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Wieder hat der sogenannte «Islamische Staat» in Europa zugeschlagen, wieder bombte er dort, wo es so richtig wehtut: im Flughafen und in der U-Bahn. Dort, wo sich viele Menschen bewegen, wo es jeden treffen kann. Diesmal in Brüssel.
Das Ziel des «Islamischen Staats» ist klar: Er will Angst und Schrecken verbreiten, westliche Gesellschaften spalten und destabilisieren und rechtsradikalen Politikern Auftrieb geben.
Doch, wie können einzelne Menschen – Terroristen – nur so etwas tun? Wie können sie wahllos Menschen umbringen, dort, wo es jeden treffen kann? Wie können sie so brutal, hinterhältig, grausam sein? Wie können sie sich selber dafür opfern?
Der «IS» ist einerseits eine politische Terrororganisation mit religiösem Hintergrund – er funktioniert aber auch wie eine religiöse Sekte. Und das erlaubt ihm, Menschen zu brutalen Terroristen zu machen.
Die «IS»-Terroristen durchlaufen, wie Sektenanhänger, verschiedene Stufen der Radikalisierung – bis sie schliesslich fähig sind, das zu tun, was von ihnen verlangt wird:
Der «IS» mordet im Namen von Allah, das religiöse Motiv scheint aber nur vorgeschoben zu sein. Primär geht es ihm um politische Macht. Religiöse Attitüden kommen vor allem dann zum Vorschein, wenn der «IS» Sektenmethoden anwendet, um neue Soldaten und Selbstmordattentäter anzulocken und zu indoktrinieren.
Bei der Legitimation des Terrors leisten Allah, Mohamed und der Koran wertvolle Dienste. Erstaunlicherweise wirkt dies in erster Linie bei der Rekrutierung von «IS»-Kämpfern in westlichen Ländern. Also in jenen Gebieten, in denen die Säkularisierung rasch zunimmt.
Die «IS»-Schergen wissen, dass Konvertiten die radikalsten Muslime werden und sich bestens als Gotteskrieger oder Selbstmordattentäter eignen. Für Allah stirbt es sich besonders leicht.
Bei neu rekrutierten «IS»-Kämpfern aus islamischen Ländern spielen oft wirtschaftliche Aspekte die Hauptrolle. Diese junge Männer wollen primär der Armut und der Arbeitslosigkeit entrinnen und suchen einen aufregenden Job beim «IS», wie Untersuchungen zeigen. Es geht ihnen auch um einen Lebenssinn und um Identität.
Dabei ist der «IS» wie radikale Sekten autoritär strukturiert: Das Leben der Mitglieder wird den Zielen der Kultführer und ihrer religiösen oder ideologischen Dogmen untergeordnet.
Eigene Bedürfnisse der Mitglieder müssen unterdrückt werden, sie gelten als egoistisch und dekadent. Bedingungsloser Gehorsam wird belohnt und ist Ausdruck des perfekt verinnerlichten Glaubens oder der politischen Zielsetzungen.
Während die individuelle Identität der Mitglieder radikaler Sekten abgetötet wird, wird den Adepten eingeredet, sie würden zu einer auserwählten Elite gehören, die im Namen einer göttlichen Macht berufen sei, höhere Ziele umzusetzen und die Menschheit ins Heil zu führen. Dieses Phänomen ist bei radikalen Sekten ebenso zu finden wie bei totalitären politischen Bewegungen.
Dabei werden individuelle ethische und moralische Bedenken zerstreut und abgetötet. Die neue Richtschnur ist die höchste, meist göttliche Autorität, unabhängig davon, wie pervers oder krankhaft seine Anforderungen und Anordnungen sind.
Die Indoktrination führt zu einer Entmenschlichung des Individuums. Dieses vertraut in blindem Gehorsam nicht mehr seinen Gefühlen und Empfindungen, sondern den angeblich göttlichen Instanzen und ihren Stellvertretern.
Durch repressive Massnahmen und eine radikale Einbindung in die Gruppe erlangen sowohl die «IS»-Schergen als auch Sektenführer die Kontrolle über das Denken, Handeln und Fühlen ihrer Anhänger. Diese entwickeln ein krankhaftes Über-Ich und eine zweite, sektenhafte Identität. So werden sie zum beliebig manipulierbaren Werkzeug.
Dies zeigen die kollektiven Sektendramen ebenso wie die blindwütigen Selbstmordanschläge der politisch motivierten Terroristen. Jedes Einfühlungsvermögen wird abgewürgt, die Adepten werden emotionale Monster.
