Covid-19 ist nicht besiegt, doch die Bedrohungslage hat sich deutlich verbessert, so dass zahlreiche Länder Europas ihre Grenzen wieder öffnen. In der Eindämmungsphase sollen die nationalen Corona-Warn-Apps helfen, unbemerkte Infektionen zu verhindern und Ausbrüche zu bekämpfen.
Die Schweiz und ihre Nachbarn haben Apps entwickeln lassen für die eigene Bevölkerung, oder – genauer –, für die Bürgerinnen und Bürger mit neueren Smartphones. Eine grenzübergreifende Lösung lässt noch auf sich warten, ist aber in Vorbereitung, wie die EU am Dienstag verlauten liess.
In diesem Beitrag vergleichen wir die Situation in der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich im Hinblick auf die Verfügbarkeit der Corona-Warn-Apps. Nach dem Länder-Überblick gehen wir den wichtigsten Fragen nach, die sich für Grenzgänger und Touristen stellen. Denn wie die Rückmeldungen bei Twitter und Co. zeigen, ist vieles unklar.
Wichtig: Proximity-Tracing-Apps ersetzen keine anderen Massnahmen zur Covid-19-Bekämpfung, wie etwa das Einhalten von Sicherheitsabständen, Händewaschen und Schutzmasken-Tragen. Die Apps sind eine Ergänzung zum klassischen Contact Tracing per Telefon, das von den Gesundheitsbehörden organisiert und betrieben wird.
Die offizielle Lancierung der Schweizer Corona-Warn-App steht bevor, nachdem die Pilotphase am 8. Juni angelaufen ist und IT-Sicherheitsexperten beim Public Security Test bislang keine gravierenden Probleme entdeckt haben.
Im Gegensatz zu allen Nachbarländern entscheidet das eidgenössische Parlament über die rechtlichen Rahmenbedingungen und hat sich für ein explizites Diskriminierungs-Verbot ausgesprochen. Am 18. Juni findet in Bern die Schlussabstimmung von Nationalrat und Ständerat statt, so dass SwissCovid frühestens am 19. Juni landesweit starten könnte.
Die SwissCovid-App wird vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgeben. Die für iPhones und Android-Smartphones in einer Testversion verfügbare App verwendet die Apple-Google-Schnittstelle (Exposure Notification Framework) für Distanzschätzungen mit Bluetooth Low Energy (BLE).
Die Preview-Version fürs iPhone und Android ist nur in den Schweizer App-Stores von Apple und Google verfügbar. Dass diese Ländersperre («Region Lock») mit der offiziellen Lancierung der App beseitigt wird, ist zu bezweifeln
Beim iPhone muss auf die System-Software iOS 13.5 aktualisiert werden (ab iPhone 6S, 2015), damit sich die App installieren lässt. Auf Android-Geräten wird die Apple-Google-Schnittstelle hingegen automatisch im Hintergrund installiert. Es wird mindestens Android 6 (Marshmallow, 2015) benötigt.
Es ist nicht bekannt, ob die SwissCovid-Entwickler an der Implementierung von Huaweis «Contact Shield»-Schnittstelle arbeiten, eine entsprechende Anfrage von watson an die Entwickler blieb bislang unbeantwortet. Bei Contact Shield handelt sich um das Pendant zur Apple-Google-Schnittstelle, eine in die Huawei-Systemdienste (Huawei Mobile Services) integrierte Schnittstelle. Sie soll neuere Smartphone-Modelle des chinesischen Konzerns, die wegen des US-Banns ohne Google Play Services auskommen müssen, kompatibel machen mit anderen dezentralen Tracing-Protokollen.
Was die Interoperabilität betrifft, gemeint ist die grenzübergreifende Funktionsweise, laufen technische Abklärungen und Verhandlungen auf politischer Ebene, wie das BAG bestätigt hat. Insbesondere mit Deutschland und Österreich gibt es Anstrengungen, wie watson-Recherchen zeigen.
Zum Mindestalter teilte das BAG watson mit:
Die vom Robert Koch-Institut herausgegebene Corona-Warn-App ist am 16. Juni im deutschen App Store und dem Google Play Store veröffentlicht worden. Sie basiert auf dem dezentralen Tracing-Ansatz von DP-3T und verwendet die Apple-Google-Schnittstelle für effiziente und zuverlässige Distanzschätzungen über Bluetooth Low Energy (BLE).
