Dieser Beitrag geht der Frage nach, wie weit die Schweizer Nachbarländer sind mit ihren Corona-Warn-Apps. Wegen des Tourismus und der Grenzgänger wäre wichtig, dass das digitale Contact Tracing, auch Proximity Tracing genannt, länderübergreifend funktioniert.
Entscheidend bei den nationalen Apps ist das Vertrauen der Bevölkerung: Nur wenn die Technik von vielen Bürgerinnen und Bürgern freiwillig genutzt wird, könnte dies einen spürbaren Effekt auf die Corona-Pandemie haben.
Zur Erklärung:
Ein grünes Häkchen bei «Diskriminierungs-Verbot» bedeutet, dass die Politik die rechtlichen Rahmenbedingungen definiert, um auch einen indirekten App-Zwang zu verhindern.
Das rote Kreuzchen beim Punkt «Parlaments-Beschluss» bedeutet, dass das Parlament als Gesetzgeber bislang nicht über den App-Einsatz befunden hat. In der Schweiz muss der Bundesrat ein sogenanntes dringliches Bundesgesetz vorlegen. Dieses neue Gesetz soll unter anderem gewährleisten, dass niemand wegen der App diskriminiert wird.
Ein grünes Häkchen bei «Apple-Google-API» signalisiert, dass das Proximity-Tracing auf iPhones und Android-Geräten über die von Apple und Google entwickelten Schnittstellen möglich ist. Die Software soll «Mitte Mai» verfügbar sein.
Das grüne Häkchen bei «Europa-tauglich» bedeutet, dass die Corona-Warn-App kompatibel ist mit anderen nationalen Apps, die ebenfalls dezentralisiert funktionieren (und die sensitiven Daten auf den Smartphones speichern).
Vorläufiges Fazit zur Schweiz:
Laut Bundesrat ist die App-Lancierung für die breite Bevölkerung frühestens Ende Juni möglich, und nur wenn das Parlament in seiner Sommersession (2. bis 19. Juni) das geplante dringliche Bundesgesetz bewilligt. Zur heute Mittwoch beginnenden «Pilotphase» der App ist wenig bekannt, das Bundesamt für Gesundheit hält sich mit Details zurück.
Update: Das zuständige Departement werde «in Kürze» eine Medienmitteilung dazu verschicken, heisst es aus Bern.
Update 2: Die Medienmitteilung ist hier verfügbar. Der Informationsgehalt hält sich leider in Grenzen:
Die deutsche Regierung hat zunächst so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte. Das Vertrauen der Bevölkerung in die geplante Corona-Warn-App wurde grundlegend erschüttert, weil die Verantwortlichen viel zu lang auf ein zentralisiertes Tracing-System setzten.
Der Wechsel auf ein dezentrales System erfolgte erst nach Protesten aus der Zivilgesellschaft und nachdem sich abzeichnete, dass die App ohne Zugriff auf die Apple-Google-Schnittstellen technische Probleme haben würde.
Ungeklärt ist die Frage, ob der Gesetzgeber wie in der Schweiz konkrete Rahmenbedingungen schaffen wird, um die bedingungslose Freiwilligkeit der App-Nutzung zu gewährleisten. Ein entsprechender Vorschlag stiess auf Zustimmung, die Regierungskoalition hat sich noch nicht dazu geäussert. Davor hatte es geheissen, es sei kein eigenes Gesetz geplant.
Zudem werden auch immer wieder Stimmen laut, die statt absoluter Freiwilligkeit einen App-Zwang fordern.
Frankreich ist gespalten, was den geplanten Einsatz einer Proximity-Tracing-App betrifft: Die Regierung lässt über die staatliche Forschungseinrichtung Inria die «StopCovid»-App entwickeln, die auf einem zentralisierten Server-System basiert und in den folgenden Wochen getestet werden soll.
Das Vorgehen hat bereits zu Protesten seitens Wissenschaft und Zivilgesellschaft geführt, eine Parlaments-Debatte wurde verschoben. Sollte die Regierung an ihren Plänen festhalten, wäre die freiwillige App nicht mit den Apple-Google-Schnittstellen kompatibel, was auch die grenzüberschreitende Funktionsweise grundsätzlich infrage stellt.
