Den Morteratschgletscher mal zu besuchen, ist jederzeit ein faszinierendes Erlebnis. Kurz nach dem Bahnhof Morteratsch steht schon die erste von 16 Informationstafeln. Im Jahr 1860 kam der Gletscher bis hierhin. Jetzt stehst du da und siehst nichts vom Eisriesen. Wir erreichen ihn erst rund 4 Kilometer weiter hinten und 75 Minuten später.
Die Spuren vom (jetzt weit zurückgezogenen) Gletscher zeigen sich noch in der Landschaft. Rund 200 Meter hoch reicht die Seitenmoräne links und rechts im Tal. Bis da hinauf lag alles mal unter dem – nicht mehr so ewigen – Eis: eindrücklich.
Wir stehen zuhinterst auf der Plaun da Morteratsch, dieser grossen Fläche, wo einst alles vergletschert war. Sitzbänke laden hier zum Verweilen ein. Hier ist alles sicher. Aber die Warntafel verrät es: Den Schuttwänden solltest du dich nicht nähern, weil jederzeit mit Steinschlag gerechnet werden muss.
Eine kleine Holzbrücke führt über den Gletscherabfluss Ova da Morteratsch. Ab jetzt ist es kein präparierter (Winter-)Spazierweg mehr, sondern ein Bergwanderweg (T3). Dieser führt seit einigen Jahren hinauf bis fast zur aktuellen Gletscherzunge. Je nach Verhältnissen sind Schneeschuhe angebracht.
Erst als wir über die Kuppe kommen, zeigt sich der unterste Teil des Gletschers. Durch dessen Rückzug bildete sich bei der Gletscherzunge eine Grotte. Rund 50 bis 100 Meter reicht sie in die Eismassen hinein. Es hat zwar Spuren im Schnee, dass sich da schon Besucher hineinwagten. Aber wie schon erwähnt: Mach das nicht. Es kann bei einem Gletscher jederzeit etwas zusammenbrechen.
Die wirklich schöne Gletschergrotte befindet sich denn auch nicht hier, sondern im Toteis etwas weiter unten, wie unser Bergführer erklärt. Auch hier gilt stete Vorsicht. Solange es genügend kalt ist, sollte die Grotte aber im Winter nicht zusammenbrechen. Da Eispaläste in diesem Jahr wieder wirklich lohnenswert sind, bietet die Bergsteigerschule Pontresina entsprechende Touren an.
Und tatsächlich: Die Grotte – oder besser: der rund 50 Meter lange Tunnel – verzaubert uns vom ersten Moment an. Von aussen würde man nie erwarten, hier so eine Wunderwelt zu entdecken. Das Eis schimmert in den schönsten Blautönen. Momentan sicherlich einer der faszinierendsten Orte der Schweiz.
Grandios ist auch das knapp zwei Meter breite Loch, das sich im Dach gebildet hat. Wie ein Kamin führt es durch die Eisdecke und sorgt für weiteren Lichteinfall.
Wann die aktuelle Gletschergrotte wieder zusammenfällt, lässt sich nicht voraussagen. Gut möglich, dass sie noch bis im Sommer hält, vielleicht auch drüber hinaus. Womöglich bricht sie früher zusammen. Falls du sie besuchen willst, dann mach das jetzt in der kalten Jahreszeit und schliesse dich einer geführten Tour an. Ohne Kenntnisse an so einen Ort zu gehen, ist gefährlich.
So schön die Gletschergrotten auch sind – sie haben einen bittersüssen Beigeschmack. Denn gebildet werden sie nur, wenn sich Gletscher zurückziehen (das passiert immer wieder auch bei anderen Schweizer Gletschern, beispielsweise dem Arollagletscher). Das Schmelzwasser spült dann unter dem Gletscher die Grotten frei und macht sie im Bereich der Gletscherzunge zugänglich. Wann und wo die nächste besuchenswerte Gletschergrotte entsteht, weiss niemand. Am Morteratsch wartete die Bergsteigerschule über zwei Jahre, bis es sich wieder lohnte.
Heute läufts mir kalt den Rücken hinunter, wenn ich daran denke.