«Es wird gerade viel Stimmung gegen die E-Mobilität gemacht», sagte VW-Markenchef Thomas Schäfer jüngst im Interview mit der Autogazette. Und das ist noch eine Untertreibung. Denn die Rede ist nicht von den Diesel Dieters, die ihr bereits vor fünf Jahren veraltetes «Wissen» über E-Autos auf Facebook oder am Stammtisch zum Besten geben.
Bar jeder Vernunft veröffentlichen selbst Qualitätsmedien Abgesänge auf das E-Auto, während radikale Klimaaktivisten gegen die Elektromobilität hetzen und so der Fossil-Lobby direkt in die Hände spielen.
Diese hofft auf einen Rechtsruck bei den Europawahlen diese Woche, um das von der EU ab 2035 beschlossene Verbrenner-Aus für Neuwagen weiter zu verwässern. In diesem Klima der Unbelehrbarkeit gehen CDU und FDP seit Monaten mit Kampfparolen gegen das «Verbrenner-Verbot» auf Stimmenfang.
Das sei gewiss «nicht hilfreich» bei der Transformation der Autobranche hin zum umweltfreundlicheren E-Antrieb, kritisiert Schäfer den öffentlichen und politischen Diskurs.
Schäfer hält überhaupt nichts von politischen Manövern, das Verbrenner-Aus in der EU zu kippen: «Solche Forderungen springen zu kurz. Die Autoindustrie ist eine langfristig investierende Industrie.» VW habe sich «als eines der ersten grossen Unternehmen zum Pariser Klimaschutzabkommen bekannt und hoch investiert». Man habe das Modellportfolio auf die E-Mobilität ausgerichtet, transformiere die Verbrenner-Werke zu E-Auto-Fabriken und investiere massiv in die Batterietechnologie.
BMW-Chef Oliver Zipse bezeichnete das für 2035 beschlossene Verbrenner-Aus für Neuwagen in der EU als «naiv». Es mache die europäische Autoindustrie erpressbar. «Jeder internationale Wettbewerber, jeder Lieferant weiss: Die sind abhängig von einer einzigen Technologie. Damit hebeln sie Marktmechanismen aus und machen zum Beispiel die dafür benötigten Rohstoffe deutlich teurer.»
Schäfer sieht dies anders:
Es gibt auch in den USA Bundesstaaten, die eigene Gesetze zum Verbrenner-Ende festlegen wollen. Gleichzeitig bestehen Befürchtungen, ein Wahlsieg Donald Trumps könnte die Transformation zur E-Mobilität um Jahre zurückwerfen.
Alternativen mit schlechterer Energiebilanz wie synthetische Kraftstoffe (E-Fuel) seien nur dort sinnvoll, wo nicht elektrifiziert werden könne, sagt Schäfer, «etwa in der Luftfahrt oder für den Schiffsverkehr» sowie bei der Bestandsflotte. Doch wenn es um Personenwagen im Volumensegment geht, «führt kein Weg am batterie-elektrischen Fahren vorbei». Das sieht auch die Wissenschaft seit Jahren so.
Die primär in China und den USA boomenden Plug-in-Hybrid-Autos mit Verbrennungs- und Elektromotor sieht er lediglich als «Übergangstechnologie», die sich langfristig nicht durchsetzen werde, «weil es eine teure Technologie ist».
Tatsächlich drehte VW nach dem Dieselskandal 2015 seine Strategie zwangsläufig um 180 Grad und setzte konsequenter als andere grosse Autokonzerne auf die E-Mobilität. Elektro-Turbo und Elon-Musk-Fan Herbert Diess übernahm nach dem Abgasskandal das Ruder und schwor den Diesel-Konzern gegen alle internen Widerstände auf das E-Auto ein. 2023 verkauften nur Tesla und BYD aus China mehr E-Autos als VW.
Fast alle grossen Rivalen, ob sie Toyota, Hyundai-Kia oder BMW heissen, fahren derweil eine mehrgleisige Strategie. Sie favorisieren Hybrid-Autos mit Verbrennungsmotor, die weiterhin viel stärker als reine E-Autos nachgefragt werden. Autobauer wie Toyota, die von Anfang an auf den Hybrid-Antrieb setzten, nun Rekordgewinne einfahren und deshalb die E-Auto-Wende möglichst lange hinauszögern, würden besonders von einer Aufweichung des Verbrenner-Aus für Neuwagen profitieren.
Auch VW hat auf den Hybrid-Trend reagiert und bietet die Neuauflagen von Golf, Passat und Tiguan wahlweise als Plug-in-Hybrid an. «Die Transformation des Portfolios in Richtung ‹E› wird sich dadurch aber nicht ändern», so Schäfer. «Bis 2027 bringen wir als Marke VW in Summe 11 neue E-Modelle auf den Markt.»
Wasser auf die Mühlen der E-Auto-Skeptiker ist das verlangsamte Wachstum bei der E-Mobilität. Während Hybrid-Autos weltweit schnell Marktanteile gewinnen und nun in der Schweiz auf 40 Prozent kommen, gingen bei uns die Neuzulassungen von Elektroautos (17,4 Prozent) im laufenden Jahr zurück. Per Ende Mai lagen sie gut 4 Prozent tiefer als noch vor einem Jahr.
«Zwischentiefs» seien im Hochlauf einer neuen Technologie «nicht aussergewöhnlich», kontert Schäfer, der sich selbst als «grosser Elektrofan» bezeichnet.
Die Elektromobilität sieht er angesichts der bereits wieder steigenden Auftragseingänge nicht in einer Krise. Im ersten Quartal 2024 stiegen die Auftragseingänge in Westeuropa beim VW-Konzern um 154 Prozent auf rund 160'000 Elektroautos.
Anders als andere Autobauer wolle man daher die gesteckten Ziele für Elektroautos beibehalten: Demnach sollen bei der Kernmarke VW ab 2030 mindestens 70 Prozent des Absatzes in Europa reine Elektroautos sein, in den USA und China mehr als 50 Prozent.
Hierzu hat VW vom Kompaktwagen in Golf-Grösse über SUV, Limousine und Kombi bis zum elektrischen Mini-Bus den Grossteil der Modellpalette elektrifiziert. Eine Lücke klafft im Kleinwagensegment, die erst 2026 geschlossen wird. Und bis dahin oder bis Diesel Dieter selbst einmal ein E-Auto probegefahren hat, wird auch weiter Stimmung gegen die Elektromobilität gemacht.
Immer, wenn ich mir denke, dass deutsche Politik lächerlich ist, schaue ich nach Österreich, dann geht's eigentlich wieder. https://t.co/VfWuglE9uX
— Robin Engelhardt (@Elektro_Robin) April 30, 2024