Die deutsche Regierung setzt auf eine breite freiwillige Nutzung der neuen Warn-App gegen das Coronavirus. «Sie herunterzuladen und zu nutzen ist ein kleiner Schritt für jeden von uns, aber ein grosser Schritt für die Pandemiebekämpfung», sagte Kanzleramtschef Helge Braun zum Start der neuen Anwendung am Dienstag in Berlin.
Interessantes Detail: Die deutsche App unterscheidet sich bezüglich Verifizierung von Covid-19-Tests von der Schweizer App. Während bei SwissCovid das Spital, respektive der kantonsärztliche Dienst einen Zahlencode ausgibt, können Nutzer der deutschen Corona-Warn-App nach Vorliegen eines positiven Testergebnisses einen QR-Code scannen, den sie zuvor vom Testlabor erhalten haben. Alternativ kann man einen Code eingeben, den man von einer Telefon-Hotline bekommt, da nicht alle Labore QR-Codes generieren können. Wie in der Schweiz ist in Deutschland Covid-19 meldepflichtig. Das heisst, die Testergebnisse landen auf jeden Fall beim Staat.
Am Beispiel der deutschen Corona-Warn-App lässt sich auch gut eine spezielle Situation im Ausland aufzeigen: Wenn sehr viele Landsleute am gleichen Ort auf Mallorca Ferien machen, kann die deutsche Warn-App auch dort etwas bringen.
Die deutsche Corona-Warn-App dürfte in Zukunft aber auch mit der Schweizer SwissCovid-App harmonieren und Daten austauschen – wie aktuelle EU-Pläne zeigen.
Zeitgleich mit der offiziellen Lancierung der deutschen App hat die EU-Kommission am Dienstag ein Konzept für die Interoperabilität nationaler Apps vorgestellt. Erklärtes Ziel ist der grenzübergreifende Datenaustausch von dezentralen Systemen, so dass reisende Bürger im besten Fall keine zweite App installieren müssen. Geplant ist eine gemeinsame Server-Infrastruktur der EU-Staaten: Ein «Federation Gateway Service» soll den sicheren Datenaustausch gewährleisten.
Erste Tests der gemeinsamen Infrastruktur sollen «sobald als möglich» stattfinden, schreibt netzpolitik.org. Einen Pilotversuch solle es mit Deutschland, den Niederlanden, Polen und Irland geben, sagte ein Sprecher der EU-Kommission.
Aussen vor bleibt allerdings Frankreich...
Die französische «StopCovid»-App ist seit der Veröffentlichung am 2. Juni für Smartphone-Nutzer in Frankreich und anderen Ländern erhältlich. Eine Kompatibilität zu Tracing-Systemen anderer Länder dürfte kaum zu realisieren sein.
Frankreich bleibe bei der geplanten grenzüberschreitenden App-Nutzung aussen vor, konstatiert netzpolitik.org. Die gemeinsame Infrastruktur der EU-Staaten funktioniere erstmal nur für dezentrale Apps, wie die EU-Kommission betonte. Dies bedeutet aus Schweizer Perspektive, dass SwissCovid auf absehbare Zeit nicht in Frankreich funktionieren wird.
Grund ist der Datenhunger der französischen Gesundheitsbehörden: Sie wollen Infektions-Daten aus epidemiologischen Gründen auf einem Server auswerten. Dieses zentralisierte Tracing-System gilt bezüglich Datenschutz als nicht kompatibel mit den dezentralen Systemen der Nachbarn.
Weil die französische App im Gegensatz zu den Apps der Nachbarländer Deutschland, Frankreich und Schweiz auf einem zentralisierten Tracing-System basiert, kann sie nicht die Apple-Google-Schnittstelle nutzen, die es für eine effiziente und zuverlässige Bluetooth-Distanzabschätzung zwischen iPhones und Android-Smartphones braucht.
Datenschutz-Bedenken und die eingeschränkte Funktionsweise sind der Akzeptanz in der Bevölkerung abträglich. Trotzdem erklomm StopCovid did Download-Charts.
