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Die katholische Kirche steckt in der Krise, die Austritte nehmen zu

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Jedes Jahr verliert die katholische Kirche mehr Gläubige – oft an eine Ersatzreligion

Im vergangenen Jahr gaben 31'722 Gläubige in der Schweiz den Austritt aus der katholischen Kirche an. Die Zahl stieg um einen Viertel.
21.11.2020, 07:53
Hugo Stamm
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Hiobsbotschaft für die katholische Kirche der Schweiz: Die Austritte sind 2019 erneut in eine Rekordhöhe geschnellt. 31'722 Gläubige verliessen im vergangenen Jahr die grösste Religionsgemeinschaft. Im Vorjahr waren es 25'366.

Die Zunahme wuchs in einem Jahr um rund einen Viertel an. Dies war schon 2018 so, denn 2017 lag die Zahl der Austritte noch bei 19'893. Die Zahlen stammen vom Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) in St.Gallen.

Pope Francis leaving on his Popemobile after his weekly general audience in St. Peter s Square at the Vatican, Rome, Lazio, Italy, Europe PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: Godong 809-7894 Edi ...
Papst Franziskus laufen in der Schweiz die Schäfchen in Scharen davon.Bild: www.imago-images.de

Die exponentielle Austrittswelle trifft die katholische Kirche schwer und verspricht nichts Gutes für die Zukunft. Sie verliert zunehmend an Rückhalt in der Gesellschaft, was mit einem Imageverlust verbunden ist. Zwar sind 32'000 jährliche Austritte bei rund drei Millionen Gläubigen noch kein Unglück, doch die Tendenz ist für die Kirche alarmierend.

Dass am Anfang dieser religiösen Odyssee vielleicht ein Skandal innerhalb der katholischen Kirche stand, ist wohl eine Ironie der Geschichte.

Setzt sich der Trend fort, dürften sich die Kirchenbänke weiter leeren. Denn die meisten Katholiken sind aus religiöser Sicht «Karteileichen», die sich nicht mehr aktiv am kirchlichen Leben beteiligen, sondern nur noch die Rituale konsumieren: Hochzeiten, pompöse Gottesdienste an Ostern und Weihnachten, Taufen, Erstkommunion und Firmung ihrer Kinder und schliesslich eine kirchliche Beerdigung.

Viele wagen den Austritt auch nicht, weil sie die Kirche als Rückversicherung brauchen. Frei nach dem Motto: Falls an den christlichen Heilsvorstellungen und Erlösungskonzepte doch etwas dran sein sollte, möchte man das Ticket in den Himmel nicht verscherzen.

Auch die älteren Gläubigen treten häufiger aus

Für die katholischen Geistlichen dürfte es besonders besorgniserregend sein, dass immer mehr ältere Gläubige den Austritt vollziehen. Der Prozentsatz der 51- bis 65-Jährigen, die der Kirche den Rücken kehren, wächst kontinuierlich.

Dies bedeutet, dass vermehrt Eltern von Jugendlichen und jungen Erwachsenen austreten. Somit sinkt auch für ihre Kinder die Schwelle, den Schritt ebenfalls zu tun. Es ist also voraussehbar, dass die Zahl der Austritte weiter jährlich ansteigt.

Sollte der Trend anhalten, könnte sich die Zahl der Katholiken in der Schweiz in etwa 30 Jahren halbieren. Die katholischen Geistlichen werden einwenden, dass sich die Austritte in Zukunft nicht zwingend exponentiell entwickeln werden.

Im Youtube-Kanal «Klartext Alber"» behauptet der Prediger, die lasche Haltung der Kirchen würden die Austritte begünstigen.Video: YouTube/Klartext Abler

Skandale führen zu Glaubwürdigkeitsverlust

In erster Linie seien die Skandale, Krisen und negativen Schlagzeilen Treiber der Austritte, so das Pastoralsoziologische Institut. Projektleiter Urs Winter-Pfändler schreibt im Bericht zu den Austritten, es gehe inzwischen nicht nur um die Missbräuche von Kindern und Jugendlichen durch Kirchenleute, sondern auch von Ordensfrauen.

