«Ergibt das Leben Sinn?» Diese Frage geht den meisten viel durch den Kopf. Oft gar mehrmals am Tag. Wenn man einem Ausserirdischen erklären müsste, was uns Menschen ausmacht, könnte man ihm getrost antworten, dass uns das Fragen nach dem Sinn auszeichnet.
Die permanente Suche nach dem Sinn unterscheidet uns von den übrigen Lebewesen auf unserem Planeten. Tiere treibt sie wohl kaum um. Ein Wurm pflügt sich ein Leben lang durch das Erdreich. Er sieht meist kein Licht und hat selten eine Abwechslung. Man kann davon ausgehen, dass er sich trotzdem nie langweilt.
Die Frage nach dem Sinn seines aus unserer Sicht monotonen Tuns dürfte er sich kaum stellen. Deshalb ist er sich wohl nicht bewusst, welche wichtige Funktion er im Kreislauf der Natur erfüllt. Er tut, was er am besten kann.
Ähnlich dürfte es sich auch bei den Säugetieren verhalten, die ein grösseres Hirn besitzen. Ein Wildpferd zum Beispiel sucht Gras und Wasser, frisst, säuft und ist zufrieden, wenn der Magen gefüllt ist. Langweilig wird es ihm vermutlich ebenfalls nicht. Sein Lebensinhalt: sein und sich vermehren.
Der Kontrast zu uns unsteten, rastlosen Menschen ist augenfällig. Es hat viel damit zu tun, dass unser Hirn kognitive Höchstleistungen zu vollbringen vermag und wir fähig zur Selbstreflexion sind. Wir können darüber philosophieren, wer wir sind, was wir wollen, und worin der Sinn unseres Daseins liegt. Das ist eine beträchtliche Errungenschaft. Doch macht sie uns wirklich glücklich?
Die Suche nach dem Sinn führt zu einem komplexen Bewusstsein und ist tief in uns angelegt. Dies lässt sich bei Kleinkindern beobachten. Wenn sich ihre Hirnareale und -regionen allmählich verknüpfen, beginnen sie, Fragen zu stellen. Mit ihren stereotypen Reaktionen «Warum?» können sie die Eltern zur Weissglut treiben. Sie wollen die Zusammenhänge erkunden, was früher oder später zur Sinnfrage führt.
Womit wir bei der Religion angelangt sind. Als sich bei unseren Urahnen die kognitiven Fähigkeiten entwickelten, ging es ihnen ähnlich. Die Frage nach dem Sinn war ein Meilenstein in der geistigen Entwicklung.
Die Antworten fielen dem Homo Sapiens der Urzeit schwer. Er musste sich mit Annahmen und Spekulationen zufriedengeben. In diesem Dilemma griff er unter anderem auf den Glauben an übernatürliche Kräfte zurück. Alle unerklärlichen Phänomene wurden ihnen zugeschrieben.
Unter anderem deswegen entstanden der Glaube ans Übersinnliche und daraus schliesslich Glaubensgemeinschaften. Die Führer dieser Bewegungen entwickelten sich zu Welterklärern. Sie waren quasi die ersten Wissenschafter. Ihre Erklärungsmuster hatten denn auch oft religiöse Inhalte.
Weltweit entstanden im Lauf der Jahrtausende Religionsgemeinschaften, und praktisch die gesamte Menschheit wurde religiös. Eine beispiellose Erfolgsgeschichte, die vielen Menschen aber nicht gut bekam: Der Machtmissbrauch war immens und führte zu viel Leid.
Die Weltbilder der Religionsgründer wurden später von den Naturwissenschaftlern korrigiert oder widerlegt. Religionen wurden auf Glaubenselemente zurückgestuft. Ihr Trumpf blieb, dass sie die Deutungshoheit bezüglich Gott und Metaphysik retten konnten. Trotzdem erlangten die Wissenschaften immer mehr Bedeutung.
Religionen retteten sich mit dem Anspruch, die Fragen nach dem höheren Sinn für uns Menschen beantworten zu können. Da sie aber weder die Existenz Gottes noch ein Leben nach dem Tod nachweisen können, bewegen sie sich immer noch auf der Ebene von Mutmassungen oder Spekulationen.
Um die Frage nach dem Sinn des Lebens aus der Warte des kritischen Beobachters zu beantworten, müssen wir zurück zu unserem Wurm: Vielleicht ist die plausibelste Antwort ganz einfach. Vielleicht müssen wir Menschen schlicht unsere Funktion als Teil der Natur erfüllen. Wie der Wurm. Vielleicht ist einfach das Leben an sich der Sinn. Vielleicht gibt es keinen übersinnlichen Sinn.
Vielleicht wehren wir uns reflexartig gegen solche Gedanken, weil es für viele Menschen eine narzisstische Kränkung wäre, «nur» ein Teil der Natur zu sein, wie alle anderen Lebewesen.