Die italienische Warn-App «Immuni» ist seit dem 1. Juni im App Store von Apple und im Google Play Store verfügbar. Schnittstellen zu Tracing-Systemen anderer Länder sind laut aktuellen Medienberichten derzeit nicht geplant.
Seit Montag, 15. Juni, ist das italienische Tracing-System in allen 20 Regionen aktiv. Zuvor lief seit dem 8. Juni die Pilotphase in Apulien, den Abruzzen, Ligurien und Marken.
Die Immuni-App sollte in Zukunft mit dem Schweizer Tracing-System kompatibel sein – und umgekehrt. So dass Reisende in die beiden Länder keine zweite App installieren müssen, um sich vor möglichen Infektionen warnen zu lassen.
Das italienische Gesundheitsministerium hat das Mindestalter für die Nutzung der App auf 14 Jahre festgelegt. Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren müssten das Einverständnis eines Elternteiles einholen, um die App zu nutzen.
Laut Immuni-Website arbeiten die Entwickler daran, die App «so schnell wie möglich» kompatibel zu machen mit neueren Smartphone-Modellen von Huawei, die wegen des US-Banns ohne Google Play Dienste auskommen müssen. Dies gilt unter anderem für die Android-Smartphones Huawei Mate 30 und Huawei P40 sowie das faltbare Huawei Mate X.
Österreich war dank der Initiative der Hilfsorganisation Rotes Kreuz ein Pionierland beim digitalen Contact Tracing. Als erstes Land in Westeuropa hat man schon Ende März eine Bluetooth-basierte Proximity-Tracing-App lanciert. Allerdings hielt sich der Erfolg in Grenzen. Bei insgesamt rund 8,9 Millionen Einwohnern gib es bislang knapp 640'000 Nutzer. Zur Wirksamkeit der App, die auf der Proximity-Technologie p2pkit.io der Schweizer IT-Firma Uepaa basiert, ist wenig bekannt.
Es sei gelungen, innerhalb kürzester Zeit ein digitales Gegenmittel zu schaffen, teilt das Österreichische Rote Kreuz watson mit. «Die Stopp-Corona-App wurde laufend weiterentwickelt, auf das Ergebnis können wir stolz sein».
Schon länger ist bekannt, dass auch Österreich auf die Apple-Google-Schnittstelle umstellen will. Die Implementierung der Schnittstelle erfolge «im Laufe dieser Woche».
Aus Schweizer Sicht gibt es ebenfalls Good News. Vera Mair, zuständig für Medienarbeit, schreibt uns:
Mittelfristig will Österreich über die europäische Infrastruktur den grenzübergreifenden Datenaustausch sichern. Vorläufig bleibt dies allerdings noch Zukunftmusik.
Die parallele Nutzung mehrerer Corona-Warn-Apps, die auf einem dezentralen Tracing-System basieren, ist nicht möglich. Dies lässt die Apple-Google-Schnittstelle nicht zu.
Wer beispielsweise in Italien wohnt und in der Schweiz arbeitet, steht derzeit vor einem Dilemma: Zwar lassen sich die Immuni-App sowie die SwissCovid-App auf dem iPhone oder Android-Smartphone installieren. Allerdings ist die gleichzeitige Nutzung der beiden Tracing-Systeme gar nicht möglich – und auch nicht sinnvoll, wie wir gleich sehen.
Apple und Google geben auf Ebene der Betriebssysteme iOS und Android vor, dass nur eine Tracing-App aktiv sein kann, so dass man sich bei jedem Grenzübertritt im Prinzip veranlasst sieht, die jeweilige nationale Warn-App zu aktivieren. Doch ist dies nur bei längeren Aufenthalten zu empfehlen.
Stetiges Wechseln zwischen den nationalen Apps ist aber gemäss IT-Experte Mathias Wellig nicht zu empfehlen. Der mit der Entwicklung der SwissCovid-App betraute Schweizer ist Geschäftsführer der Firma Ubique, die vom Bund den Zuschlag erhalten hat für die Entwicklung der Schweizer Corona-Warn-App. Wellig rät Nutzern aus technischen Gründen, sich im Alltag auf eine App festzulegen. Sonst könnte es zu Unregelmässigkeiten kommen, weil das Zusammenspiel der nationalen Apps nicht ausgiebig getestet wurde. Bei häufigem Wechseln seien Fehlfunktionen nicht auszuschliessen.