Er erwähnte auch, dass Kirchenaustritte in der breiten Bevölkerung an sozialer Akzeptanz gewinnen würden. Er kann sich vorstellen, dass sie vielleicht bald einmal als normal empfunden werden.

Vielleicht vollzieht sich der Exodus aber noch schneller als die statistischen Rechnereien ergeben. Berücksichtigt man zusätzlich die weiter fortschreitende Individualisierung und Säkularisierung, kann es für die katholische Kirche noch Schlimmer kommen.

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Viele Ausgetretene basteln sich eine Privatreligion

Was geschieht mit den Zehntausenden, die jährlich aus der katholischen und reformierten Kirche austreten? Die wenigsten von ihnen konvertieren zum Agnostizismus oder Atheismus, denn die Summe der religiösen Bedürfnisse nimmt nur langsam ab.

Parallel zum Trend nach Selbstverwirklichung und Selbstoptimierung basteln sich viele ihre privaten religiösen und spirituellen Ideen. Die meisten freunden sich mit der Idee der Wiedergeburt an, wie Untersuchungen zeigen. Von da ist der Weg zu fernöstlichen und esoterischen Heilsvorstellungen nicht mehr weit.

Viel dazu trägt auch der weltweite Siegeszug von Meditation und Yoga bei. Manche geraten bei ihrer Suche nach der übersinnlichen Erlösung in die Fänge von spirituellen Meistern und Gurus. Und ehe sie sich versehen, landen sie in einer Sekte. Dass am Anfang dieser religiösen Odyssee vielleicht ein Skandal innerhalb der katholischen Kirche stand, ist wohl eine Ironie der Geschichte.

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Hugo Stamm; Religionsblogger
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
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365 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Füürtüfäli
21.11.2020 09:07registriert März 2019
Hier ein paar Gründe für den Austritt vieler:
-) Zwangsmitgliedsbeitrag einkassieren, sich in Gold schmücken und für hungrige Kinder weltweit beten.
-) Trennung von Kirche und Staat ist bis heute nicht gegeben
-) Vertuschung von Missbrauchsfällen
-) Homosexuallität als Krankheit/etwas teuflisches ansehen
-) Kondome in Afrika verbieten wollen wärend die Leute dort an HIV krepieren
-) Lenkung der Kirchengelder durch einen nicht demokratisch geführten Staat (Vatikan)
-) Nahezu Mitteralterliche Ansichten in vielen Punkten der Wissenschaft

🤷‍♀️
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Matthiah Süppi
21.11.2020 08:32registriert Mai 2015
Ganz ehrlich, die meisten sind sowieso nur noch dabei, weil sie zu faul sind für den Austritt.
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Oxymora
21.11.2020 08:16registriert August 2016
“Jedes Jahr verliert die katholische Kirche mehr Gläubige – oft an eine Ersatzreligion“

Oft auch einfach so. Weil man menschliches Leben auch ganz gut möglich ist ohne sich imaginäre Freunde vorzumachen.
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Valentina statt Valentinstag
Ich hatte eigentlich ein Date ausgemacht. Aber dann kam es anders.

Es war ja Valentinstag. Nicht, dass ich mir etwas aus Valentinstagen mache. Aber, wir erinnern uns: Ich war mit dieser hübschen Yogafrau zum Baden verabredet, nicht so entspanntes Rumschwaddern im Spermabad, wir wissen alle, wo das ist, ich muss das hier nicht explizit erwähnen, aber wir wären ja (leider) eh nicht dorthin gegangen, sondern in den See. Knappe 6 Grad. Eisig kalt, aber vielleicht gerade deshalb ultra hot.

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