Italiens Regierung wollte möglichst schnell eine Corona-Warn-App lancieren – und scheiterte. Die «Immuni»-App ist seit Wochen Dauerthema in den sozialen Netzwerken und Zielscheibe vielfältiger Kritik: Auch der Auswahlprozess für die Entwicklerfirma war umstritten. Wie Deutschland musste man vom ursprünglich geplanten zentralisierten System abrücken und eine 180-Grad-Wende einleiten. Allerdings wurde die Umstellung auf ein dezentrales System nach dem Vorbild von DP-3T über längere Zeit nicht transparent erklärt.
Immerhin ist nun ein Happy End in Sicht: watson weiss aus zuverlässiger Quelle, dass die Apple-Google-Schnittstellen implementiert werden. Dies wird (zumindest) mittelfristig auch die grenzüberschreitende Funktionsweise garantieren. Dies wiederum ist auch aus Schweizer Sicht vor allem wegen der vielen Grenzgänger wichtig, die im Tessin arbeiten.
Österreich hat dank privater Initiative durch das Rote Kreuz schon seit Wochen eine Corona-Warn-App. Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist bislang allerdings klein und zur Wirksamkeit gibts keine genauen Angaben (siehe unten). Die Regierungskoalition (ÖVP / Grüne) hat Anfang Mai einen Vorstoss für ein Diskriminierungs-Verbot nicht unterstützt.
Ob es überhaupt noch zu einer echten Bewährungsprobe für die «Stopp Corona»-App kommt, wird sich erst noch zeigen. Das Land sei unter der Führung des 33-jährigen Kanzlers Sebastian Kurz sehr gut durch die erste Phase der Pandemie gekommen, konstatiert die «NZZ am Sonntag».
Wie andere Schweizer Nachbarländer (abgesehen von Frankreich) sind auch die Österreicher Entwickler damit beschäftigt, die Apple-Google-Schnittstellen zu implementieren. Die Vorbereitungen für eine spätere länderübergreifende Funktionsweise sind insbesondere auch aus Sicht des Alpen-Tourismus sowie der vielen Grenzgänger zu begrüssen.
Wenn in nächster Zeit die Landesgrenzen wieder geöffnet werden, fehlt ein wichtiges Hilfsmittel: Eine App, die länderübergreifendes digitales Contact Tracing ermöglicht. Hunderttausende Grenzgänger müssen vorläufig darauf verzichten, weil ihre Regierungen zögerlich agiert haben.
Am Donnerstag debattiert erneut das Europäische Parlament über die geplanten Kontaktverfolgungs-Apps, mit denen Infektionsketten zurückverfolgt werden sollen.
Die Schweiz hatte dank DP-3T-Konsortium eine hervorragende Ausgangslage und hätte als erstes Land eine datenschutzkonforme Proximity-Tracing-App lancieren können. Nun sieht es so aus, dass fast alle Nachbarländer schon Wochen oder gar Monate früher eine Tracing-App lancieren.
Jedoch scheinen alle benachbarten Regierungen durch mangelnde Kommunikation und fragwürdiges Vorgehen ein massives Vertrauensproblem kreiert zu haben. Intransparente Entscheide, mangelnde Rechtssicherheit und widersprüchliche Äusserungen politischer Akteure haben bei den Bürgern die Akzeptanz beeinträchtigt, noch bevor die Anwendungen überhaupt verfügbar sind. Fraglich ist auch, ob die Apps wie versprochen in ein paar Wochen lanciert werden.
Die technische Frage der Zuverlässigkeit von automatisierten Abstandsbestimmungen mit Smartphones über Bluetooth Low Energy (BLE) ist bei den meisten unbeantwortet. Einzig Österreich scheint eine Lösung gefunden zu haben, will aber «mittelfristig» umstellen, wie wir gleich sehen.
Von den Schweizer Nachbarländern setzt einzig Frankreich nicht auf ein dezentrales Tracing-System, wie es das Konsortium DP-3T erarbeitet hat. Damit kann die geplante französische Corona-Warn-App nicht auf die Apple-Google-Schnittstellen (API) zugreifen, die laut Ankündigung «Mitte Mai» für iPhones und Android-Smartphones bereit sein sollen.
