
Beschneidung auf den Philippinen ohne Betäubung.
Bild: Keystone
Sektenblog
02.07.2016, 08:1202.07.2016, 09:45

Folgen
Wir Menschen
haben die auffällige Begabung, uns selbst zu überschätzen. Wir glauben an
unsere Fähigkeit, vernünftig zu denken und zu handeln und schütteln gern den
Kopf über die anderen, die unverständliche Ideen verbreiten oder unvernünftig
reagieren.
In
Wirklichkeit deponieren wir unser Hirn nur allzu oft im Kühlschrank. Dies zeigt
sich vor allem beim Umgang mit Bräuchen, Traditionen, Glaubenssystemen oder
Dogmen. Wir übernehmen, was uns mit der Muttermilch eingegeben und als unumstössliche
gesellschaftliche Normen verkauft wurde.
Die
Beschneidung von Knaben ist ein solcher Brauch. Es ist nicht nur ein Brauch,
sondern auch eine Unsitte. Eigentlich ein Verbrechen.
Ein Tabuthema
Doch weil der unsinnige
Brauch oft auch eine religiöse Komponente hat, ist er ein Tabuthema. Deshalb wird
die Beschneidung selten hinterfragt und kritiklos akzeptiert.
Die
Knabenbeschneidung wurde schon im Altertum praktiziert und hatte rituellen
Charakter. Im Christentum geht sie auf Abraham zurück. Vom Urvater der
Buchreligionen etablierte sie sich im Christentum, Judentum und im Islam.
«Die Beschneidung ist eine Verletzung des Körpers der Kinder, die nicht wieder rückgängig gemacht werden kann.»
Christoph Kupferschmid, Arzt
Sie wird
aber in vielen Kulturen nicht nur aus religiösen Motiven angewandt, sondern oft
als Initiationsritual verankert. Das Christentum befreite sich von der Unsitte,
im Judentum und im Islam gehört sie immer noch zum Standardritual.
Ein Viertel bis ein Drittel der Männer sind beschnitten
Schätzungen
gehen davon aus, dass weltweit auch heute noch ein Viertel bis ein Drittel der
Knaben und Männer beschnitten sind.
Juden und
Muslime berufen sich bei der Beschneidung gern auf die Religionsfreiheit.
Nur:
Was zum Teufel hat die Beschneidung mit Religion zu tun? Kann ein Mann, der
nicht beschnitten ist, nicht richtig glauben? Gerade Gläubige müssten doch
einsehen, dass Gott die Knaben mitsamt diesem Körperteil nach seinem Ebenbild
geschaffen hat. Wieso soll dann diese Haut plötzlich überflüssig oder gar
«böse» sein?
Protest der Juden und Muslime
Als vor
einiger Zeit das Landgericht Köln die Beschneidung von Knaben als Straftat
bewertete, protestierten Juden und Muslime. Der Zentralrat der Juden sprach von
einem «unerhörten und unsensiblen Akt» und von «einem beispiellosen Eingriff in
das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften».

Beschneidung ist ein gewalttätiges, sehr schmerzhaftes Ritual. Bild: Keystone
Doch was ist mit dem
Selbstbestimmungsrecht der Knaben, die ungefragt beschnitten werden? Ähnliche
Töne gab der Zentralrat der Muslime von sich.
Dabei
übersehen die Juden und Muslime gern, dass die körperliche Unversehrtheit ein
zentraler Aspekt der Menschenrechte ist. Diese werden bei jeder Beschneidung
verletzt, zumal diese oft unter schlechten hygienischen Bedingungen und ohne Anästhesie durchgeführt werden.
Langsam regt sich allerdings Widerstand gegen die Beschneidung. Der Arzt Christoph Kupferschmid vom Berufsverband der
Kinder- und Jugendärzte in Deutschland fand beim «Welttag der genitalen
Autonomie» in Köln erfrischend klare Worte.
«Die Erwachsenen bestimmen das so, sie halten ihn fest, sie machen ihn willenlos, er muss es über sich ergehen lassen, er versteht es nicht, und es tut noch so lange so weh.»
Arzt Christoph Kupferschmid
Alle Kinder- und
Jugendärztlichen Fachgesellschaften würden die Beschneidung ablehnen, wenn
keine wichtigen medizinischen Gründe vorlägen, sagte er.
Wörtlich: «Die Beschneidung
ist eine Verletzung des Körpers der Kinder, die nicht wieder rückgängig
gemacht werden kann.»
Es bleibe nicht nur eine kleine Narbe zurück,
sondern den Knaben würde danach etwas fehlen. «Es fehlt Schutz, es fehlt die Empfindsamkeit
an seinem Penis.»
Verletzt werde aber auch die
Seele des Kindes, sagte Kupferschmid.
«An intimster, an sensibelster
Stelle werden ihm Schmerzen zugeführt, die über Tage anhalten. Die Erwachsenen
bestimmen das so, sie halten ihn fest, sie machen ihn willenlos, er muss es
über sich ergehen lassen, er versteht es nicht, und es tut noch so lange
so weh.»
Den Kollegen das Messer wegnehmen
Das Recht eines Kindes auf einen unversehrten
Körper zählt laut Kupferschmid mehr als das Recht der Eltern auf die Erziehung.
«Das Selbstbestimmungsrecht des Kindes steht bei uns weit höher als das
Bestimmungsrecht der Religionen.»
Kupferschmid ruft die Ärzte
auf, dafür zu sorgen, dass nicht weiter jedes Jahr zigtausende Knaben grundlos
verletzt werden. «Manchmal müssen wir den Kollegen in den Arm fallen und ihnen
das Messer wegnehmen.»
Es ist ermutigend, dass auch bei der Frage der Beschneidung von Knaben mutige
Menschen aufstehen, die das eingefrorene Hirn aus dem Kühlschrank holen.
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig:
Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem
Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.
Du kannst Hugo Stamm auf
Facebook und auf
Twitter folgen.
Das könnte dich auch interessieren:
Mekka Reloaded: Gott, Kommerz und Grössenwahn
1 / 11
Mekka Reloaded - Gott, Kommerz und Grössenwahn
quelle: ap / mosa'ab elshamy
Das könnte dich auch noch interessieren:
Gut 130’000 Kilometer weit tragen uns die Füsse im Laufe unseres Lebens. Trotzdem schenken wir ihrer Gesundheit meist recht wenig Beachtung. Ein Fehler, wenn man bedenkt, dass rund 60 Prozent der Erwachsenen an einer Fehlstellung der Füsse leiden – ich inbegriffen.
Ich war zweimal im Hochsommer hochschwanger. Meine geschwollenen Füsse passten da in so gut wie keine Schuhe mehr. Während nach der ersten Geburt schuhtechnisch alles relativ schnell zurück beim Alten war, passte ich noch Monate nach der zweiten Geburt nicht mehr in meine alte Schuhgrösse. Und ich tat es nie wieder. Seit dem zweiten Kind trage ich meine Schuhe eine Nummer grösser.