Das Rätsel um den Katastrophenflug MH370 bleibt vorläufig ungelöst. Die Angehörigen müssen weiter ausharren. Wie auch alle Beobachter und unabhängigen Fachleute, die sich seit Jahren für eine Wiederaufnahme der Suche im Indischen Ozean eingesetzt haben.
Die Regierung von Malaysia muss sich derweil schwere Vorwürfe gefallen lassen. Hätten die Verantwortlichen Wort gehalten, könnte das Wrack der Boeing 777 der staatseigenen Airline bereits entdeckt worden sein. Und zwar von der Meeresrobotik-Firma Ocean Infinity, die mit hochmodernen Unterwasser-Drohnen arbeitet.
Doch die Hightech-Operation im südlichen Indischen Ozean wurde gestoppt, wie nach Monaten des Taktierens in dieser Woche zu erfahren war. watson hat sich auf die Suche nach Antworten gemacht.
Am 25. Februar deutete alles darauf hin, dass die MH370-Suche im südlichen Indischen Ozean wieder aufgenommen wird. Der australische Rundfunk berichtete, der malaysische Verkehrsminister Anthony Loke habe «die Eigeninitiative von Ocean Infinity» begrüsst, ihre Schiffe einzusetzen, um mit der Suche nach der seit März 2014 vermissten Maschine zu beginnen.
Einen Monat später die Ernüchterung.
Die maritime Hightech-Operation rund 1500 Kilometer vor der Küste Westaustraliens wurde augenscheinlich abgebrochen und wahrscheinlich für längere Zeit gestoppt. Dies legten die öffentlich einsehbaren Bewegungsdaten von Armada 7806 nahe.
Das Forschungsschiff von Ocean Infinity hatte bereits vor Tagen das Suchgebiet im südlichen Indischen Ozean verlassen – Richtung Heimathafen Singapur, statt den nächstgelegenen australischen Hafen (Fremantle) anzulaufen, um aufzutanken und Vorräte zu laden.
Bis zu einer neuen Suche dürfte es viele Monate dauern. Das ideale Zeitfenster für Tiefsee-Suchen im mutmasslichen Katastrophengebiet ist von Januar bis April.
Nun deutet vieles darauf hin, dass die malaysische Regierung den Vertragsabschluss so weit verzögert hat, dass dieses Zeitfenster 2025 nicht genutzt werden konnte. Oder gab es gute Gründe für die scheinbar unerklärliche Verzögerung? Und warum wurde seitens der Verantwortlichen während Wochen geschwiegen?
Wie zu erwarten schossen wegen der dürftigen Nachrichtenlage Gerüchte ins Kraut. Trittbrettfahrer, die mit ihren Verschwörungstheorien in früheren Jahren vom grossen öffentlichen Interesse profitiert hatten, meldeten sich zu Wort und gossen Öl ins Feuer. Einige spekulierten, MH370 sei entdeckt worden und die Verantwortlichen würden dies nun bewusst verschweigen.
Bislang ist nicht geklärt, ob das Forschungsschiff Armada 7806 von Ocean Infinity, das im letzten Monat im mutmasslichen Absturzgebiet unterwegs war, schon nach Trümmern am Meeresgrund gesucht hat.
Der unabhängige MH370-Experte Richard Godfrey geht davon aus, dass nur Vermessungen des stark zerklüfteten Bodens durchgeführt wurden. Die eigentliche Suche im neuen Suchgebiet habe nicht begonnen.
Das grundlegende Problem: Abgesehen von einzelnen privaten Kommunikationskanälen wurde offenbar eine Nachrichtensperre verhängt. Jedenfalls konnte Ocean Infinity auf wiederholte Anfragen von watson und weiteren Journalisten keine Auskünfte erteilen.
Eine Sprecherin sagte lediglich:
Dann sorgte am 26. März ein Social-Media-Posting für Aufsehen. Und zwar von Angehörigen, die die Facebook-Seite «MH370 Families» betreiben. Dort wurde ein Hinweis publiziert, dass Malaysia und Ocean Infinity den neuen Such-Vertrag unterzeichnet hätten.
Am 2. April folgte die Bestätigung durch den malaysischen Verkehrsminister Anthony Loke, der sich an einer Medienorientierung am Flughafen von Kuala Lumpur (zu einem anderen Thema) zu MH370 äusserte. Auf Anfrage einer Journalistin sagte der Politiker: «Ja, die Vereinbarung wurde letzte Woche unterzeichnet.»
Die aktuelle Jahreszeit sei allerdings für die MH370-Suche «nicht geeignet» und «die Arbeiten» würden deshalb erst «Ende des Jahres» wieder aufgenommen.