Wer mehrere nationale Warn-Apps auf dem Mobilgerät installiert, muss sich zudem mit nervigen System-Benachrichtigungen beschäftigen. So fordert etwa die deaktivierte Immuni-App regelmässig dazu auf, sie wieder zu verwenden.
Österreich und Deutschland und die Schweiz haben für ihre Tracing-Apps zudem in den App-Stores einen «Region Lock» verfügt. Das heisst, SwissCovid ist nur im Schweizer App Store verfügbar und wird anderen Usern nicht angezeigt. Das Gleiche gilt für «Stopp Corona» und die «Corona-Warn-App».
iPhone-Nutzer könnten zwar in den Geräte-Einstellungen das Land wechseln, dies erforderte allerdings, dass vorher die mit der eigenen Apple-ID verknüpften kostenpflichtigen Abonnements (wie etwa Apple Music) gekündigt werden.
Ja, das ist möglich, aber in der Regel nicht sinnvoll, abgesehen von längeren Auslandaufenthalten. Die italienische Immuni-App und die französische StopCovid-App sind international verfügbar, können also auch von Smartphone-Nutzern aus anderen Regionen installiert werden. SwissCovid, die deutsche Corona-Warn-App und die österreichische «Stopp Corona»-App sind bislang nur über die App-Stores der jeweiligen Länder verfügbar, sie haben einen «Region Lock».
Siehe oben: Was sollen Grenzgänger tun?
Die Schweiz, Deutschland, Italien und Österreich setzen mit ihren dezentralen Tracing-Systemen auf eine lokale Datenspeicherung und lokale Datenverarbeitung (auf den Smartphones selbst). Der von den Gesundheitsbehörden kontrollierte Server übermitteln keine sensitiven Daten.
Dies bietet mehrere Vorteile:
Es gibt mehrere Probleme, bezüglich:
Auch die französische App speichert die Kontakt-Daten auf den Mobilgeräten selbst, für die Risikobewertung werden sie jedoch (im Infektionsfall) auf einem Server verarbeitet.
Beim zentralisierten Modell werden Informationen über Bluetooth-Kontakte zwischen den Geräten erst dann hochgeladen, wenn die Nutzer freiwillig oder auf Anfrage der Gesundheitsbehörden melden, dass sie unter Symptomen leiden.
Solche einvernehmlichen Uploads verringern laut Amnesty International «zumindest das Risiko einer Massenüberwachung, da die Daten nicht automatisch hochgeladen werden».
Das zentralisierte Modell der französischen App zur Kontaktverfolgung werfe allerdings in Verbindung mit der mangelnden Transparenz darüber, wie die Daten gespeichert werden, die Frage auf, ob es möglich wäre, die Anonymisierung der Nutzerdaten im Nachhinein aufzuheben.
Wie immer bei Software gilt in Erinnerung zu rufen, dass es keine 100-prozentige Sicherheit gibt.
Zwar preist die deutsche Regierung ihre mit Verspätung lancierte Corona-Warn-App als weltweit beste an und betont, die Bürger könnten sich auf hohe Standards bei Datenschutz und Datensicherheit verlassen. Am ausgiebigsten und längsten getestet wurde bislang aber die SwissCovid-App.
Der Public Security Test hat keine gravierenden Schwachstellen oder Sicherheitslücken ergeben. IT-Fachleute des Bundes stellen dem Tracing-System sehr gute Noten aus.
Die Nutzung aller Corona-Warn-Apps erfolgt grundsätzlich freiwillig. Theoretisch darf niemand dazu gezwungen werden.
Einen speziell für die App formulierten rechtlichen Rahmen dürfte nur die Schweiz bekommen. Die deutsche Bundesjustizministerin hatte Datenschutz-Bedenken zurückgewiesen und gesagt, es brauche kein spezielles App-Gesetz.
Im Gegensatz dazu gibts für SwissCovid ein explizit formuliertes Diskriminierungsverbot – wenn das Parlament in der Schlussabstimmung am Freitag grünes Licht gibt.
Mit Material der Nachrichtenagentur SDA