Viele Menschen glauben an den Satan, schliesslich gehört der Teufel seit Jahrhunderten zur christlichen DNA. Und wo der Satan sein Unwesen treibt, sind die Satanisten nicht weit, sind viele Zeitgenossen überzeugt. Scheint logisch, ist es aber nicht. Machen wir uns also auf die Spurensuche.
Ausgelöst hat die aktuelle Diskussion die rec.-Reportage «Satanic Panic in der Schweiz» des Schweizer Fernsehens. Ein paar Aussagen aus dem Video dokumentieren die Brisanz des Themas und werfen ein Schlaglicht auf das Phänomen der angeblichen satanistischen rituellen Gewalt, an die nicht nur unbedarfte Leute glauben, sondern auch Fachleute.
Drei Beispiele aus dem Video:
«Nach dem, was wir von der Schweiz, aber auch international wissen, gibt es das», erklärt der Psychiater Matthias Kollmann, Oberarzt der Psychiatrischen Klinik Littenheid. Reporter Robin Rehmann hakt sofort nach: «Es gibt also den rituell organisierten satanistischen Missbrauch?»
Kollmann antwortet: «Ja, es passieren unvorstellbare Gewalttaten mit körperlicher Gewalt, mit körperlicher Verletzung, mit allen nur vorstellbaren Instrumenten. Das, was wir auch so aus dem Dritten Reich als Foltermethoden in den Konzentrationslagern kannten.»
Fritz Bamert, Präsident des Vereins Cara, einer «Interessenvereinigung zur Aufklärung und Vernetzung gegen rituellen Missbrauch und organisierte Gewalt», sagt: «Es wird gequält und gemacht bis zum Tod. (…) Und dann wird natürlich das Blut getrunken. Und das Fleisch gegessen.»
Auch Thomas Werner, Präsident der SVP im Kanton Zug und Leiter Fachgruppe Kinderschutz der Stadtpolizei Zürich, bläst ins gleiche Horn: «Es gibt für mich leider keinen Grund, zu vermuten, dass solche Schilderungen nicht stimmen sollten.»
Was solche Vermutungen bewirken können, erlebte das Ehepaar Hagger auf schmerzliche Weise. Ihre Tochter, angebliches Opfer ritueller Gewalt, wurde in der Klinik Littenheid therapiert. In einem Mail an ihren Therapeuten schrieb sie, ihre Eltern würden auf dem Friedhof in Appenzell kleine Kinder opfern, ihnen Hände und Köpfe abhacken, und sie anschliessend grillieren und essen.
In der Folge wurde gegen ihren Vater ein Verfahren eröffnet, Polizei und Staatsanwaltschaft stellten die Ermittlungen aber nach einem Jahr ergebnislos ein. Nicht vorzustellen, was solche falschen Anschuldigungen der eigenen Tochter mit den Eltern macht. Ganz abgesehen davon, dass man auf einem frei zugänglichen Friedhof kaum unbeobachtet Kinder schlachten und verspeisen kann.
Um den Diskussionsrahmen in diesem Blog abzustecken, sei vorweg festgestellt, dass es in der Schweiz noch nie einen polizeilich oder gerichtlich bestätigten Fall von ritueller oder satanistischer Gewalt gegeben hat. Und erst recht keinen Fall mit Todesfolgen.
Ich selbst beschäftige mich seit über 40 Jahren mit Fragen rund um den Satanismus, handelt es sich dabei auch um ein Sektenphänomen. Bei mir meldeten sich immer wieder angebliche Opfer von satanistischem Missbrauch.
Nachdem Polizei und Justiz ihre Schilderungen bezüglich ritueller Gewalt als nicht plausibel eingestuft hatten, suchten sie bei mir Verständnis und Unterstützung. Die Polizisten seien selbst Mitglied eines satanistischen Zirkels, weshalb sie ihre Anzeige unter den Teppich gekehrt hätten, erzählten sie mir jeweils.
In langen Gesprächen versuchte ich herauszufinden, wo, wann, wie oft und mit welchen Methoden die Missbräuche stattgefunden haben sollen. Vor allem interessierten mich die Namen der Täter.
Die ratsuchenden Frauen erzählten mir zwar ausführlich von schreienden Babys, Kindshäutungen, Blutritualen und Satansmessen mit mehreren Männern, doch konkrete Angaben, die eine Recherche ermöglicht hätten, bekam ich nie. Vielmehr reagierten die meisten Frauen misstrauisch, wenn ich nach dem Wer, Wie, Wann und Wo fragte.
Unübersehbar war aber, dass sie psychisch schwer belastet waren und panische Ängste hatten. Anzufügen bleibt, dass ich ihnen anfänglich glaubte und ihnen gern geholfen hätte. Zumal ein Artikel über ihre dramatischen Erlebnisse auf grosse Beachtung gestossen wäre.
Als sich das Muster wiederholte, kam ich zur Überzeugung, dass die Frauen unter dem «false memory syndrome», also falschen Erinnerungen aus der Kindheit litten. Ein Phänomen, das in der Psychiatrie bekannt und akzeptiert ist.
Ich zweifelte nie daran, dass die Frauen unter einem Trauma litten, das vermutlich durch einen sexuellen Missbrauch im Kindesalter hervorgerufen worden war. Ein satanistischer Hintergrund war aber nie plausibel oder nachweisbar.
Diese Interpretation lässt die breite Fraktion der eingangs zitierten Fachleute nicht gelten. Sie nehmen die Schilderungen der angeblichen Opfer für bare Münze. Sie geben zwar zu, dass es keine dokumentierten Fälle gibt, stellen sich aber auf folgenden Standpunkt: Wo es viele Opfer gibt, muss es noch mehr Täter geben. Diese würden sich in den besseren und einflussreichen Kreisen bewegen und hätten viele Möglichkeiten, die Gewaltverbrechen im Geheimen durchzuführen und zu vertuschen.
