Das Ritual des Feuerlaufens rückt ins öffentliche Bewusstsein. Den Preis für diese Aufmerksamkeit zahlen die 30 Opfer, die bei einem Teamevent schwere Brandwunden davon getragen haben. Der Unfall auf der Halbinsel Au bei Wädenswil sorgte international für Schlagzeilen.
Höchste Zeit, sich einmal grundsätzlich mit dem Unsinn des Feuerlaufens auseinanderzusetzen.
Dieser Trend zur Selbstoptimierung, Freisetzung aussergewöhnlicher Kräfte, Verschiebung der Grenzen mittels Feuerlaufen verdanken wir in erster Linie der Esoterikwelle. Die spirituellen Sucher aus dem Westen entdeckten das Ritual bei religiösen Gruppen im asiatischen Raum, bei Schamanen und tibetischen Mönchen, die über Kohle gingen oder auf Nagelbrettern sassen.
Diese asketischen Rituale dienten der spirituellen Entwicklung. Da die westlichen Esoteriker alles verklären, was die östliche Mystik hergibt, praktizierten sie bald auch das Feuerlaufen.
Nur mit der Askese konnten die verwöhnten Wohlstandskinder aus dem Westen nichts anfangen. Rituale müssen auch Spass machen. Also machten sie aus dem Feuerlaufen ein Event.
Dies lockte Veranstalter aus der Selbstoptimierung- und Selbstverwirklichungsbranche an, die stets auf der Suche nach aussergewöhnlichen Spektakeln für ihre Seminare sind. Da kam ihnen das Feuerlaufen wie gerufen.
Sie konnten dem verblüfften Publikum verklickern, dass sie durch mentale, geistige oder spirituelle Prozesse oder Meditation lernen können, die Materie zu beherrschen. Sprich: Nichts kann ihnen mehr etwas anhaben, nicht einmal das Feuer.
Bei dem Ritual könnten sie die eisernen Gesetze der Physik überwinden, versprachen die geschäftstüchtigen Coaches und Mentaltrainer. Manche behaupten sogar heute noch, die Physik könne nicht erklären, wie es möglich sei, über 700 Grad heisse Kohle zu gehen. Sie können sich nun bei den 30 Opfern von Au erkundigen.
In Wirklichkeit hat die Physik schon längst die Erklärung geliefert. Glühendes Holz und die Hornhaut an den Füssen leiten die Wärme relativ schlecht. Das gilt erst recht für die Asche, die die verglühenden Holzscheite bedeckt. Die Glut darf ausserdem nicht heisser als 700 Grad sein, sonst verbrennen die Teilnehmer ihre Füsse.
Um dieses Prinzip zu verdeutlichen: Würden die mutigen Feuerläufer über 700 Grad heisses Eisen gehen, würden sie nach dem ersten Schritt laut aufjaulen vor Schmerzen. Metall leitet eben ausgezeichnet. Erfahrene Veranstalter warten so lang, bis die Oberfläche der Glut auf 300 Grad gesunken ist, was die Verletzungsgefahr deutlich senkt.
Um nicht in den Verdacht zu kommen, verkappte Gurus zu sein, behaupten manche Anbieter, das Ritual habe nichts mit Esoterik zu tun. Um das angeblich übernatürliche Phänomen erklären zu können, müssen sie aber auch übersinnliche Ideen ins Spiel bringen.
Heute verkaufen die meisten Anbieter ihre Feuerlauf-Seminare als Mentaltraining, zur Persönlichkeitsentfaltung, Selbsterfahrung, Teambildung, Transformation und zum Überwinden von persönlichen Grenzen. Apropos Teambildung: Das ist hauptsächlich ein Verkaufstrick der Mentalcoaches. Denn buchen grosse Firmen solche «Seminare», klingelt die Kasse besonders laut.
Die Idee von der Teambildung ist aber ein Etikettenschwindel. Beim Feuerlaufen geht es primär um die Überwindung der Angst, also um eine individuelle Mutprobe.
Beim Anbieter «Feuerimpuls.ch» klingt das dann so:
Der Anbieter «Feuerland Instructor» preist das Ritual mit folgenden Worten an: «Das Feuerlaufen hat eine besondere Bedeutung und bringt Körper, Geist und Seele zum Zusammenschmelzen.»
Der Anbieter «Kurs-Natur.ch» schreibt dem kurzen Ritual wundersame Wirkung zu:
Kostenpunkt: 180 bis 220 Franken.
Das Feuerlaufen geniesst eine grosse gesellschaftliche Akzeptanz. Sogar Schweiz Tourismus bietet ein Feuerlauf-Seminar an. Das Motto: «Mach dich bereit für den Tanz des Lebens!» (Natürliche-Lebensenergie.ch)
Dass das Feuerlaufen einen spirituellen oder religiösen Hintergrund hat, demonstriert auch die katholische Kirche Kriens. Sie bot ihren Gläubigen am 16. April dieses Jahres ein entsprechendes Seminar an. Wie sich dieses mit der katholischen Lehre vereinbaren lässt, weiss wohl nur der Pfarrer.
Organisatoren von Feuerläufen überbieten sich momentan in den Medien mit der Beteuerung, schon Tausende Teilnehmer hätten das Ritual absolviert, ohne dass es zu Zwischenfällen gekommen sei. Das ist eine unbelegte Behauptung.
Mit Sicherheit haben schon viele Läufer Verbrennungen erlitten, die nicht dokumentiert worden sind. Verklemmt sich zum Beispiel ein kleines Stück glühende Kohle zwischen den Zehen, kommt es so lang zu einem Hautkontakt, dass sich zumindest eine gröbere Blase bildet. Die Veranstalter hängen solche Vorfälle natürlich nicht an die grosse Glocke.
Der Organisator des Events in Au behauptet sogar, nichts falsch gemacht zu haben. Ein Schuss ins eigene Bein. Denn es bedeutet im Umkehrschluss, dass sich Teilnehmer schwer verletzen können, auch wenn alles richtig gemacht wird.
Bleibt zu hoffen, dass nun viele potenzielle Kunden sich in Zukunft gut überlegen, ob sie sich beim Feuerlaufen die Finger verbrennen wollen. Oder eben die Füsse.