Die Entwickler nationaler Apps in der Schweiz, Deutschland, Italien und Österreich und in weiteren Ländern sind hingegen bereits am Testen der Apple-Google-Software.
Zudem hat sich auf Initiative des Konsortiums DP-3T eine neue europäische Koalition gebildet. Die Mitglieder verfolgen alle den dezentralen Privacy-by-Design-Ansatz, im Gegensatz zur gescheiterten PEPP-PT-Initiative. Ziel ist es, dass die nationalen Corona-Warn-Apps grenzüberschreitend funktionieren. Dies ist insbesondere in Regionen wie dem Tessin extrem wichtig, wo es sehr viele Grenzgänger gibt.
Dazu gleich mehr, doch zunächst:
Das Österreichische Rote Kreuz (ÖRK) hat in Westeuropa eine Vorreiterrolle eingenommen mit der frühen Lancierung einer Bluetooth-basierten Proximity-Tracing-App. Dies war dank der Schweizer Proximity-Technologie p2pkit möglich, die vom Zürcher Unternehmen Uepaa entwickelt worden ist.
Zur Wirksamkeit lassen sich die Österreicher nicht in die Karten blicken. ÖRK-Sprecher Thomas Marecek schreibt watson:
Geplant ist zudem seitens des Österreichischen Roten Kreuzes, auf die Apple-Google-Schnittstellen umzusteigen:
Dazu muss man wissen, dass unabhängige Datenschutz-Organisationen die österreichische App geprüft und mehrere Empfehlungen zur Verbesserung abgegeben haben.
Und man muss wissen, dass bei der bisherigen Corona-Warn-App eine gewisse Datenanalyse über ein Rechenzentrum erfolgt, was dem zentralisierten Ansatz entspricht. Apple und Google unterstützen nur dezentrale Systeme.
Uepaa-Gründer Mathias Haussmann präzisiert auf Anfrage, dass sich auch mit der von Uepaa entwickelten p2pkit-Technologie ein dezentraler Ansatz verfolgen lasse. «Über ein vertrauenswürdiges Rechenzentrum, was technisch betrachtet einem zentralisierten Ansatz entspricht, werden lediglich Informationen ‹übermittelt›».
Die Datenmenge, die über Bluetooth Low Energy (BLE) übertragen werden könne, sei beschränkt, erklärt der Schweizer Proximity-Fachmann. Es finde daher auf den Smartphones ein sogenanntes Over-The-Air (OTA) Off-Loading statt. Damit funktioniere p2pkit auch in Extremsituationen, wie zum Beispiel am Hauptbahnhof oder in der S-Bahn, also in Situationen, wenn hunderte Geräte in der Nähe seien und einfache BLE-Implementationen längst versagten.
Apple und Google würden nun diese Hürden auf Betriebssystemebene reduzieren (ausschliesslich für Tracing-Apps) und unterstützen nur dezentrale Systeme. p2pkit stelle hier keine Anforderung an die App-Logik, betont Haussmann.
Der Uepaa-Gründer hatte sich schon Anfang Jahr an den Bund gewendet. Weder das Bundesamt für Gesundheit (BAG) noch Marcel Salathé vom EPFL zeigten sich aber interessiert. Und dies obwohl die BLE-Entwickung von DP-3T erst im Mai mit einer grösseren Anzahl User getestet wurde.
Weil der Bund nicht frühzeitig die rechtlichen Rahmenbedingungen geklärt hat für den App-Einsatz, ist es heute müssig darüber zu spekulieren, ob die Schweizer Corona-Warn-App schneller lanciert worden wäre, wenn die Verantwortlichen auf die p2pkit-Technologie gesetzt hätten. Dank der gemeinsamen Software-Initiative von Apple und Google sollte bald die technisch bestmögliche Lösung vorliegen.
Das ist das erklärte Ziel von DP-3T. Bis dahin ist es aber noch ein sehr weiter Weg. (Und zunächst muss sich in einer Pilotphase ab dieser Woche zeigen, wie gut das Bluetooth-basierte Proximity-Tracing in der Schweiz funktioniert.)
