Die riesige Gilde der Heilerinnen und Geistheiler – die Schweizer Szene umfasst weit über 10‘000 Exponenten – nutzt alle sprachlichen und methodischen Tricks, um potenzielle Kundinnen und Kunden anzulocken.
Heilpraktiker haben meist wenig übrig für die in ihren Augen techniklastige Schulmedizin und die wissenschaftlichen Methoden. Sie brüsten sich vielmehr mit ihren ganzheitlichen Ansätzen, mit denen angeblich nicht nur die Symptome bekämpft würden, sondern primär die Ursachen.
Trotzdem kränkt es die Geistheiler, wenn man sie als Kurpfuscher bezeichnet. Nur zu gern würden sie aus dieser anrüchigen Ecke herauskommen. Deshalb nehmen manche Zuflucht zu einem wissenschaftlichen Vokabular. Sie wollen sich einen seriösen Anstrich geben nach dem Motto: Unsere Heilmethoden sind ganzheitlich und alternativ, wir arbeiten aber auch mit jenen wissenschaftlichen Ansätzen, die wir für nützlich halten.
Das beliebteste Zauberwort mit wissenschaftlichem Anstrich lautet Quantenmedizin. Das klingt spektakulär, ist aber höchstens eine esoterische Worthülse. Denn mit Quantenphysik oder Quantenmechanik hat die Heilmethode nichts zu tun. Selbst die Anbieter sind unfähig, auch nur annähernd eine nachvollziehbare Definition von der «Quantenmedizin» zu geben.
Eine neue Wortschöpfung hat die deutsche Heilerin Annette Grübnau in die Welt entlassen. Ihre neue Heilmethode nennt sie Aurachirurgie. Diese preist sie in ihrem Buch als «neue Dimension der Heilung» an.
Da stellt sich die Frage: Seziert die Heilerin mit dem Skalpell die Aura ihrer Patientinnen? Nur: Diese Aura hat keine physische Struktur, sondern stellt lediglich einen angeblichen «energetischen Körper» dar. Es stellt sich die Frage, was das sein soll.
Ausserdem: Sezieren kann man da gar nichts. Selbst wenn: Wie sollte eine sezierte Aura körperliche Krankheiten heilen? Man sucht bei Grübnau vergeblich nach einer brauchbaren Definition der Aurachirurgie. Es lässt sich lediglich aus der vagen Umschreibung erahnen, um was es in etwa geht.
Was bei Grübnau besonders überrascht: Die Heilerin bezeichnet sich als studierte Pädagogin und Theologin. Sie hält nichts von Psychologie oder Psychotherapie, nichts davon, psychische Blockaden zu lösen, Traumata aufzuarbeiten und Prägungen zu ergründen, wie sie sagt. Sie stellt sich lieber so dar: «Ich bin seit 27 Jahren vollsichtige Mentorin für geistiges Heilen und Aurachirurgie.»
Die Heilerin erhielt 2013 trotz ihrer angeblichen Vollsichtigkeit unerwartet die Diagnose Krebs. Sie habe einen Ausblick gehabt, nur noch 12 Monate zu leben, erzählt sie in einem Video. Deshalb habe ihr die Zeit gefehlt, nach den angeblichen Auslösern der Krankheit in ihrer Lebensgeschichte zu suchen und sich mit dem Krebs anzufreunden.
In monatelanger Fleissarbeit will sie die geistigen Gesetze erforscht und damit den Weg in die absolute Freiheit entdeckt haben, heisst es im Video weiter. Sie habe dabei gelernt, den Geist zu disziplinieren und sich in eine komplett neue Realität zu entrücken. So sei sie wieder gesund geworden.
Und wörtlich:
Das alles führt angeblich zur Aurachirurgie. Dazu gehöre auch, das Energiefeld, also die Aura eines Menschen, aus einer sachlichen Perspektive wahrzunehmen.
In ihrem Buch erfahre die Leserin, wie sie «den körperlichen und seelischen Tod überwinden» könne. Ausserdem enthalte es zahlreiche Tipps und Werkzeuge, «wie auch du deine neue Realität erschaffen kannst».
Grübnau verspricht ihren Klienten und Patientinnen, sie würden schneller, leichter, genialer und «geheimnisvoll» ihre grossartigen Durchbrüche in ihrer Persönlichkeit erreichen. Frei nach dem Motto: «Erschaffe dir deine eigene Realität – und steig aus der anderen einfach aus!»
Und ja, Grübnau bietet auch «mit sehr grossem Erfolg» eine Ausbildung für Heilpraktiker und Heiler an. Willkommen sind auch Esoteriker, die die Ausbildung absolvieren möchten, um sich selbst zu heilen. Diese dauert sechs Monate und kostet 5500 Euro – ohne Rabatt.
Huldigungen dürfen auf der Homepage natürlich auch nicht fehlen. So schreibt Edith Häller Schnider über das Buch zur Aurachirurgie: «Endlich ein Buch, das mich zu verstehen scheint. (…) Ich fühle mich getragen und verstanden und zum ersten Mal in meinem Leben richtig und gut, so wie ich bin. Ein Geschenk für alle Menschen, die nach mehr fragen. Es gehört in alle Sprachen übersetzt, und danach feiern wir alle gemeinsam den Weltfrieden.»
Annette Grübnau ist wie viele Heilerinnen und Heiler, die Wunder versprechen, eine Gefahr für die Allgemeinheit. Schaut man sich ihre angeblich bahnbrechenden sanften Heilmethoden an, sind es meist spirituelle und alternativmedizinische Plattitüden, die bar jeder Wirksamkeit oder Plausibilität sind.
Grübnau geht besonders dreist vor. Sie erwähnt auf der Homepage ihre vermeintlich tödliche Krebserkrankung und wundersame Heilung. Wie und von wem sie geheilt worden sein soll, beschreibt sie nicht. Für ihre Anhänger und Patientinnen ist aber zweifellos klar, dass Grübnau den Krebs mit ihren eigenen Heilmethoden besiegt hat.
Somit besteht die Gefahr, dass alternativmedizinisch angehauchte Krebspatienten ihre Praxis stürmen und die schulmedizinische Therapie abbrechen. Oder gar nicht beginnen. Im schlimmsten Fall unterschreiben sie damit ihr eigenes Todesurteil.