Am 3. April griffen internationale Medien den angeblichen Stopp der MH370-Suche auf. Unter anderem bezog sich die Nachrichtenagentur AFP auf eine Audio-Aufnahme des malaysischen Verkehrsministers.
Warum Ocean Infiny weiter schweigt, ist nicht bekannt. Darf sich die Firma, die privaten Investoren gehört, nicht mehr öffentlich äussern, weil die Regierung Malaysias die ganze Kommunikation an sich gezogen hat?
Letztlich geht es um sehr viel Geld. Nur wenn Ocean Infinity mit Malaysia kooperiert, können die Verantwortlichen damit rechnen, nach dem Finden des Wracks die vereinbarten 70 Millionen Dollar zu erhalten.
Die mangelnde Kommunikation und fehlende Transparenz tragen allerdings nicht dazu bei, das Vertrauen in die beiden zentralen Akteure zu stärken.
Das ist nicht öffentlich bekannt.
Sicher ist: Ocean Infinity hatte sich schon 2024 bereit erklärt, die Kosten der aufwendigen Tiefsee-Suche mit eigenen Mitteln zu stemmen. Erst im Erfolgsfall, also wenn das Flugzeug, respektive wichtige Teile, tatsächlich identifiziert werden können, müsste Malaysia tief in die Tasche greifen und dem Unternehmen im Rahmen eines sogenannten «No Find, No Fee»-Vertrages 70 Millionen US-Dollar zahlen. Weitere wichtige vertragliche Details sind allerdings nicht bekannt (dazu unten mehr).
watson berichtete im Februar dieses Jahres über die fragwürdige Rolle, die die malaysische Staatsführung bislang spielte (es gab seit 2014 mehrere Regierungswechsel). Nach Bekanntwerden des Verschwindens von MH370 häuften sich die Verdachtsmomente, wonach wichtige Akteure eine lückenlose Aufklärung hintertreiben (siehe Chronologie, weiter unten).
Nun scheint sich die Befürchtung zu bestätigen, dass die malaysische Regierung auf Zeit gespielt hat. Und dies, obwohl die malaysischen Steuerzahler, respektive die Staatskasse, bei der neuen Suche nach dem Wrack keinerlei finanzielles Risiko zu tragen haben.
Ob das neuerliche Zögen der Malaysier mit der wahrscheinlichen Absturzursache zu tun hat? Das Ende von MH370 dürfte wie der Germanwings-Absturz im März 2015 auf einen sogenannten Pilotensuizid – auf Englisch «Murder Suicide» – zurückzuführen sein. Auf ein solches Verbrechen deuten wichtige Indizien hin.
Sicher ist: Die malaysische Regierung hat nie öffentlich eingeräumt, dass vermutlich der erfahrene Pilot der staatseigenen Fluggesellschaft, Zaharie Ahmad Shah, Passagiere und Crew mit in den Tod gerissen hat.
Ausserdem sahen sich die malaysischen Behörden bereits in den ersten Wochen nach dem Verschwinden mit massiver öffentlicher Kritik konfrontiert. Es wurden technische Pannen und Versäumnisse publik. Die Zuständigen versuchten Missstände zu beschönigen, und selbst der später veröffentlichte offizielle Flugunfall-Untersuchungsbericht liess wichtige Fragen offen.
Der Inder K. S. Narendran, dessen Frau an Bord von MH370 war, schreibt in seinem Blog:
Weil die malaysische Regierung und Ocean Infinity nicht auf konkrete Fragen reagierten, stehen folgende Fragen zur neuen Suche im Indischen Ozean im Raum:
Godfrey, der mit Mitstreitern eine neuartige Flugzeug-Ortungs-Technologie namens WSPR entwickelt hat, hielt in seinem Blog zur MH370-Suche fest, dass auch noch andere Unternehmen interessiert und in der Lage wären, eine entsprechende Operation durchzuführen.
Sicher ist: Das Rätsel um MH370 und die 239 Menschen an Bord bleibt bis auf Weiteres ungelöst.
Im Folgenden fassen wir die wichtigsten Punkte in chronologischer Reihenfolge zusammen.
MH370 verschwindet am 8. März 2014 während eines Nachtflugs mit 227 Passagieren und 12 Besatzungsmitgliedern an Bord. Die Boeing 777 von Malaysia Airlines ist auf dem Weg von Kuala Lumpur nach Peking.
Zunächst wird fälschlicherweise im südchinesischen Meer gesucht, bis sich bestätigt, dass die Maschine nicht nach Norden, sondern in die entgegengesetzte Richtung flog, auf den südlichen Indischen Ozean hinaus, bis nach siebenstündigem Flug der Treibstoff ausging.
Den malaysischen Behörden und dem Militär werden zahlreiche Versäumnisse und Schlampereien bei der Bewältigung der Flugkatastrophe vorgeworfen.
