Joe betont während der Fahrt auch immer wieder seinen Sinn für Gerechtigkeit: «Was auch immer du tust, belüge und bestehle mich nicht.» Falls das jemand tue, werde er ungemütlich. Oder wie es Joe ausdrückt: «If you fart on me, I will shit in your face.» («Wenn du mich anfurzt, scheisse ich dir ins Gesicht.»)
Es ist ein Spruch, der aus dem Mund von Donald Trump stammen könnte. Es überrascht mich deshalb nicht, dass Joe Feuer und Flamme ist für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten: «Ich liebe Trump! Er ist unabhängig und sagt, was er denkt.»
Ich glaube nicht, dass Trump unabhängig ist, noch mag ich, was er denkt und sagt. Und trotzdem mag ich Joe. Allerdings wünsche ich mir in den elf Stunden in seinem Truck ab und zu, dass ich wieder in Asien wäre. Denn manchmal ist es einfacher, wenn man sich mit seinen Fahrern höchstens über die Themen Fussball und Familie unterhalten kann.