Diese Argumentation ist mehr als abenteuerlich und für akademisch gebildete Personen ein Armutszeugnis. Ihre Interpretation ist aus einem weiteren Grund haltlos. Es ist schlicht unmöglich, regelmässig Frauen zu quälen und Kinder und Babys verschwinden zu lassen und zu opfern – ohne, dass sie jemand vermissen und ohne dass es jemandem auffallen würde. Es ist auch nicht möglich, beliebig viele Babys von verstecken Schwangerschaften zu «züchten».
Therapeuten, die überzeugt sind, dass ihre Patientinnen Opfer ritueller Gewalt wurden, betreiben einen gefährlichen therapeutischen Missbrauch. Statt das Trauma aufzulösen, das zu den psychischen Krankheiten und den falschen Erinnerungen geführt hat, wird die Panik der Patientinnen vor angeblich weiteren satanistischen oder rituellen Übergriffen verstärkt.
Hier müssten die Gesundheitsbehörden und Verbände eingreifen. Nach meinen Erfahrungen verschliessen diese ihre Augen und handeln höchstens dann, wenn den Psychiatern oder Therapeutinnen Straftaten nachgewiesen werden können. Therapeutische Missbräuche werden praktisch nie geahndet.
Und wie steht’s mit der Klinik Littenheid, die in ihren Räumen wiederholt Veranstaltungen zum Thema rituelle Gewalt durchgeführt hat? Nachdem der Videobeitrag die skandalöse Haltung von Matthias Kollmann dokumentiert hat, gab die Klinikleitung die Freistellung ihres Oberarztes bekannt. Doch Kollmann fungiert immer noch auf dem Mitgliedsverzeichnis der Klinik. Weshalb das so ist, konnte die Klinikleitung nicht sagen. Die zuständige Person sei abwesend, wurde mir bescheinigt.
Nimmt man die grosse Zahl der angeblichen Opfer satanistischer Gewalt zum Nennwert, müssten in der Schweiz Dutzende von entsprechenden Zirkeln aktiv sein. Auch diese Vorstellung ist Humbug. Ich bin in meiner langen Berufskarriere auf keinen einzigen okkulten Zirkel gestossen, der problematische Satansrituale praktizierte. Sicher gibt es Einzelpersonen oder kleine Gruppen, die okkulte Weltanschauungen pflegen, wie zum Beispiel der St.Galler Okkultist Markus Wehrli, alias Satorius. Doch er war harmlos und pflegte den Satanismus mit seinen Anhängern lediglich als Ersatzreligion.
Die im Video befragten Fachleute gerieten nach der Veröffentlichung unter Druck. Sie beschuldigten hinterher das Reporterteam, sie nicht genügend vorinformiert zu haben. Ihre Aussagen hätten sich auf rituelle Gewalt und nicht auf satanistische bezogen.
Das ist mehrheitlich eine Schutzbehauptung, wie das Beispiel von Matthias Kollmann zeigt. Reporter Robin Rehmann spricht klar von satanistischer Gewalt, was der Psychiater auch bestätigt. Ausserdem ist schwer vorstellbar, dass es neben dem Satanismus andere «religiöse» Gruppen geben soll, die rituelle Gewaltphantasien entwickeln und umsetzen. Es sind nicht einmal Sekten bekannt, die rituelle Gewalt anwenden.
Wie abstrus die Vorstellungen der genannten Fachleute teilweise sind, zeigt sich am «Verein für Opferschutz», den der Psychiater Jan Gysi initiiert hat. Der Verein will Fussfesseln anschaffen, um die angeblichen Opfer überwachen und bis zu den vermeintlichen Tatorten verfolgen zu können.
Gysi, der als Koryphäe bei den Verfechtern der rituellen Gewalt gilt, schreibt in einer Dokumentation zu den Fussfesseln: «Dadurch kann ein Opfer aktiv gesucht und geschützt werden, und/oder das Opfer wird für Täter nicht mehr interessant, resp. der Kontakt zum Opfer wird für Täter zu riskant.»
Das beweist, dass Gysi und andere Verfechter des rituellen Missbrauchs überzeugt sind, dass satanistische Gruppen auch heute noch gewalttätige Rituale durchführen. Da stellt sich die Frage, weshalb angebliche Opfer, die aktuell therapiert werden, nicht sofort darüber berichten können. Denn selbst bei schweren dissoziativen Identitätsstörungen sollte das Kurzzeitgedächtnis so weit funktionieren, dass die Betroffenen konkrete Angaben zu den Übergriffen machen könnten. Ausserdem müssten die gewaltsamen Rituale körperliche Spuren hinterlassen, die sich dokumentieren liessen.
Wie weit der Glaube an den Satanismus und an satanistische Rituale verbreitet sind, zeigte der Shitstorm, der sich über die beiden Filmemacher Robin Rehmann und Ilona Stämpfli in den sozialen Medien ergoss. Dabei spielen abstruse Verschwörungsideen eine grosse Rolle, die in den Corona-Zeiten ins Kraut geschossen sind.
In Krisenzeiten suchen viele Leute ein Gesicht für das Böse schlechthin, das sie für ihr Elend und Leid verantwortlich machen können. Da ist die Machtelite, die angeblich einen Pakt mit dem Satan eingeht, ein beliebtes Stereotyp.
Die «Fachleute», die von der Existenz gewalttätiger satanistischer Zirkel überzeugt sind, sollten in einer Selbstanalyse nach den Gründen für ihren Irrglauben suchen. Auch zum Wohl und Nutzen der angeblichen Opfer von ritueller Gewalt.