Öffentlich spricht die malaysische Regierung nicht über den Verdacht, dass mutmasslich der Pilot den Absturz der Verkehrsmaschine herbeigeführt hat. Wie der frühere australische Premierminister später verriet, wurde dieses Szenario insgeheim als realistisch erachtet.
2015 und 2016 werden Trümmerteile der vermissten Maschine an der afrikanischen Küste und davor liegenden Inselgruppen angespült. Wissenschaftler können anhand der Meeresströmungen den ungefähren Absturzort im südlichen Indischen Ozean bestimmen. Von der Firma Inmarsat gespeicherte Satelliten-Kommunikationsdaten weisen ebenfalls auf das gleiche Gebiet hin.
Im Januar 2017 wird die von Australien geleitete Unterwassersuche im südlichen Indischen Ozean eingestellt, nachdem ein 120'000 Quadratkilometer grosses Gebiet abgesucht worden war. Die Regierungen Malaysias, Australiens und der Volksrepublik China verkünden gemeinsam die Aussetzung der Suchbemühungen, bis weitere glaubwürdige Beweise vorliegen würden, die den Standort des Flugzeugs identifizieren könnten.
Im August 2017 bietet das auf Tiefseeforschung spezialisiert Unternehmen Ocean Infinity der malaysischen Regierung an, nach dem Wrack von MH370 zu suchen und nur im Erfolgsfall eine Prämie zu erhalten.
2018 startet Ocean Infinity mit einem gecharterten Forschungsschiff die Suche im südlichen Indischen Ozean, beschränkt sich aber gemäss der Einschätzungen unabhängiger Fachleute auf das falsche Gebiet. Schon damals hat Malaysia beim Vorhaben das Sagen. Ausserdem sind die technischen Möglichkeiten für die Unterwasser-Suche in mehreren tausend Metern Tiefe beschränkt.
Am 8. März 2024, dem 10. Jahrestag des Verschwindens von MH370, lässt der malaysische Verkehrsminister Anthony Loke die Angehörigen der MH370-Opfer wissen, dass die malaysische Regierung gewillt sei, einer neuen Tiefsee-Suche von Ocean Infinity zuzustimmen. Die Meeresrobotik-Firma verfügt inzwischen über modernere Forschungsschiffe und Unterwasser-Drohnen.
Im Mai 2024 stellt Ocean Infinity einen auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden Vorschlag für eine Suche mit unbemannten Unterwasser-Fahrzeugen, AUV genannt, dem malaysischen Verkehrsminister und weiteren hochrangigen Regierungsbeamten vor. Das neue Suchgebiet grenzt an das bisherige an.
Am 20. Dezember 2024 lässt Anthony Loke verlauten, dass die malaysische Regierung dem Vorschlag von Ocean Infinity grundsätzlich zugestimmt habe. Dieser sei «solide» und verdiene es, berücksichtigt zu werden. Die vertraglichen Details werden jedoch geheim gehalten. Und die Vertragsunterzeichnung, die laut Verkehrsminister «bis Anfang 2025» über die Bühne gehen soll, verzögert sich aus unbekannten Gründen.
Im Februar 2025 schickt Ocean Infinity sein Forschungsschiff Armada 7806 auf eigene Faust in das designierte Suchgebiet im Indischen Ozean, ohne unterzeichneten Vertrag mit der malaysischen Regierung.
Am 19. März 2025 gibt die malaysische Regierung per Medienmitteilung ihre endgültige Zustimmung zur vertraglichen Vereinbarung mit Ocean Infinity für die Suche nach dem MH370-Wrack bekannt. Alle wichtigen Details werden unter Verschluss gehalten. Über die formelle Vertragsunterzeichnung ist nichts bekannt.
Am 26. März wird auf der Facebook-Seite von MH370-Angehörigen ein Posting veröffentlicht, wonach Malaysia und Ocean Infinity einen neuen «Such-Vertrag» unterzeichnet hätten. Beide Akteure schweigen. Laut Richard Godfrey wurden die Angehörigen durch die malaysischen Behörden informiert, dass es dieses Mal keine feierliche Unterzeichnungszeremonie geben werde.
Am 28. März verlässt das Forschungsschiff Armada 7806 von Ocean Infinity das MH370-Suchgebiet und fährt Richtung Heimathafen Singapur.
Am 2. April sagt der malaysische Verkehrsminister öffentlich, es sei eine Vereinbarung («Agreement») unterzeichnet worden. Aber die Arbeiten würden wegen der saisonalen Wetter-Bedingungen im südlichen Indischen Ozean erst Ende Jahr «wieder aufgenommen».
Schlussendlich geht's wie immer nur ums Geld...