Anders ist nicht zu erklären, dass junge «IS»-Kämpfer, die wohlbehütet in der westlichen Zivilisation aufgewachsen sind, gefangene Gegner verstümmeln, ohne eine Regung zu zeigen.
Ähnlich verhielten sich die Mitglieder des esoterischen Ordens der Sonnentempler, die ihre skeptischen Mitglieder und ihre eigenen Kinder kaltblütig ermordeten, bevor sie in einem spirituellen Wahn Suizid begingen.
Das sektenhafte Verhalten der «IS»-Anhänger zeigt sich auch in den Wahrnehmungsverschiebungen und im Realitätsverlust. Sie glauben tatsächlich, als Märtyrer direkt ins Paradies zu wechseln und mit 72 Jungfrauen belohnt zu werden. Alle Ungläubigen werden als Unmenschen hingestellt, die kein Lebensrecht haben.
Dass dieses Weltbild fern jeder Logik, Vernunft oder eigener Lebenserfahrung ist, realisieren sie nicht mehr. So paradox es klingt, «Islamischer Staat» und religiös motivierte Sekten bieten eine verlockende Lebensperspektive: Geborgenheit in der Gruppe, klare Lebensstrukturen, Lebensinhalte, vermeintlich Sinn, ein spannendes, oft abenteuerliches Leben. Und vor allem viel Selbstwertgefühl.
Das ist vor allem bei vielen jungen Muslimen wichtig, die in islamischen und westlichen Ländern zur Unterschicht gehören und keine wirtschaftliche oder soziale Perspektive haben. Dieser Lockvogel ist aber eine Falle.
Das Engagement im «IS» und in vielen Sekten ist verbunden mit einer radikalen Isolierung vom angestammten Lebensumfeld und mit der Entfremdung von regulierenden sozialen Strukturen. Fern des vertrauten Umfelds, gefangen in einem Kriegsgebiet und umgeben von neuen Lebensumständen ist das neue Mitglied vollständig dem «IS» ausgeliefert.
Aus der gruppendynamischen Notwendigkeit heraus ist es gezwungen, Werte und Verhaltensweise seiner neuen «Familie» zu übernehmen. Das wird zur Überlebensstrategie. Wer rebelliert, wird sanktioniert oder gar ermordet. Deshalb sind «IS»-Kämpfer aus existentiellen Gründen gezwungen, sich anzupassen. Was zwangsläufig mit einer Selbstverleugnung verbunden ist. Dieses Phänomen ist oft das stärkste Mittel der Indoktrination.
Ein solcher Anpassungsdruck ist auch in religiösen Sekten zu beobachten. Allerdings sind die Repressionen weniger martialisch als beim «IS».
Mit der Hilfe der Isolation können die Führungsfiguren ein totalitäres Regime installieren und die Gehirnwäsche ungestört vollziehen. Dass die sektenhafte Indoktrination auch beim «IS» funktioniert, zeigt der Umstand, dass die Rekrutierten aus allen Weltgegenden kommen, unterschiedlich sozialisiert wurden, verschiedene religiöse Wurzeln haben und aus unterschiedlichen Milieus stammen.
Es gibt aus dem Westen stammende Konvertiten, die in einem atheistischen Elternhaus gelebt haben, akademisch gebildet und wohlhabend aufgewachsen sind. Sie treffen im «IS» aber auch auf Konvertiten, die zur Unterschicht gehören, unterprivilegiert sind und keine Berufsperspektive hatten. Das zeigt, dass es sehr vielseitige Motivationsmuster gibt.
Die Indoktrination im «IS» gelingt also bei allen Kandidaten, egal, welchen geistigen, religiösen und sozialen Hintergrund sie haben. Die Gehirnwäsche funktioniert universal, wenn sich die Interessenten auf eine Gruppe oder Bewegung einlassen, die ihre Anhänger gezielt in eine Scheinwelt locken und sie psychisch und geistig gezielt manipulieren. Weltanschauung oder Heilslehre sind dabei völlig unwichtig, ja austauschbar.
Zur Indoktrination gehört auch: Wer im Irak oder Syrien einem Feind den Kopf abgeschlagen hat und zum Mörder geworden ist, hat seine Seele der islamistischen Ideologie und dem Terror verkauft und hat keine Chance mehr, als zivilisiertes Wesen in seine Heimat zurückzukehren. Das vermeintliche Paradies wird die Hölle, aus der es kein entrinnen gibt.