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus sieben Ländern haben gemeinsam ein grenzüberschreitendes Konzept erarbeitet, wie Reuters berichtete. Es sind alles Länder, die ein dezentralisiertes digitales Tracing-System umsetzen wollen.
In diesen Ländern dürfte die Schweizer Corona-Warn-App problemlos funktionieren, wobei jederzeit weitere Länder hinzukommen können. In Spanien beispielsweise war auch schon die Rede, dass der dezentrale Ansatz verfolgt wird.
Um das entsprechende Daten-Roaming zu gewährleisten, müssen die staatlichen Server, die in den Ländern betrieben werden, miteinander kommunizieren.
Bei den nationalen App-Projekten, die gemäss dem dezentralen Ansatz von DP-3T umgesetzt werden, sei es vom ersten Tag an auch darum gegangen, dass man sie auf internationaler Ebene zum Funktionieren bringen könne. Dies sagte der Schweizer Epidemiologe Marcel Salathe, von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne.
Fraglich ist allerdings der Zeitpunkt. Bislang fehlen in den meisten Ländern umfassende rechtliche Rahmenbedingungen, um etwa eine Diskriminierung von Leuten zu verhindern, die keine Contact-Tracing-App nutzen wollen. Die Verhandlungen über die rechtlichen Rahmenbedingungen müssten auch auf internationaler Ebene intensiviert werden.
Die Schweiz verpasst die einmalige Chance, sich als Pionierland zu positionieren bei der digitalen Seuchenbekämpfung. Dafür hätte es seitens Bundesrat und Bundesamt für Gesundheit (BAG) mehr digitale Kompentenz sowie eine mutigere und weitsichtigere Vorarbeit gebraucht. Nun verzögert sich der App-Start im besten Fall um mehrere Wochen.
Die politisch bedingte «Verspätung» hat hoffentlich keine epidemiologisch gravierenden Folgen. In den kommenden Wochen werden wir herausfinden, ob das herkömmliche Contact Tracing genügt, um das Virus in Schach zu halten. (Natürlich neben den anderen wichtigen Massnahmen).
Die bislang durch DP-3T und nun auch durch das Bundesamt für Informatik geschaffene Transparenz – Stichwort Open Source – ist zu begrüssen, und nachahmenswert. Die Kommunikation ist allerdings dringend verbesserungswürdig, sonst droht noch mehr Vertrauen verspielt zu werden.
Sollte die Corona-Pandemie noch Monate weitergehen, kann eine vertrauenswürdige Proximity-Tracing-App den Unterschied ausmachen zwischen neuerlichen staatlichen Zwangsmassnahmen und individueller Freiheit. Helfen könnte die Tracing-App auch nach den Grenzöffnungen.
Und völlig losgelöst von SARS-CoV-2 und Covid-19 macht die Entwicklung der Software und das Schaffen der entsprechenden Infrastruktur Sinn: Die nächste (tödliche) Seuche kommt bestimmt. Spätenstens dann sollten wir vorbereitet sein und nicht wieder bei Null anfangen müssen.
Das «Ländle» mit seinen 38'000 Einwohnern verfolgt eine ganz eigene Strategie: Bürger-Überwachung, gepaart mit Machine Learning, statt freiwilliger Proximity-Tracing-App.
Regierung und Fürstenhaus haben Mitte April ein selbstfinanziertes Projekt gestartet und 2000 mit Sensoren ausgestattete Armbänder an Einwohner verteilt. Die Bänder messen Hauttemperatur, Puls, Atmung und Blutzirkulation. Das Gesundheits-Monitoring findet nonstop, auch nachts statt.
Am Ende der Entwicklung solle ein Algorithmus stehen, der anhand der Daten gelernt habe, welche Muster in den Signalen des Körpers auf eine Covid-19-Infektion schliessen lassen. Dies noch bevor es Betroffene selbst merken.
Die Regierung lasse auch das gesamte Abwasser auf Spuren des Coronavirus untersuchen, berichtete die «Basler Zeitung». Auch das sei vergleichsweise einfach, weil der ganze Dreck des Landes durch eine einzige Kläranlage fliesse.